Streitbarer Christ verlässt Kabinett

Thomas de Maizière wird in einer neuen Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr mit am Kabinettstisch sitzen. Seine Amtszeit ist geprägt von Kontroversen um die Flüchtlingskrise. Als Innenminister hat der Protestant es nicht gescheut, sich auch mit der eigenen Kirche anzulegen.
Von Anna Lutz
Thomas de Maizière wird in einem neuen Kabinett unter Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr dabei sein. Sein Nachfolger im Innenministerium soll Horst Seehofer (CSU) werden.

„Ich bin sehr dankbar, dass ich diesem Land in einer schwierigen Zeit dienen durfte“, sagte der scheidende Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen in Berlin laut Deutscher Presse-Agentur (dpa). Es ist ein Abschied vom Kabinettstisch Merkels. Dort saß der 64-Jährige insgesamt zwölf Jahre lang – als Kanzleramtschef, Verteidigungs- und Innenminister. Und in der Tat hatten es inbesondere die letzten vier Jahre in sich.

Erstmals trug sich ein islamistisch motivierter Terroranschlag auf heimischem Boden zu, dramatische Ermittlungsfehler der Behörden wurden öffentlich. Und: Niemals zuvor musste die Bundesrepublik mit einem derart starken Flüchtlingsansturm umgehen. De Maizière gilt vielen seitdem als Politiker mit harter Hand, der weder die öffentliche Debatte noch den Streit mit ihm nahestehenden Organisationen scheut. Zugleich sprach er immer offen über sein Christsein, etwa beim Kongress christlicher Führungskräfte, beim Christustag im Rahmen des Evangelischen Kirchentages oder beim Bund Katholischer Unternehmer.

Beim Sommerempfang letzterer etwa warb er 2011: „Wir sind als Christen berufen, politisch in die Führung zu gehen“, und weiter: „In einer zunehmend säkularisierten Umgebung wird schnell sichtbar, wenn Christen am Werk sind – oder das sollte es zumindest.“ Ob dies auch auf De Maizières eigene Arbeit zutrifft, dürfte manch Gläubiger bezweifeln. Denn als Bundesinnenminister scheute er unter anderem den Streit mit den Kirchen nicht.

„Vermisse bei Kirchenvertretern Einsicht“

So erklärte er noch im Mai vergangenen Jahres in der Wochenzeitung Die Zeit, es störe ihn, dass manche Kirchenvertreter deutsche Asylverfahren nicht akzeptierten. Mit Blick auf den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, sagte der Minister: „Ich vermisse bei vielen Kirchenvertretern die Einsicht, dass beides dazugehört: Bleibendürfen und Gehenmüssen.“ Es missfalle ihm auch, dass die Kirchen zu unkritische Töne gegenüber dem Islam anschlügen und das Thema des Umgangs mit dieser Religion dem Staat überließen.

Dabei musste sich De Maizière selbst viel Kritik wegen schlecht geregelter Asylverfahren gefallen lassen. Das letztendlich ihm unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) galt 2015 als überfordert mit dem hohen Aufkommen an Asylverfahren durch die Flüchtlingskrise. Erst eine breit angelegte Aufstockung und Umorganisation der Behörde verbesserte die Situation spürbar.

Nach wie vor aber ist die Praxis des BAMF umstritten, etwa beim Umgang mit Flüchtlingen, die angeben, aus Glaubensgründen in ihrer Heimat verfolgt zu werden. Diese müssen sich Befragungen zu ihrem Glauben stellen. Kirchenvertreter wie etwa die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Margot Käßmann bezeichneten diese Vorgänge als „Glaubenstests“. Käßmann verurteilte scharf, dass das BAMF die Bewertung des christlichen Bekenntnisses nicht den Kirchen selbst überlasse. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Politiker Volker Beck.

Zur Debatte um die Flüchtlingskrise gehörte 2015 auch ein Streit um die Praxis des Kirchenasyls. De Maizière gilt als Kritiker, beließ es am Ende aber bei einer Duldung. „Der Staat stellt das Kirchenasyl als Ultima Ratio nicht in Frage“, sagte De Maizière 2015 beim Kongress christlicher Führungskräfte. Seine Begründung: Christen müssen Erbarmen und Barmherzigkeit ausleben dürfen. Ein Rechtsanspruch auf Kirchenasyl könne daraus aber nicht erwachsen. „Kein Christ darf die Gesetze außer Kraft setzen“, sagte der Innenminister.

„Wir sind nicht Burka“

Eng verknüpft mit der vermehrten Zuwanderung in die Bundesrepublik ist auch der von De Maizière in der Bild am Sonntag losgetretene Streit um eine neue deutsche Leitkultur. In zehn Thesen formulierte er im Frühjahr 2017, was das Miteinander in der Bundesrepublik seiner Meinung nach ausmacht. Darunter waren Sätze wie: „Wir sind nicht Burka“, oder „Unser Land ist christlich geprägt“. Dafür kritisierten ihn Vertreter von SPD, Grünen, der Linken und der AfD gleichermaßen. Sie warfen ihm Stimmungsmache und die Ablenkung von den wahren Problemen der Bundesrepublik vor. Lob kam von der Deutschen Evangelischen Allianz. Deren Politik-Beauftragter Uwe Heimowski erklärte damals, es sei De Maizières Verdienst, die Debatte über eine deutsche Leitkultur nicht länger der islamkritischen Bewegung Pegida zu überlassen.

Es mag am Amt des Innenministers liegen und vielleicht auch ein wenig an der Person De Maizière selbst: Die Liste der strittigen Themen, mit denen der CDU-Politiker sich öffentlich mit Freunden und Feinden auseinandersetzte, ist lang. Er ist ein Befürworter der Vorratsdatenspeicherung und strengerer Überwachungsregeln für das Internet. Er sprach sich in der Vergangenheit für den Einsatz bewaffneter Drohnen und mehr deutscher Soldaten im Ausland aus.

Sein Kompass: Glaube, Liebe, Hoffnung

„Christsein und Politik sind für mich keine identischen Welten, aber auch keine getrennten. Sie gehören zusammen und sind aufeinander bezogen. Der christliche Glaube prägt mein Leben, und die Politik gehört zu meinem Leben“, sagte De Maizière beim Kongress christlicher Führungskräfte und erklärte, er orientiere sich vor allem an den drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Und weiter: „Unser Maßstab sollte sein: Je mehr der Kern der Schöpfung berührt ist, desto vorsichtiger sollten unsere Gestaltungsmöglichkeiten sein.“ Und wenn er im Amt trotz dieses Kompasses falsche Entscheidungen getroffen haben sollte, dann dürfte ihn ein Satz beruhigen, den er 2011 vor katholischen Zuhörern sagte: „Politiker sind keine Heiligen – wenn sie es wären, würden sich nicht viele finden.“

Von: Anna Lutz

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