Studie: Jugendliche wollen nicht „streng gläubig“ sein
Die SINUS-Jugendstudie zeigt, dass Jugendliche zum „Mainstream“ gehören wollen. Die Akzeptanz für religiöse Vielfalt hat zugenommen, aber: Junge Christen loten aus, wie viel Glaube sozial akzeptiert wird.
Von PRO
Foto: pro/Norbert Schäfer
Peter Martin Thomas bei der Präsentation der SINUS-Studie in der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin
In der SINUS-Jugendstudie untersuchen Sozialforscher, wie Jugendliche in Deutschland ticken, welche Wertevorstellungen und Einstellungen sie haben und wie sie zu bestimmten gesellschaftlichen Themen stehen. Die Studie zeigt: Jugendliche wollen zum Mainstream gehören und ihnen sind Werte wichtiger als Religion. Die Akzeptanz für religiöse Vielfallt ist angestiegen.
„Jugendliche haben ein großes Bedürfnis nach Sinnfindung“, sagte Peter Martin Thomas, einer der Autoren der Studie, am Dienstag bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin. Dies bedeute jedoch nicht, dass sich die Jugendlichen zwingend einer Glaubensgemeinschaft, Religion oder Kirche zugehörig fühlten. Bei der Vorstellung der Studie bezeichnete Thomas die Jugendlichen als „religiöse Touristen“, die sich aus verschiedenen Quellen bedienten und daraus ihren eigenen persönlichen Glauben bauten.
Keiner will als „streng gläubig“ gelten
Glaube bedeute auch nicht, automatisch in einer Glaubensgemeinschaft aktiv zu werden, etwa zum Gottesdienst oder zur Jugendarbeit zu gehen. Vor allem Jugendliche mit christlichen Hintergrund würden zudem ausloten, was unter den Altersgenossen sozial akzeptiert sei hinsichtlich des Glaubens. „Man will nicht unbedingt als streng gläubig gelten“, erklärte Thomas. Das sei nicht „angesagt“.
Bei den muslimischen Jugendlichen haben die Forscher weitestgehend eine „zweifelsfreie Identifikation“ mit dem Glauben wahrgenommen. Die Untersuchung zeigt auch, dass bei den Jugendlichen die Akzeptanz für religiöse Vielfalt angestiegen ist. Dies gelte auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund. „Es ist für junge Menschen vollkommene Normalität, dass es Menschen mit verschiedenen Religionen im Freundeskreis gibt, aber auch Religionslose.“ Das Thema Religion spiele im Alltag der Jugendlichen jedoch keine große Rolle. Oft wüssten die Jugendlichen nichts über die Religionszugehörigkeit ihrer Freunde. Diese stelle auch kein Auswahlkriterium für eine Freundschaft dar. „Sehr klar praktizieren die Jugendlichen religiöse Toleranz untereinander“, erklärte Thomas. Dies gelte sowohl für die Religionsausübung, als auch für die persönliche Lebensführung.
Der sonntägliche Kirchgang oder der religiös motivierte Verzicht auf Schweinfleisch störe die Jugendlichen nicht, allerdings forderten die Befragten auch Toleranz von den gläubigen Altergenossen gegenüber Homosexualität und Abtreibung. Ein zentrales Ergebnis der Studie: Religiöse Gewalt wird von Jugendlichen eindeutig abgelehnt. „Die meisten Jugendlichen können überhaupt nicht nachvollziehen, warum man Religion als Grundlage für einen Krieg heran ziehen soll“, sagte Thomas. Dies gelte für Jugendliche mit und ohne Zugehörigkeit zu einer Religion gleichermaßen. Gerade bei Jugendlichen muslimischen Glaubens gebe es „eine ganz deutliche, demonstrative Distanzierung“ vom radikalem Islamismus. Damit wollen die Jugendlichen nichts zu tun haben.
