Dass Computerspiele nicht mehr wegzudenken sind aus der heutigen Kultur und erst recht als wirtschaftlicher Faktor immens wichtig geworden sind, zeigen die Zahlen: 30 Prozent Wachstum erlebte der Bereich Computerspiele nur allein im Corona-Jahr 2020. Sechs von zehn Deutschen spielen digital, und sie geben für Spiele rund 4,6 Milliarden Euro aus. Damit übertrifft der Umsatz der Computerspiele-Industrie den von Film- und Musikbranche zusammen. „Games sind überall präsent: zu Hause, am Arbeitsplatz, in den Schulen und im Gottesdienst“, sagte der Geschäftsführer des Game-Verbandes, der Interessenvertretung der Videospiel-Industrie in Deutschland, gegenüber dem WDR. Laut einer Bitkom-Studie spielen fast so viele Frauen (47 Prozent) wie Männer (53 Prozent), und der Zuwachs in der Corona-Zeit sei in allen Altersgruppen zu verzeichnen gewesen.
Auf dem Gamescom Congress, der Donnerstag und Freitag digital stattfand, hielten über 60 Experten Vorträge unter anderem zu Computerspielen in der schulischen Bildung. Spezielle interaktive Online-Workshops richteten sich in diesem Jahr daher speziell an Lehrer. Der Kongress fand zum 13. Mal im Rahmen der gamescom statt, die gemeinsam von der Koelnmesse GmbH und dem Verein „game“, dem Verband der deutschen Games-Branche, veranstaltet wird.
Zwischen Profi-Sport und Sucht
„Computerspiele sind tolle Lerngegenstände, die man wie im literarischen Lernen benutzen kann. Wir benutzen Spiele wie ein Jugendbuch. Dabei geht es ebenso um Handlung, Figuren und wie man mit Sprache umgeht“, sagte Jan Boelmann, Professor für Literatur- und Mediendidaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Er untersucht derzeit mit anderen Forschern, wie digitale Spiele im Regelunterricht eingesetzt werden können. Die Studie wird durchgeführt an 30 allgemeinbildende Schulen in Nordrhein-Westfalen und Berlin, beteiligt sind über 2.000 Schüler und rund 100 Lehrkräfte.
Auch für andere Fächer seien Spiele hilfreich: An Spielen wie „Bridge Constructor“ etwa könnten Spieler praxisnah Zugkräfte in Physik erlernen. Selbst Statistik könne man mit einem Spiele-Klassiker wie „Mario Kart“ lernen, so der Pädagoge. Boelmann forderte, dass den Lehrern in Deutschland mehr Freiräume gegeben und die technischen Voraussetzung gestellt werden sollten. „Denn der Wille ist bei den Lehrkräften eindeutig da. Das Medium Film hat 60 Jahre gebraucht, um in der Schule anzukommen. Ich hoffe, wir sind hier schneller.“
Clara Dietrich von der deutschen „Esports Player Foundation“ betonte, dass Esport die Fähigkeiten und die Motivation im Schulunterricht fördern könne. „Gaming gehört zur Alltagskultur von Kindern und Jugendlichen heutzutage“, sagte Dietrich. Die jugendlichen Spieler kooperierten in Teams, manchmal mit Menschen, die sie nur online kennen. Der Esport verbessere nicht nur kognitive Kompetenzen und das Orientierungsvermögen, auch Englischkenntnisse würden verbessert, die Fähigkeit zum Fairplay und die Stressresistenz.
Bei all den Chancen des Esports sollten aber gleichzeitig Eltern auf das richtige Maß beim Spiel ihrer Kinder achten; da gehe es um ausreichend Schlaf, die richtige Ernährung und viel Bewegung. Die Gefahr einer „Internet Gaming Disorder“, also eine fehlende Kontrolle über das Spielverhalten, wolle sie nicht leugnen, so die Expertin. Dietrich schlug fest abgemachte Nutzungzeiten für Kinder vor, etwa 60 Minuten für Kinder zwischen sieben und neun Jahren und 90 Minuten für Zehn- bis Zwölfjährige.
Coronakrise zeigt Notwendigkeit von Digitalisierung
Benjamin Jörissen, Professor für Pädagogik an der Universität Erlangen-Nürnberg, betonte, dass Computerspielen die Resilienz fördern könnten, also die Fähigkeit, mit Krisen umzugehen. Gerade in einer Zeit aufeinanderfolgender Krisen sei dies ein Lerninhalt von besonderer Bedeutung für Jugendliche. „Nachhaltigkeit baut auf kulturellem Wissen auf“, sagte er. Computerspiele leisteten einen Beitrag dazu, denn „die Spielekultur ist im Zentrum unserer Kultur angekommen.“
Als Beispiele für Resilienz fördernde Spiele nannte der Pädagoge das Rätsel- und Jump-’n’-Run-Videospiel „Never Alone“. Hier müsse der Spieler ein Mädchen aus dem Volksstamm der Iñupiat in Nordalaska und ihren Schneefuchs steuern. Nach jedem Level könne man Geschichten über das Leben in dieser Gegend hören, die Ältere des Stammes erzählen. „Hier lernt der Spieler viel über diese Lebensform und die Fähigkeit, gegen Widerstände zu bestehen“, sagte Jörissen. Ebenso vermittele das auch auf dem Computer spielbare Rollenspiel „Dialect“ den Aufbau aber vor allem das Aussterben von Sprachen weltweit.
Bei einer abschließenden Podiumsdiskussion unter dem Titel „DebattleRoyale“ sagte Stefan Hennewig, Bundesgeschäftsführer der CDU, die Corona-Krise habe gezeigt, wie wichtig das Voranschreiten der Digitalisierung ist. Wahlen sollte man indes nicht digital abhalten, da hier kaum die Möglichkeit bestehe, sie im Nachhinein nachzuvollziehen. Als Vater von drei Kindern stelle er zudem fest, dass eine notwendige Digitalisierung in den Schulen nicht allein mit Fördergeldern getan sei. „Lehrer müssen auch auf die Digitalisierung vorbereiten werden.“
Die Forderungen waren voriges Jahr dieselben
Die Frage, ob ein eigenes Bundesministerium für Digitalisierung geschaffen werden sollte, war ebenfalls Thema der Diskussion. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, betonte: „Das Thema ist im Verkehrsministerium falsch angelegt. Es gehört zum Kulturstaatsministerium.“ Er plädierte dafür, die Entwicklung von Spielen in Deutschland mehr zu fördern – nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch weil „Serious Games“ bewiesen hätten, welche wichtige Rolle sie etwa im Gesundheitssektor oder der Bildung spielten. Neben schnellen Internetanschlüssen und digitalen Endgeräten sei an Schulen gute Software nötig: „Games sind ein wichtiger Beitrag zum Lernen“, sagte Kellner.
Volker Wissing, Generalsekretär der FDP, hob die Bedeutung des digital unterstützten Lernens hervor und kritisierte: „Wir haben das Thema in Deutschland verschlafen.“ Gaming sei „ein wertvolles Mittel im Unterricht, auch zur Motivation zum Lernen“. Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Jörg Schindler, kritisierte, dass bereits bei der letzten Gamescom fast die gleichen Forderungen gestellt wurden wie in diesem Jahr. „Nach einem Jahr reden wir genau so wie damals.“ Er forderte, dass jeder Schüler ein digitales Endgerät bekommen sollte und die derzeitigen bürokratischen Hürden für die Anträge dafür wegfallen müssten. Eine Digitalisierung sei zudem dann effektiv, wenn sie öffentlicher werde, etwa durch öffentlich zugängliche WLAN-Netzwerke, so Schindler.