Spuckattacken auf Christen

Seit Jahren kommt es in Jerusalem vereinzelt zu Spuckattacken auf christliche Ordensleute durch Juden. Das Thema ist nicht neu. Doch in den vergangenen Monaten bekam es im In- und Ausland die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit.
Von PRO
Jerusalem

Auch wenn es Einzelfälle sind – über eine unangenehme Situation berichten christliche Ordensleute in Israel seit Jahren: Wenn Priester, Mönche und Nonnen mit ihrem Habit durch die Altstadt von Jerusalem laufen, kommt es immer wieder vor, dass Juden verachtungsvoll vor ihnen ausspucken. Bei den Angreifern handelt es sich überwiegend um nationalreligiöse und ultra-orthodoxe Jugendliche. Einzelne Priester behaupten, sie erlebten die Spuckattacken inzwischen täglich.

Auch Anschläge auf christliche Institutionen sind bekannt: Immer wieder werden Klöster und Kirchen in der Jerusalemer Altstadt mit Graffiti beschmiert. Zu Jahresbeginn schändeten zwei jüdische Jugendliche mehr als 30 Grabsteine auf dem historischen protestantischen Friedhof auf dem Zionsberg – der Sachschaden belief sich auf mehr als 94.000 Euro. Im Februar stürzte ein psychisch kranker US-amerikanischer Jude die Christusstatue von einer Säule in der Geißelungskapelle der Franziskaner. Wenige Wochen später erfolgte ein weiterer Angriff auf eine polnische Kirche in der Altstadt.

Zu Pfingsten versammelten sich charismatische Christen aus aller Welt, um einen Gottesdienst südlich der Jerusalemer Tempelmauer zu feiern. Sie wurden massiv von jüdisch-orthodoxen Männern gestört.

Ohne Anzeige keine Verurteilung

Manche Ordensleute kritisieren, dass die israelische Regierung nichts tue, die Polizei nicht genügend involviert sei und den Tätern nicht genug nachgehe. Die Polizei wiederum moniert, dass sie nicht genug handfestes Material habe, um bei Hinweisen zu ermitteln. Die Kameraüberwachung sei nur unzureichend ausgebaut. Zudem mäßen viele Ordensleute dem Spucken nicht genug Bedeutung bei, sodass sie es nicht zur Anzeige brächten. Ohne Anzeige kann die Polizei wiederum nicht reagieren.

In den vergangenen Monaten zeigten Ordensleute die Übergriffe bei der Polizei vermehrt an und manche gaben Zeitungen im In- und Ausland Interviews. Die Jerusalemer Bevölkerung konnte sich diesem Thema nicht mehr entziehen.

Keine Christenverfolgung in Israel

Wer in den vergangenen Monaten die Nachrichten aus und über Israel verfolgte, dem konnte angst und bange werden: Meldungen über „Christenverfolgung“ im jüdischen Staat häuften sich und führten zu teils abstrusen Aussagen.

In der christlichen Quartalszeitschrift des Jerusalemsvereins (Berliner Missionswerk) „Im Lande der Bibel“ war etwa zu lesen: „Die Gewalttaten gegenüber Christen in Israel und Palästina haben in den letzten Monaten zugenommen. Die Zahl der Christen nimmt seit Jahren kontinuierlich ab.“

Für die palästinensischen Gebiete ist das richtig, wobei die Gründe für die Abwanderung der Christen vielfältig sind. Für den jüdischen Staat gilt die Aussage nicht. Zwar ist die Zahl der Christen mit etwa 185.000, die knapp 2 Prozent der Bevölkerung entsprechen, relativ gering. Aber in den vergangenen Jahren steigt sie an – trotz zurückgehender Geburtenrate.

Die gleiche Zeitschrift zitiert unter der Überschrift „Über die schwierige Situation der Christen in Jerusalem“ den Rundbrief einheimischer Christen und schreibt von einer „Rekordzahl von Todesopfern in Palästina durch die militärische Besatzung“. 2022 sei damit „das tödlichste Jahr für Palästinenser seit 2005“.

Faktisch mag die Angabe korrekt sein, doch unter der Überschrift ist die Aussage irreführend. Die hohen Todeszahlen in den palästinensischen Gebieten sind kein Zeichen der „schwierigen Situation der Christen in Jerusalem“. Sie kommen vielmehr zustande, weil es einerseits in den palästinensischen Städten Razzien gibt, in denen die israelische Armee nach Terroristen sucht – übrigens mit dem Einverständnis palästinensischer Sicherheitskräfte. Andererseits werden palästinensische Attentäter, die mit Messer oder Autos Juden angreifen, häufig noch am Tatort von Sicherheitskräften erschossen. Ihr religiöses Bekenntnis spielt dabei keine Rolle.

