Rainer Thomasius ist Ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters in Hamburg. Der Psychiater bilanziert eine deutliche Erhöhung von süchtigen Jugendlichen. Im Interview der Tageszeitung Die Welt spricht er davon, dass sich die Suchtmittel gewandelt hätten. Diese Entwicklung sei an vielen Eltern vorbeigegangen.
Laut Thomasius schränke Sucht die altersgerechte Entwicklung der Kinder ein. Zudem isoliere sie die Betroffenen. Deswegen plädiert er für einen weiteren Ausbau der Angebote zur Suchttherapie. Heute seien vier Mal so viele Jugendliche (12.000) „wegen riskanten Cannabiskonsums“ in vollstationärer Behandlung wie 2002. Im europaweiten Vergleich habe Deutschland auch mehr Jugendliche, die wegen Alkoholvergiftungen in Notfallambulanzen landeten.
Immer häufiger nicht stoffgebundene Süchte
Trotzdem vollziehe sich ein Wandel: „Wir beschäftigen uns immer häufiger mit nicht stoffgebundenen Süchten. Das ist vor allem die Sucht nach Computerspielen im Internet“, sagt Thomasius der Welt. Hinzu kämen mittlerweile auch Social-Media-abhängige Jugendliche. Bei den stofflichen Süchten seien „neue psychoaktive Substanzen“ mit kokainähnlicher Rauschwirkung sehr begehrt.
Um die neuen Substanzen im Internet zu verkaufen, würden sie als Kräutermischungen oder Badesalze deklariert. Die Hersteller veränderten die chemische Zusammensetzung, um das Betäubungsmittelgesetz zu umgehen. Wenn Jugendliche mit zwölf oder 13 Jahren ihren Konsum beginnen, befinde sich das zentrale Nervensystem noch im Ausreifungsprozess.
Die Rauscherlebnisse führten zur Abhängigkeit und kognitiven Störungen. Dies wirke sich häufig auch auf die schulische Leistung aus und führe im äußersten Fall zu psychotischen Störungen oder Schizophrenie. Eltern empfiehlt Thomasius eine Null-Toleranz-Politik. Wenn Eltern die Substanz selbst schon einmal konsumiert haben, sei die Erziehung häufig liberal.
Medienfreie Zeiten in der Familie
In Bezug auf die Mediennutzung empfiehlt er, Kinder „so spät wie irgendwie möglich an Smartphone, Computer und Co. heranzuführen“. Vor der Einschulung müsse das nicht sein. Eltern müssten sich dafür interessieren, was ihr Kind mit der Technik treibt und für medienfreie Zeiten in der gesamten Familie sorgen. Wer in der Schule keinen Anschluss zu Gleichaltrigen finde, entdecke leichter die Faszination der Computerspiele, betont Thomasius. In der virtuellen Welt wandle sich Verlegenheit in ein Gefühl von Grandiosität und steigere den Selbstwert.
Von: Johannes Blöcher-Weil