Sterbehilfe: Anspruchsvolle und schwierige Debatte
Der Bundestag hat am Donnerstag über vier Gesetzesentwürfe zur Sterbehilfe diskutiert. Für Parlamentspräsident Norbert Lammert war es die „anspruchsvollste und schwierigste Debatte“ der Legislaturperiode, eine Entscheidung soll im November fallen.
Kerstin Griese hat mit Michael Brand einen Antrag zur Sterbehilfe in den Bundestag eingebracht
Die vier beratenen – häufig fraktionsübergreifende – Gesetzesentwürfe im Bundestag zielen darauf ab, geschäftsmäßig organisierte Sterbehilfe zu unterbinden. Michael Brand (CDU) brachte zunächst einen auch von Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Linke) und Elisabeth Scharfenberg (Grüne) unterzeichneten Entwurf ein, der als favorisiert gilt. Der Antrag will die geschäftsmäßige Förderung der Sterbehilfe unter Strafe stellen. Ansonsten sollen die bisherigen Regelungen gelten.
Den Unterzeichnern gehe es um einen starken Schutz des Patienten gepaart mit einer guten Begleitung: „Sterbende sollten an der Hand und nicht durch die Hand eines Mitmenschen sterben“, erklärte Brand. Das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient müsse gewahrt bleiben. Der Antrag richte sich gegen die geschäftsmäßigen Suizidvereine. Brand warnte davor, eine Tür zu öffnen, weil Kriterien aufgeweicht werden. „Wir dürfen Menschen mit Not und Last nicht alleine lassen und müssen eine schleichende Ausweitung eindämmen.“
„Nicht Staatsanwälte, sondern liebe Menschen am Krankenbett“
Eine Gruppe von Abgeordneten um Peter Hintze (CDU) sowie Carola Reimann und Karl Lauterbach (SPD) will für sterbenskranke, schwerstleidende Menschen die Möglichkeit des ärztlich begleiteten Suizids schaffen. Dies soll im Zivilrecht geregelt werden. Hintze forderte, dass die Hilfe zum Suizid auch weiter straflos bleiben müsse. „Nicht die Staatsanwälte gehören ans Krankenbett, sondern liebe Menschen.“
„Ärzte haben Vertrauen verdient und keine gesetzlichen Regelungen, die sie verunsichern.“ Ein selbstbestimmtes Leben sei der Kern der Menschenwürde, gerade auch am Ende des Lebens. Weil Leiden immer abzuwenden ist, gehe es darum, Ärzten eine sichere Grundlage zu geben und sie nicht durch eine Strafandrohung zu bevormunden.
Keine Paragraphen, sondern die Hand reichen
Eine Gruppe um Renate Künast (Grüne), Petra Sitte (Linke) und Kai Gehring (Grüne) betont die Straffreiheit der Beihilfe zum Suizid. Sie will aber Beihilfe zur Selbsttötung „aus Gründen des eigenen Profits“ bestrafen. Sterbehilfevereine sollen ausdrücklich erlaubt sein, sofern sie keinen Profit erzielen wollen. Was ein würdiges Leben für sich selbst ist, solle nicht der Bundestag, sondern der Mensch selbstverantwortlich regeln, sagte Künast. „Mit zu vielen Regelungen nehmen wir den Menschen ihre Selbstbestimmung am Lebensende.“ Patienten dürfte man keine Paragraphen, sondern die Hand reichen.
Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU) plädierten mit einem neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch dafür, „Anstiftung und Beihilfe an einer Selbsttötung“ zu verbieten. Nur in extremen Ausnahmefällen von großem Leid solle dies straffrei bleiben. Für Patrick Sensburg dürfe ein Dritter nicht bei einem Selbstmord helfen. „Wir sind nah dran an dem, was die Menschen wollen. Es ist keine humanitäre Tat jemanden umzubringen, sondern die letzte Lebensphase mit ihm durchzuleiden ist die humanitäre Tat.“ Nur mit einem Verbot sei hier Klarheit zu schaffen.
Tod nicht optimieren
Kerstin Griese (SPD) wünschte sich zuallererst Hilfe für die Menschen, die von Leid betroffen sind. Ein klares Nein gelte den Vereinen und Einzelpersonen, selbst wenn sie kein Geld damit verdienen. Die aktive Sterbehilfe solle wie bisher strafbar bleiben. „Ärzte müssen in schwierigen Situationen aber individuell helfen dürfen.“ Die Angst jemandem am Lebensende zur Last fallen, führe zum Wunsch zu sterben. „Es geht nicht um Hilfe zum Sterben, sondern um Hilfe beim Sterben.“
Kathrin Vogler (Die Linke) betonte, dass jeder Mensch sein Leben wert sei. Sie selbst habe vor 18 Jahren die Diagnose einer Multiplen Sklerose erhalten. Es gelte, gegen eine Leistungs- und Nützlichkeitsgesellschaft vorzugehen, die nur den Tod optimieren möchte. Carola Reimann (SPD) machte deutlich, dass Menschen, die ein Leben lang für sich entscheiden, dies auch in ihrer letzten Lebensphase tun möchten: „Verzichten wir auf eine Verschärfung des Strafrechts.“
Für Petra Sitte (Die Linke) fehlte die hinreichende Erfahrung im Umgang mit der Sterbehilfe. Daher müsse uneigennützig und ergebnisoffen beraten werden mit der gebotenen Ehrfurcht gegenüber den Sterbewilligen. Thomas Dörflinger (CDU) wünschte sich die Abwägung zwischen der freien Selbstbestimmung des Einzelnen und des Lebens. Die Erfahrung in anderen europäischen Ländern zeige, dass die rechtliche Regelung funktioniere: „Damit die Tür zu bleibt, brauchen wir eine neue Regelung des Paragraphen 217.“
Harald Terpe (Grüne) wollte gerne einer Fremdbestimmung vorbeugen. Es gehe darum, leidenden Menschen Hilfe anzubieten, das Sterben zu erleichtern und ihm seinen Lauf nehmen zu lassen, ohne einer vermeintlich einfachen Lösung das Wort zu reden. Katherina Reiche (CDU) verwies auf die Fälle, in denen der Patient nicht mehr leben kann und will. Dort müsse man den Arzt vor berufsmäßigen Sanktionen bewahren.
