Ein Berliner Arzt hatte 2005 und 2006 Voruntersuchungen zur Erkennung von Gendefekten an Embryonen durchgeführt. So sollten seine Patientinnen, Eltern mit nachweislichen Gendefekten, die künstlich ein Kind zeugen wollten, gesunde Babys zur Welt bringen. Die anderen Embryonen ließ der Arzt absterben. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte gegen das Vorgehen geklagt, weil es gegen das Embryonenschutzgesetz verstoße. Demnach wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft, wer Eizellen aus einem anderen Grund als zur Herbeiführung einer Schwangerschaft befruchtet oder einen menschlichen Embryo "zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet". Die Richter des Bundesgerichtshofs aber urteilten anders. Der Arzt habe nicht entgegen, sondern gerade zur Herbeiführung einer Schwangerschaft gehandelt. Der Vorbehalt der Paare, nur genetisch unbelastete Embryonen zu übertragen, stelle diese Primärabsicht nicht in Frage. Schon vor dem Landgericht Berlin war der Mediziner im vergangenen Jahr in erster Instanz freigesprochen worden.
Grauzone beseitigt
Bisher lag die Gesetzgebung im Bereich Präimplantationsdiagnostik in einer Grauzone. Um Rechtssicherheit zu erstreiten, hatte sich der Gynäkologe nach den Eingriffen selbst angezeigt. Nach dem Urteil des BGH gilt nun: Bei Paaren mit einer Veranlagung zu schweren Erbschäden dürfen Ärzte im Reagenzglas befruchtete Eizellen auf Genschäden untersuchen und nur die gesunden Zellen für eine künstliche Befruchtung auswählen. Eine Auswahl von Embryonen nach anderen Merkmalen, etwa dem Geschlecht des Kindes, ist nach wie vor verboten.
Diese Entscheidung stößt auf Widerstand, besonders aus den Kirchen. Der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hermann Barth, teilte laut Evangelischem Pressedienst (epd) mit, die Präimplantationsdiagnostik beruhe auf Verbrauch und Vernichtung menschlicher Embryonen. Die Würde auch des frühen menschlichen Lebens verbiete es jedoch, dass es "bloß als Material und Mittel zu anderen Zwecken genutzt und erst recht gar nur erzeugt wird". Ähnliches ließ die katholische Deutsche Bischofskonferenz verlauten. Die Tötung von Embryonen, die nach Gentests nicht mehr in die Gebärmutter eingesetzt würden, "kann nicht erlaubt sein und widerspricht unserem Verständnis vom Menschen". Auch sei zu befürchten, dass mit dem Urteil der Rechtfertigungsdruck auf behinderte Menschen und deren Eltern weiter wachse. Der evangelische Thüringer Altbischof Christoph Kähler sagte im MDR, er wolle sich "gar nicht vorstellen, was dann passiert, wenn die Barrieren einfach beiseite geräumt werden". Zum Beispiel könnten Eltern auf diesem Wege versuchen, Erbmaterial zur Heilung für kranke Geschwister zu produzieren oder "Designerbabys" auf die Welt zu bringen.
CDU: "Was ist lebenswert, was nicht?"
Auch in der Politik wird über das Urteil gestritten. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), warnte im "Deutschlandfunk": Wenn die Präimplantationsdiagnostik grundsätzlich zugelassen werde, gebe es kein Halten mehr. Dann gehe es nur noch um "Selektionen, was ist lebenswert und was ist nicht mehr lebenswert". Als "hoch problematisch" bezeichneten die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ingrid Fischbach, und die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär, das Urteil: "Die vom Bundesgerichtshof erlaubten Gentests an künstlich befruchteten Embryonen führen zu einer Selektion nach wertem und unwertem Leben. Dieses Aussortieren verstößt gegen die Menschenwürde."
Die Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften, Maria Flachsbarth, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, und der Berichterstatter für Bioethik der CDU/CSU-Arbeitsgruppe Gesundheit, Rudolf Henke, teilten mit, gemäß der deutschen Verfassung sei das menschliche Leben wertvoll und uneingeschränkt schützenswert – unabhängig von Behinderungen oder Krankheiten. "Nach dem Verständnis unserer christlichen Ethik darf der Mensch nicht Objekt fremder Verfügungsgewalt werden." Das Recht auf Leben werde durch die BGH-Entscheidung abhängig gemacht von den Genen.
Vonseiten der Grünen hieß es: "Das Urteil zeigt, dass es längst an der Zeit ist, das schon seit vielen Jahren von Grünen geforderte Fortpflanzungsmedizingesetz auf den Weg zu bringen, um hier Klarheit zu schaffen." Der Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Bundestag, Volker Beck, erklärte im "Handelsblatt": "Ein genetischer Defekt sollte meiner Meinung nach keine Rechtfertigung für die Selektion von Embryonen sein."
FDP: "Sollte in Einzelfällen mögllich sein"
Aus der FDP sind gegenteilige Töne zu hören: Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßte den Richterspruch im "Handelsblatt". "Das Urteil des BGH schafft Rechtssicherheit für die betroffenen Paare in einer ethisch sehr sensiblen Frage." Es gehe nicht um lebenswertes oder unwertes Leben – jeder geborene Mensch genieße gleichermaßen Würde und Anerkennung. Ziel der FDP sei es, Gentests an künstlich befruchteten Embryonen nur im Fall einer "hohen Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit" des Kindes zuzulassen. "Nur in Einzelfällen, bei hoher Indikation, nach vorheriger Billigung durch eine Ethik-Kommission und in wenigen lizensierten Zentren, sollte die Diagnostik möglich sein", sagte Patrick Meinhardt, Obmann der Liberalen im Forschungsausschuss des Bundestags. (pro)