Von Andreas Dippel
Die Kinder sind zwischen drei und zwölf Jahre alt. Sie wurden abgelichtet, während sie fernsehen. Die Blicke der Kinder verraten viel: sie wirken abwesend, ihre Mimik wirkt traurig. Kaum Lebhaftes haben sie mehr an sich, nur die offenen Augen, die starr auf den Kasten vor ihnen gerichtet sind. Wie eingefroren wirken die kleinen Fernsehkinder. Der Fernseher zieht die Kinder so intensiv in seinen Bann.
Wer an Kinder denkt, verbindet diesen Gedanken gemeinhin mit Lebhaftigkeit, Freude und Lachen, Spielen und Toben. Natürlich, Tränen, Schreien und ruhige Momente gehört auch dazu, das ist natürlich. Doch ist es auch normal, dass Kinder wie betäubt sind, dass sie keinerlei Aktivität zeigen, ihr Blick wie versteinert wirkt? Normal ist das dann, so zeigen es die Aufnahmen von Wolfram Hahn, wenn sie vor dem Fernseher sitzen und sich von welchen Bildern auch immer nicht ablenken lassen. Doch gerade das ist das Unnatürliche, mit dem wir uns vielleicht schon abgefunden haben.
Keine Geheimnisse in elektronischen Medien
Aus dieser Lethargie auch auf Seiten der Eltern scheinen die Aufnahmen wachrütteln zu wollen. Gerade deshalb, weil auf den Fotos keinerlei Lebendigkeit gezeigt wird, können die Aufnahmen wach machen. „Entzaubert“ lautet der Titel der Ausstellung, die insgesamt 13 Aufnahmen zeigt, deshalb, weil der Fernseher die Welt der Kinder bildhaft entzaubert. Kinder entdecken immer seltener auf eigenen Beinen die Welt, die voller Neuigkeiten steckt. Jeden Tag können sie Neues lernen und erfahren, mit eigenen Händen greifen und mit eigenen Augen in der Realität sehen.
All das kann Fernsehen, wenn überhaupt, nur unzureichend bieten. Deshalb ist der Titel der Ausstellung auch an ein treffendes Zitat des bekannten US-amerikanischen Autors und Medienwissenschaftlers Neil Postman angelehnt: „…es ist für die elektronischen Medien unmöglich, irgendwelche Geheimnisse zu bewahren. Ohne Geheimnisse aber kann es so etwas wie Kindheit nicht geben.“ Bestseller sind insbesondere Postmans Bücher „Das Verschwinden der Kindheit“ oder „Wir amüsieren uns zu Tode“, in denen der 2003 verstorbene Wissenschaftler mit den Medien und deren Wirkung hart ins Gericht geht.
„Zeit vor dem Fernsehgerät ist nicht mehr aufzuholen“
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreibt Andreas Kilb über die Aufnahmen treffend: „Was erzählen uns diese Gesichter? Nichts. Sie sind stumm. Ebendarin liegt ihr Schrecken. Kein Kind, das bei Sinnen ist, blickt so ausdruckslos auf seine Umgebung. Kein Kind außer den Fernsehkindern. Wenn der Zauber endet, wenn das Bild erlischt, werden sie aus ihrer Lähmung erwachen. Aber die Zeit, die sie vor dem Fernsehgerät verloren haben, wird nicht mehr aufzuholen sein.“
Leider ist das so, bei den ganz Kleinen schon zeigt sich diese Faszination. Und es gilt, dem ausufernden Konsum von Fernsehen und Co. früh genug Einhalt zu gebieten. Wahrhaben wollen wir das nicht immer, wie ein Beitrag eines Lesers zu dem „F.A.Z.“-Artikel exemplarisch zeigen kann: „Waren Sie schon mal beim Kasperletheater, wenn es spannend wird oder wenn ein kleiner Junge zum ersten Mal ein Milchauto sieht?“, fragt der Leser kritisch. Ja, sicher, auch das ist faszinierend. Doch sind es doch reale Momente, die nur selten, wenn nicht nur ein Mal vorkommen und für Kinder eine natürliche Faszination beinhalten. Anders ist das, wenn die Kleinen jeden Tag die Aufführung eines Kasperletheaters oder das vorbeifahrende Milchauto sehen. Dann erlischt die Spannung schnell. Nur beim Fernsehen ist eben das nicht so. Genau das aber hat einen Grund.
Die Fotos werden noch bis 29. Juli im Fotographiezentrum „c/o Berlin“ im Postfuhramt Oranienburger Straße gezeigt. Auf seiner Internetseite www.wolframhahn.de sehen Sie die Aufnahmen online.