Studie über Fehlverhalten der Medien erlebt Mediendesaster

Am Freitag hat ein Team von Medienwissenschaftlern eine Studie über die Berichterstattung während der Flüchtlingskrise in Deutschland präsentiert. Sie diagnostiziert Fehler, von denen sich einige prompt bei der medialen Aufnahme der Studie wiederholten. Eine Analyse von Daniel Spiesecke
Von PRO
Die genaue Untersuchung der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise in Deutschland ist im Internet abrufbar

Im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung erarbeitete der emeritierte Medienwissenschaftler Michael Haller eine Studie zur Berichterstattung der Medien über die Flüchtlingskrise. Er fragte danach, ob Journalisten zu einseitig berichtet hätten und ob auch entgegengesetzte Positionen ausreichend diskutiert wurden. Am Beispiel des Begriffs „Willkommenskultur“ weist er auf der Datengrundlage von 85 Lokalzeitungen und tausenden Beiträgen nach, dass diese Medien im Untersuchungszeitraum großflächig auf eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Begriff verzichteten. Er sei von der Politik als Lösungsansatz ausgegeben worden und nicht hinreichend hinterfragt worden. Weil Leser geradezu mit Meldungen „überschwemmt“ wurden, hätten sich viele Leser überfordert gefühlt.

Über Widerstände gegen die Politik der Bundesregierung sei zu wenig berichtet worden. „Kaum ein Kommentar während der sogenannten Hochphase im August und September 2015 versuchte eine Differenzierung zwischen Rechtsradikalen, politisch Verunsicherten und besorgten, sich ausgegrenzt fühlenden Bürgern“, steht im Fazit der Studie. Gegenüber der Tageszeitung Die Welt bezeichnete Haller dies als ein Symptom einer tiefer liegenden Krise zwischen der Bevölkerung und dem Informationsjournalismus.

Wende bei Straftaten von Ausländern

Eine Wende habe die Auseinandersetzung mit den Straftaten von Ausländern bei den Silvesterfeierlichkeiten in Köln zur Jahreswende 2015/2016 bedeutet. Aber auch hier brachte die Studie Kritik an: „Im Januar 2016 fanden sich auch viele Zeitungsberichte, die, entgegen journalistischen Sorgfaltspflichten, in ihren Berichten über Normverstöße junge Migranten und Asylsuchende unter Täterverdacht stellen. Es entsteht der Eindruck, als wollten viele Journalisten jetzt übereifrig nachholen, was sie zuvor versäumt hatten.“

Erhellend ist auch, was die Forscher nach der detaillierten Analyse von Meldungen aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung und der Welt über die Einordnung des Geschehens sagen. So stellt die Studie fest, dass diese Medien die Flüchtlingskrise zum großen Teil als ein politisches Ränkespiel wiedergaben. Die Hauptstadtjournalisten berichteten ausführlich darüber, welche Positionen Politiker einnahmen und wie sich das auf die Politik auswirkte. So wurde zum Beispiel über Politiker der CDU besonders häufig berichtet, weil sie sich in der politischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Koalitionspartnern CSU und SPD in einer heiklen machtpolitischen Lage befanden. Die Hälfte aller Berichte handelt von den Regierungsparteien auf Bundesebene.

Regierungspolitiker besonders häufig in den Medien

Zwei Drittel der Meldungen bezogen sich auf Politiker. Akteure im unmittelbaren Geschehen, wie Mitarbeiter von Flüchtlingsheimen oder Helfer, kamen in nur 3,5 Prozent der untersuchten Beiträge zu Wort. Um die Flüchtlinge selbst ging es nur in jeder 20. Meldung. „Aufs Ganze des Jahres 2015 gesehen, haben die Leitmedien dieses sozial- und gesellschaftspolitische Problemthema in ein abstraktes Aushandlungsobjekt der institutionellen Politik überführt und nach den für den Politikjournalismus üblichen Routinen abgearbeitet. Politik wird in den Medien überwiegend nicht als Prozess der Entscheidungsfindung, sondern als Schlagabtausch unter Mandatsträgern inszeniert“, so die Studie.

Neben den brisanten Ergebnissen der Studie entwickelte sich die Berichterstattung darüber zu einem medienpolitischen Ereignis. Der Wochenzeitung Die Zeit wurde ein exklusiver Einblick in die Studie gewährt. Daraufhin erschien die Vorabmeldung mit dem Titel „Medien haben in der Flüchtlingskrise versagt“. Dies bezeichnete Haller gegenüber der Tageszeitung taz als „boulevardeske“ Zuspitzung, die er von der Zeit nicht erwartet hatte. Die Pressekonferenz, auf der die Studie vorgestellt wurde, sollte am Montag stattfinden – stattdessen wurde sie auf den Freitag vorgezogen, um die Deutungshoheit über die Studie nicht vollends einzubüßen.

In einem Onlinekommentar beim Branchendienst turi2.de klagte Haller dann, ihm geschehe genau das, „was wir als Problem ermittelt haben: dass Vorgänge einseitig und überzogen dargestellt werden“. Aus seinen abwägenden Ergebnissen leiteten Journalisten ein völliges Versagen der Medien in der Flüchtlingskrise ab. „Das bedeutet etwas ganz anderes“, beschwerte sich der Wissenschaftler. Sein resigniertes Fazit: „Vermutlich werden wir diese Zeile auf Webseiten der Journalistenhasser zu lesen bekommen – und die Schraube der postfaktischen Vorurteilsbestätigungen dreht sich weiter.“ (pro)

Von: dsp

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