Vor 500 Jahren musste sich Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms für seine theologischen Thesen verantworten. „Es gibt eine Stunde des Gewissens, in der ein Mensch ganz allein mit sich selbst ist, in der es ganz allein auf seinen Mut, auf seinen Willen und seine Standfestigkeit ankommt“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Festakt in Worms zur Erinnerung der historischen Ereignisse in einer Videobotschaft. Luther habe eine solche Stunde des Gewissens exemplarisch erlebt und bestanden, „weil er bereit war, dafür auch Freiheit und Leben aufs Spiel zu setzen“.
Mit Blick auf das historische Ereignis sagte der Bundespräsident: „Wir sollten deshalb – auch aus Achtung vor wirklich schwerwiegenden Gewissensfragen – nicht jede unserer Auseinandersetzungen, nicht jeden Streit um richtige Wege zu Fragen der Wahrheit und des Gewissens machen.“
Steinmeier in Worms: „Der Selbstbewusste kann sich auf neue Sichtweisen einlassen“
Steinmeier mahnte zu „geduldigem Zuhören“, „wahrhaftigem Austausch“ und der Einsicht, „dass die alleinige Wahrheit meist nie auf einer Seite ist“. So ließen sich sehr viele Fragen zivilisiert und verletzungsfrei klären. „Man muss nicht seinen persönlichen Positionen oder Überzeugungen untreu werden, um das Denken in Feindbildern zu überwinden“, erklärte der Präsident, und weiter: „Selbstbewusstsein ist nicht mit Selbstbehauptung um jeden Preis zu verwechseln. Der Selbstbewusste kann Fragen zulassen und sich auf neue Sichtweisen einlassen.“
In seiner Videoansprache zum digitalen Festakt anlässlich des Jubiläums des Reichstags zu Worms würdigte Steinmeier das Geschehnis als „europäische Sternstunde des erwachten individuellen Gewissens“. Laut vorab veröffentlichtem Redemanuskript sagte Steinmeier: „Dass Religion nicht ohne Freiheit gedacht und gelebt werden kann, dass die Freiheit, nach seinem Gewissen sprechen und leben zu können, zu unseren unverlierbaren Grundüberzeugungen gehört – das lag 1521 ganz gewiss noch nicht im Denkhorizont der Zeitgenossen“.
Luther habe den „Keim zur Überzeugung“ gelegt, „nicht Autorität, weder Kaiser noch Papst, nicht Tradition allein, wie heilig und lang sie auch sei, dürfen das religiöse und schließlich auch das gesellschaftliche Leben bestimmen“. Luthers Beharren darauf, durch Argumente zu überzeugen oder überzeugt zu werden, hätten die geistige, die religiöse und schließlich auch die politische Welt zutiefst verändert, erklärte der Präsident.
Steinmeier verwies auf die „zutiefst tragische Folgen“ des Ereignisses, das letztlich zur Spaltung der Christenheit und zu „schrecklichen Auseinandersetzungen, zu Kriegen, zu Terror und zu unversöhnlichen Feindschaften“ geführt habe. Es habe „unendlich lang gedauert, bis in den Konfessionen endlich nach gebliebenen und neuen Gemeinsamkeiten gesucht wurde“, sagte das Staatsoberhaupt.
Wenn heute Katholiken und Protestanten gemeinsam an die Ursprünge der Reformation erinnerten, dann verdankten sie dies auch „überzeugten Vorkämpfern für die Ökumene“. Steinmeier nannte in diesem Zusammenhang als Beispiel den jüngst verstorbenen Theologen Hans Küng.
5 Antworten
„Luthers Beharren darauf, durch Argumente zu überzeugen oder überzeugt zu werden, hätten die geistige, die religiöse und schließlich auch die politische Welt zutiefst verändert, erklärte der Präsident.“
Ja, schön formuliert. Und nicht ganz falsch.
Aber unvollständig.
Denn Luther hat zurecht deutlich gemacht, es geht nicht um „kluge Argumente“ allein, nicht um Sophisterei. Und auch nicht um „seid nett zueinander“.
Sondern um Wahrheit.
Und auf welcher Basis Gewissen sich bildet und wo Wahrheit gefunden wird, woher also überzeugende Argumente kommen, das hat er so gesagt:
„Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde,
so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe,
und mein Gewissen bleibt gefangen
in Gottes Wort.“
Der erste Satz dieses Artikels enthält leider gleich drei Fehler: 1. Luther musste erst am 17. April vor dem Kaiser erscheinen. 2. Man gab man Luther nicht die Gelegenheit, seine Thesen zu vertreten, sondern fragte ihn nur, ob er seine Schriften widerrufe. 3. Die Auseinandersetzung fand nicht vor dem Reichstag, der zu der Zeit in Worms tagte, sondern am Rande der Veranstaltung am Bischoftssitz, wo der Kaiser zu der Zeit wohnte. Wer es genau wissen will, der schaue auf wikipedia.de oder auf aref.de in mein Kalenderblatt der Woche.
Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Text entsprechend angepasst.
Es bedienen sich wieder allerhand Leute und machen aus Luther ihren Luther.
Dabei braucht es nicht viel Phantasie um zu erkennen, die heutige Kirche hat nicht mehr viel mit der Lutherischen Idee zu tun. Er würde sich vermutlich im Grab umdrehen, und nicht nur weil sich die Zeiten geändert haben.
“ das Wort sie sollen lassen stahn“, herrlich, löst aber bei den „Modernisten“ Ekelgefühle aus.
Aber gefeiert wird trotzdem und wichtige Reden gehalten, the show must go on !
Dass Fundamentalisten Luther zu einem der ihren machen wollen, zeigt einmal mehr, dass sie nicht in der Lage sind, historisch zu denken! Luthers Verständnis vom Wort und Luthers Verständnis von der Schrift sind sehr viel komplexer, als das in dieser missbräulichen Aufrufung erscheint.
https://www.youtube.com/watch?v=BB_NXYgn0Yw
https://www.youtube.com/watch?v=DDkQoSRq1AY
https://www.youtube.com/watch?v=Wgm-OdgWU4s
Man könnte sich ja seriös informieren, aber dann müsste man ja von seinen liebgewordenen Stereotypen und Voruteilen lassen…