1. Es gibt keinen Flüchtlingsstrom
Die Begriffe „Flüchtlingsstrom“ oder „Flüchtlingswelle“ sei nicht richtig, wie Zahlen zeigen sollen. „Europaweit ist Deutschland, was die Asylanträge angeht, zwar Spitzenreiter“, heißt es aus dem Off. „Wenn man aber die tatsächlichen Flüchtlingszahlen im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße betrachtet, sieht es ganz anders aus.“ Das unterstützen die SZ-Autoren mit einem Balkendiagramm: „Auf 1.000 Einwohner kommen im Moment in Deutschland drei Asylbewerber. In Ungarn sind es mehr als doppelt so viele, in Schweden fast dreimal so viele. Von Ländern wie der Türkei oder dem Libanon mal ganz zu schweigen.“ Mit Begriffen wie „Flüchtlingswelle“ müsse man daher vorsichtig sein, erläutert der Sprecher.
Warum der Film drei Asylbewerber pro 1.000 Einwohner vorrechnet, ist nicht ersichtlich. Geht man von 81 Millionen Einwohnern Deutschlands und der von Sigmar Gabriel errechneten Asylbewerberzahl von einer Million im Jahr 2015 aus, hätte Deutschland Ende des Jahres 12,3 Asylbewerber pro 1.000 Einwohner. Dass viele dieser Asylbewerber ihre Familien nachholen wollen, ist dabei noch nicht berücksichtigt. Und wie gesagt: Wir sprechen allein über das Jahr 2015. Die Suggestion, alles sei ganz easy, geht sowieso völlig an der täglich in Deutschland erlebten Realität vorbei. Seit Tagen kursiert im Internet das Video einer SPD-Kommunalkonferenz, bei der die Münchner Sozialreferentin Brigitte Meier mit tränenerstickter Stimme bekennt, wie überfordert ihre Stadt mit dem ist, was die SZ-Journalisten nicht „Flüchtlingsstrom“ nennen mögen. Stell dich nicht so an, könnte man der Dame sagen, im Libanon ist es ja noch schlimmer. München hilft das nicht. Das Westfalen-Blatt berichtet am Freitag von einer Realschule, deren Leiterin am Dienstagabend erfahren hat, dass die Schule ab Donnerstag als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird. Die Schüler hatten am Mittwoch 15 Minuten Zeit, um ihre Habseligkeiten aus den Räumen einzupacken und sich für den Umzug in eine andere Schule vorzubereiten. Es sei eine regelrechte Flucht gewesen, die Kinder traurig und geschockt. In den neuen Räumen war der Unterricht bisher nur eingeschränkt möglich. Es sind Begebenheiten wie diese, die sich täglich in Deutschland abspielen, und die überhaupt nicht dadurch zu relativieren sind, dass im kleinen Libanon mehr Flüchtlinge pro Einwohner leben als in Deutschland.2. Flüchtlinge zahlen mehr an den Staat, als sie bekommen
Kann man von einer „Kostenschwemme“ sprechen, fragt die Stimme in dem Video. Für die Flüchtlinge werden immerhin 10 Milliarden Euro in diesem Jahr ausgegeben. „Das sind aber gerade mal nur etwas mehr als drei Prozent des gesamten Bundeshaushalts“, erklärt der Journalist. „Außerdem arbeiten Flüchtlinge die Kosten oft rasch wieder rein. Jeder Zuwanderer zahlt im Schnitt 3.300 Euro mehr an Steuern und Sozialabgaben ein, als für ihn ausgegeben werden.“
Geschenkt, dass für die Redakteure der Süddeutschen Zeitung „gerade mal nur“ zehn Milliarden Euro Steuergeld nicht so wichtig zu sein scheinen. Hat nicht Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) noch vor zwei Wochen im Bundestag davon gesprochen, dass nicht einmal jeder zehnte Asylbewerber die Voraussetzungen mitbringe, um direkt in Arbeit oder Ausbildung vermittelt zu werden? In den meisten Fällen brauche es eine „ergänzende Qualifizierung“, in vielen Fällen aber auch erst eine „grundständige Ausbildung“. Es liegt somit auf der Hand, dass in mindestens neun von zehn Asylbewerber so viel investiert werden muss, dass es auch bei erfolgreichen Ausbildungsmaßnahmen wie eine ferne Zukunftsmusik erscheint, dass hier die Rechnung tatsächlich zu Gunsten des Sozialsystems aufgeht. Warum unterscheiden die Macher des Videos nicht zwischen Zuwanderern, Asylbewerbern und Flüchtlingen? Warum verschweigen sie, dass etwa das bei Asylanträgen sehr großzügige Schweden einen hohen Preis für seine Flüchtlingspolitik bezahlt? Die 3.300 Euro übrigens stammen aus einer Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Verschwiegen wird in dem Video, was die Studie noch alles zu Tage gefördert hat. „Düster sieht die Kalkulation für Ausländer aus, die 2012 hier geboren wurden. Unter Status-quo-Bedingungen würden sie über den gesamten Lebenszyklus hinweg durchschnittlich gut 44.000 Euro mehr an Transfers erhalten, als sie an Steuern und Sozialbeiträgen zahlen“, fasst die Tageszeitung Die Welt zusammen. „Im Gegensatz dazu zahlen die im gleichen Jahr geborenen Deutschen fast 112.000 Euro mehr ein, als sie von Vater Staat erhalten.“ Ausländer seien deutlich häufiger ohne Job als Deutsche und verdienten wegen des meist geringeren Bildungsniveaus auch weniger. Ganz andere Zahlen hat sowieso der Ökonom Hans-Werner Sinn ermittelt. Für ihn ergibt sich eine „fiskalische Nettobilanz je Migrant von minus 1.800 Euro im Jahr“. Damit koste ein Migrant im Durchschnitt mehr, als er einbringe. Das darf natürlich nicht bedeuten, Flüchtlinge nur nach ihrem ökonomischen Nutzen zu bewerten. Warum aber verschleiert die Süddeutsche Zeitung derart die Faktenlage und sendet eine ganz gezielte Botschaft, die inhaltlich kaum zu halten ist?3. Flüchtlinge als Lösung des Demografieproblems?
