Staat verdrängt Religion aus Öffentlichkeit

Religion wird zunehmend aus dem öffentlichen Raum gedrängt. Das beobachtet der Rechtswissenschaftler und frühere Präsident der Universität Frankfurt Rudolf Steinberg. Der Staat sehe sich vor allem durch muslimische Symbole herausgefordert.
Von Jonathan Steinert
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht es in einem Urteil von 2014 für möglich an, das öffentliche Bekenntnis zu einer Religion um des friedlichen Zusammenlebens willen einzuschränken

Der deutsche Staat geht immer mehr auf Distanz zur Religion. Das schreibt Rudolf Steinberg, Professor für öffentliches Recht und ehemaliger Rektor der Universität Frankfurt, in einem Gastbeitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Vor allem die stärkere Präsenz muslimischer Symbole und Kleidungsstücke wie Kopftuch und Gesichtsschleier spiele dafür eine Rolle. Der Autor führt verschiedene Gerichtsurteile an, die darüber gefällt wurden, ob Kopftuch und Schleier an Schulen, von Mitarbeiterinnen einer Behörde oder in der Justiz getragen werden dürfen. Er kommt zu dem Schluss: Religiös konnotierte Kleidungsstücke werden aus immer mehr Bereichen der Öffentlichkeit ausgeschlossen. „Dadurch angestoßen schrumpft der Raum für die Präsentation religiöser Symbole erheblich. Die Laizität ergreift immer mehr Bereiche von Staat und Gesellschaft.“

Das staatliche Neutralitätsgebot in Deutschland bedeute nicht, Religion von Staat fernzuhalten, anders als das Prinzip der Laizität in Frankreich. Jedoch gleiche sich die deutsche Rechtsprechung im Umgang mit Religion der französischen an und werde zudem oft von europäischen Entscheidungen „überformt“.

Verlust für die Gesellschaft

Das Prinzip der Laizität werde heute weiter gefasst: Religion solle aus der Öffentlichkeit ins Private gedrängt werden, um mögliche Konflikte zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft zu entschärfen und das friedliche Zusammenleben zu sichern. Das könne jedoch auch ins Gegenteil umschlagen und gerade zu Spaltung und Konflikten führen, warnt Steinberg. Religiös gepräge Konflikte werden zunehmen, prognostiziert er und macht dafür vor allem das „zunehmende Gewicht eines orthodoxen Islams“ in der Türkei und den Herkunftsländern vieler Migranten verantwortlich. Gerade junge Menschen zeigten religiöse Symbole oft als Zeichen der muslimischen Identität.

Der Islam werde die religiöse Entwicklung in Europa beschleunigen. Die zunehmende Säkularisierung, die abnehmende Prägung des gesellschaftlichen Lebens durch die christliche Religion, trage auch dazu bei. Als besonders wirkungsvollen Schlag gegen die Kirchen bezeichnet Steinberg ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das den Kirchen Freiheiten beim Arbeitsrecht entzog.

Wenn Religion weiter aus der Gesellschaft zurückgedrängt werde, gehe ihr damit allerdings vieles verloren, schreibt Steinberg: „Die mäßigende, aufgeklärte und den Gemeinsinn fördernde Stimme der Religion in den Schulen, in den sozialen Aktivitäten, in den Diskussionen über die Zivilität der Gesellschaft“.

Von: Jonathan Steinert

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