Empathie in einer humanen Gesellschaft
Kai Gehring setzte vor allem auf Empathie einer humanen Gesellschaft. Der Mensch sei Souverän des eigenen Lebens und die Sterbewilligen gehörten in den Fokus der Debatte. Deswegen gehe es um eine realitätsnahe Regelung. Hubert Hüppe (CDU) warnte davor, die Ärzte auf das gefährliche Terrain zu holen. „Die Hilfe steht vor der Tötung des Patienten.“ Für seinen Fraktionskollegen Michael Frieser (CSU) sollte der Tod auf Bestellung keine Selbstverständlichkeit sein. Es komme darauf an, mit welcher Einstellung sich der Arzt dem Patienten nähert.
Karl Lauterbach (SPD), der selbst Arzt ist, plädierte dafür, ein Gesetz für viele Menschen auf den Weg zu bringen und nicht gegen wenige. Der Antrag der Abgeordneten Brand und Griese sei kein Antrag der Mitte. Unter diesen Bedingungen würden Ärzte kaum noch Sterbehilfe leisten. Für Detlef Müller (SPD) habe der Mensch nicht nur ein Recht auf Leben, sondern auch auf ein selbstbestimmtes Sterben. Er dürfe sich auf dem schwersten seiner Wege begleiten und helfen lassen.
Muss sich am Totenbett bewähren
Johannes Singhammer (CSU) betonte, dass kein Gesetz den Tod, wohl aber das Sterben beeinflussen kann. In der Phase der Schwäche brauche der Mensch einen besonderen Schutz. Bei schwindender Selbstbestimmung gelte es, die Würde zu wahren. Arnold Vaatz (CDU) wünschte sich eine Regelung, die sich am Kranken- und Totenbett bewähre und nicht in philosophischen Salons. Die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) trat dafür ein, dass bei der Wahrung der Autonomie und Selbstbestimmung am Ende des Lebens auch das Ja zum Leben stehen müsse. Für sie hieß das, so wenige Regeln wie möglich aufzustellen und keine Dienstleistung aus der Sterbehilfe daraus machen.
Der SPD-Politiker Burkhard Lischka warnte davor, dass die Politik allen Menschen ein würdiges Lebensende vorschreibe: „Wenn Menschen dem Tod ins Auge schauen, sollten wir sie nicht in die Illegalität oder ins Ausland treiben. Katrin Göring-Eckardt (Grüne) äußerte ihre Angst vor einer Gesellschaft mit unlauteren Sterbeerwartungen. Zugleich würden Schönheit und Makellosigkeit zu Götzen einer Welt. Claudia Lücking-Michel (CDU) erklärte, dass nicht alles Leid aus dem Leben und dessen Ende verbannt werden könne: „Als Gesellschaft und Gesetzgeber sind wir für die Bedingungen verantwortlich.“ Fraktionskollege Rudolf Henke setzte sich dafür ein, den Tätigkeiten der Sterbehilfevereine ein Ende zu bereiten. Sonst herrsche eine Verunsicherung der Kranken und Schwachen darüber, ob sie noch gewollt, gewünscht und geliebt sind.
Nach der Ersten Lesung werden die Entwürfe jetzt in den Ausschüssen diskutiert. „Antworten kann nur jeder Abgeordnete für sich selbst finden“, erklärte Bundestagspräsident Lammert und wies darauf hin, dass in dieser schwierigen ethischen Frage der Fraktionszwang aufgehoben sei.
Beide Großkirchen gegen Sterbehilfe
Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland haben sich für ein Verbot der organisierten Sterbehilfe ausgesprochen. „Wir müssen verhindern, dass die Suizidbeihilfe in unserem Land zur alltäglichen Selbstverständlichkeit wird“, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. „Ohne ein klares gesetzliches Zeichen gegen geschäftsmäßig angebotene Beihilfe zum Suizid befürchten wir eine zunehmende Aufweichung des Tötungstabus in unserer Gesellschaft“
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, favorisierte den Brand-Entwurf. Er rät dazu, „das Strafrecht außen vor zu lassen und nur auf dem Wege des gesunden Menschenverstandes zu handeln“. Er kündigte an, erst nach der Entscheidung des Bundestages im Herbst über die Berufsordnungen der 17 Landesärztekammern zur Sterbebegleitung reden zu wollen.
Hintergrund
Aktive Sterbehilfe ist zurzeit in Deutschland strafbar. Wer jemanden auf dessen Wunsch tötet, wird wegen Tötung auf Verlangen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Passive Sterbehilfe bezeichnet den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Als indirekte Sterbehilfe versteht man die Verabreichung starker Schmerzmittel (Sedierung), die durch ihre Wirkung auf geschwächte Organe das Leben verkürzen können. Diese ist nicht strafbar, wenn sie dem Willen eines extrem leidenden Menschen entspricht. Suizid und Beihilfe zum Suizid – indem der Arzt zum Beispiel ein Mittel zur Selbsttötung bereitstellt, das der Betroffene selbst einnimmt – sind nicht strafbar. (pro)
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