Der kleine Film der Süddeutschen Zeitung kommt langsam zum Ende und erklärt: „Deutschland wird immer älter und ist auf Zuwanderung und neue Arbeitskräfte angewiesen. Warum sollte Deutschland also Flüchtlinge aufnehmen? Weil es den Platz, die Ressourcen und die Möglichkeiten hat, und, weil Deutschland davon profitiert. Oder, schlicht und ergreifend: Einfach aus Menschlichkeit.“
Hier stimmt die Tatsache, dass Deutschland immer älter wird und deswegen auf Zuwanderung und neue Arbeitskräfte angewiesen ist. Dieses demografische Problem beschäftigt die Bundesrepublik schon lange. Die Platzierung dieser Tatsache am Filmende ohne weitere Erklärung suggeriert, dass die Aufnahme von Flüchtlingen das Demografieproblem lindert. Offenbar haben die Macher des Films ihre eigene Zeitung nicht gelesen. „Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat davor gewarnt, im Zuzug von Flüchtlingen die Lösung für die rasche Alterung und das langfristige Schrumpfen der deutschen Bevölkerung zu sehen“, war dort nämlich am Dienstag zu lesen. „Asylrecht und Asylverfahren sind nicht die richtigen Instrumente für die Lösung der demografischen Herausforderungen“, sagte der CDU-Politiker und erklärte, unter den Flüchtlingen gebe es mitnichten so viele Qualifizierte, wie Deutschland hoffe. Warum belegen die SZ-Redakteure ihre Behauptungen nicht mit Fakten, beispielsweise dem durchschnittlichen Bildungsgrad von Flüchtlingen? Wäre es nicht fair, wenigstens anzudeuten, dass es auch andere Einschätzungen der Lage gibt? Die Zeitung erklärt dazu auf Anfrage: „Im Video heißt es mitnichten, dass Asylbewerber das Demografieproblem lösten, sondern dass Deutschland Zuwanderung brauche – dies steht nicht in Widerspruch zu den Aussagen des Innenministers, ganz im Gegenteil.“ Zuwanderung ja – aber geregelte Zuwanderung ist etwas anderes als die derzeitige Aufnahme von Flüchtlingen. Nun, so kann man sich die Dinge zurechtlegen. Auf die genaue Faktenlage kommt es in einem Film vermutlich nicht an, der nicht wie ein journalistisches Informationsstück, sondern wie die Werbekampagne von „Pro Asyl“ daherkommt. Mehr als 3.000 Leser haben das Video über die Facebook-Seite der Süddeutschen geteilt. Die Kommentare sind aber alles andere als zustimmend und beschweren sich konkret und meist ohne Hetze oder Beleidigungen über die unjournalistische Darstellung des Themas. „Solch an den Haaren herbeigezogene Argumente, die nicht zwischen Zuwanderern generell und Flüchtlingen speziell unterscheiden, helfen letztendlich nur jenen, die offen gegen die Asyl-Politik und auch gegen etablierte Medien Hetze betreiben“, schreibt ein Nutzer. Ganz am Ende nennt der Film die Menschlichkeit als Argument, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Menschlichkeit ist ein starkes Argument, das auch dann gültig wäre, wenn das Video die unbequemen Realitäten ansprechen anstatt verschleiern würde. Gerade für die vielen Christen und Kirchengemeinden, die den Asylbewerbern helfen, geht es nicht darum, ob oder wann die Asylbewerber Geld in die Sozialsysteme einzahlen, sondern um Menschlichkeit und Nächstenliebe. Eine verzerrte Darstellung der Lage, wie die Süddeutsche Zeitung sie hier betreibt, weckt sicherlich keine Nächstenliebe bei denen, die von der derzeitigen Asylpolitik nicht überzeugt sind. Sie bestätigt nur das Misstrauen, das in Teilen der Gesellschaft bereits gegenüber Journalisten herrscht. (pro)