Werte: „sowohl als auch“ statt „entweder-oder“
Die Studie zeigt, dass junge Menschen in allen Lebenswelten das Thema Flucht und Asyl interessiert. Der überwiegende Teil der Befragten befürwortet die Aufnahme von Geflüchteten. Aber: „Wir haben eben auch Jugendliche in Deutschland, die nicht frei sind von rechtspopulistischer Ausgrenzung oder sogar feindlichen Haltung gegenüber Ausländern oder Flüchtlingen“, erklärte Thomas.
Ein weiterer wichtiger Befund der Studie ist, dass die meisten Jugendlichen so sein wollen wie alle anderen. „Anders als vor ein paar Jahren ist der Begriff ‘Mainstream‘ heute kein Schimpfwort mehr“, erklärte Marc Calmbach, ein Autor der Studie. „Dazu passt, dass insbesondere soziale Werte wie Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, stabile Beziehungen den Jugendlichen ernom wichtig sind“, erläuterte Calmbach, der den Befund als „gewachsene Sehnsucht nach Akzeptiertsein in der Gemeinschaft nach Halt und Orientierung in immer unübersichlicheren Zeiten in der globalisierten Welt“ interpretierte. Die teilweise widersprüchlichen Werte würden von dem Jugendlichen nicht als unvereinbar wahrgenommen. Die Jugendlichen ticken nicht nach dem Motto „entweder oder“, vielmehr in dem Sinne eines „sowohl als auch“. Bei fasst allen Jugendlichen konnten die Wissenschaftler feststellen, dass eine stabile Partnerschaft als wichtiges Ziel im Leben angesehen wird.
Zu den Befragten der Studie gehörten auch 14 muslimische Jugendliche, bei denen nach Aussagen der Forscher berücksichtigt werden muss, dass sie überwiegend Hauptschüler sind. „Die Aussagen zu muslimischen Jugendlichen sagen vor allem etwas über die bildungsbenachteiligten Lebenswelten aus“, erklärte Calmbach deswegen. Die Befunde der Studie sind seinen Aussagen zufolge im statistischen Sinne nicht repräsentativ, „wohl aber im inhaltlich psychologischen Sinne“. Bei der Studie würden nicht viele Menschen in der Breite mit standardisieren Fragen konfrontiert, sondern flexibel würden wenige Interviewpartner in die Tiefe befragt, daher sei eine Aussage über Prozentverteilungen nicht möglich. Ziel der Untersuchung ist, alle psychologisch wirksamen Einflussfaktoren zu einem Thema offen zu legen und zu beschreiben. Die Interviews fanden bei den Jugendlichen zuhause statt. Dabei wurden auch die Zimmer der Jugendlichen fotografisch dokumentiert, um über die Wohnwelt Rückschlüsse auf die Alltagsästhetik der Jugendlichen ziehen zu können und sogenannte „Altare“, religiöser oder soziokultureller Natur, ausfindig zu machen. Dabei handelt es sich nach Angaben der Sozialforscher um „Orte, wo Jugendliche ihr Innerstes nach aussen kehren“, sagte Calmbach.
Wie die Forscher vorgingen
Wie bei den Studien der Jahre 2008 und 2012 wurde die aktuelle Studie zusammen mit Institutionen ins Leben gerufen, die ihre eigenen Forschungsinteressen in die Studie eingebracht haben. Themen wurden in der diesjärigen Studie vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDK), der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj), der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmer – Akademie (VDV-Akademie) eingebracht und von den Wissenschaftlern bearbeitet.
Die Studie des Sinus-Institutes „Wie ticken Jugendliche 2016?“ beschreibt auf der Basis von 72 qualitativen zweistündigen Tiefeninterviews Wertevorstellungen von 14 bis 17-Jährigen in Deutschland und deren Einstellung zu verschiedenen Themen wie beispielsweise Mobilität, Flucht und Asyl, Nachhaltigkeit, Liebe und Partnerschaft aber auch Glaube und Religion. (pro)
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