Mitte Juni lud die Historikerin Jiska Harani gemeinsam mit der „Open University of Jerusalem“ (OU) zu einer Konferenz ein, in der sie die Spuckattacken thematisierte. Die Forscherin, die in Israel als Expertin für christliche Themen gilt, wollte damit einem weitgehend unbekannten Thema Aufmerksamkeit verschaffen.

Ursprünglich sollte der Konferenztitel lauten „Warum spucken Juden Christen an?“. Im kollektiven Gedächtnis der Juden ist aber vor allem die jahrhundertelange Judenverfolgung durch Christen präsent, sodass viele Juden erbost reagierten. Sie wiesen darauf hin, dass es sich hier um Einzeltaten und -täter handele. Außerdem seien die Spuckattacken – im Gegensatz zur traditionellen Judenverfolgung – kein Massenphänomen.

Deshalb änderten die Veranstalter den Titel zu „Warum spucken manche Juden Christen an?“. Eingeladen waren Ordensleute zahlreicher Denominationen, Forscher der OU und der Hebräischen Universität von Jerusalem (HUJI), sowie die breite israelische Bevölkerung. Weil der Raum zu klein war, wurde letztere jedoch gebeten, sich auf digitalem Weg zuzuschalten. Die Veranstaltung wurde aus dem Hebräischen ins Englische ­übersetzt – und trotz kurzfristiger Einladung nahmen mehrere hundert Israelis auf digitalem Wege teil.

Keine Rechtfertigung durch das Judentum

Dass Juden auf Christen spucken, kann nicht durch die Quellen des Judentums gerechtfertigt werden. Zu diesem Ergebnis kam der Talmudexperte Jair Furstenberg auf der Konferenz. Er betonte, dass es manchmal wichtig sei, das Offensichtliche auszusprechen. Deshalb stellte er die Frage: „Gibt es Anleitungen zur Demütigung in der Halacha, im jüdischen Religionsgesetz?“ Der HUJI-Professor beantwortet die Frage gleich selbst: „Ein ganz klares NEIN!“

Der Israeli Barak erzählt gegenüber Israelnetz von seiner Zeit als Jugendlicher in der Toraschule. „Damals“, so erinnert sich der Mittdreißiger, „lehrte man uns in der Jeschiva, dass wir uns bei der Begegnung mit einem Christen wegdrehen oder ihm vor die Füße spucken sollten.“ Auch wenn er niemals einen Christen ­angespuckt hat – diese Denkweise war Teil seiner Lebenswirklichkeit. Heute ist er peinlich berührt, wenn er an diese Zeit zurückdenkt und überzeugt, dass dieses Denken nicht zum Judentum passt.

Im Sommer kam es in Haifa zu mehreren Übergriffen von religiösen Juden auf das Karmelitenkloster Stella Maris. Als Reaktion stattete Staatspräsident Jitzchak Herzog dem Kloster einen Besuch ab. Damit wollte er die Verpflichtung des Staates Israel gegenüber der Religionsfreiheit kräftigen. „Christliche Bürger, unsere Brüder und Schwestern, fühlen sich an ihren Orten des Gebets, auf ihren Friedhöfen, auf der Straße angegriffen“, sagte der Präsident. „Ich sehe dies als ein extremes und inakzeptables Phänomen an.“

Auch Polizeichef Kobi Schabtai begleitete Herzog bei seinem Besuch. Wenige Wochen später lud er Polizeibeamte in Führungspositionen und kirchliche Vertreter zum Gespräch in die Jerusalemer Davidszitadelle. Die Teilnehmer waren sich einig: Die Spuckattacken sind strafbar und nicht tolerabel. Doch um sie strafrechtlich verfolgen zu können, müssten die Bespuckten den Sicherheitsbehörden die Vorfälle mitteilen.

Mit Kenntnis auf die Angriffe reagieren

Bis Vorurteile auf allen Seiten abgebaut sind, dürfte es noch einige Zeit dauern. Solange sind Christen gut beraten, einerseits Unrecht klar beim Namen zu nennen. Und andererseits die jüdischen Geschwister nicht pauschal zu verurteilen, sondern ihnen die Hand zu reichen. So berichten Kenner der Thematik beispielsweise von Ordensleuten, die auf solche Angriffe mit fließendem Jiddisch reagierten oder Aussagen des Talmud zitierten. Die Angreifer wiederum fühlten sich ertappt und nahmen Reißaus.

Mit Sicherheit werden diese jungen Provokateure künftig von leidigen Spuckattacken absehen. Und vielleicht werden für sie sogar irgendwann Gespräche mit einem Christen möglich.

Von: Merle Hofer

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