Was dieser Mann in der schwarzen Kutte eines Priesters und mit der platten Mütze auf dem Haupt da plötzlich in einem Gottesdienst von sich gibt, ist revolutionär. Als Huldrych Zwingli (1484–1531) die übliche lateinische Liturgie beiseite lässt und sich auf Deutsch direkt an das versammelte Volk wendet, löst er nicht nur ein Raunen unter den Geistlichen und in der Gemeinde aus, sondern auch ein Grollen, das man bis nach Rom hört.
„Wer von Euch kennt dieses Buch wirklich?“, fragt dieser junge Priester und weist auf die Bibel. Wie ungewöhnlich diese Frage in jener Zeit war, wird deutlich, wenn der Film die ratlosen Gesichter der Christen zeigt: Wieso sollte sich ein gemeiner Bürger mit der Heiligen Schrift auskennen, wenn dafür doch das „Bodenpersonal Gottes“ zuständig ist?
Der in der Schweiz produzierte Spielfilm „Zwingli“, der passend zum Reformationstag am 31. Oktober 2019 in den deutschen Kinos startet, bringt erstmals den Reformator Zwingli auf die große Leinwand. Der Schweizer war für die Reformation eine wichtige Figur, und doch steht er immer ein wenig im Schatten Martin Luthers. Regie führte Stefan Haupt, der selbst aus Zürich stammt, wo der Film spielt.
Römisch, aber auch biblisch?
Zwingli räumt mit vielen damals weit verbreiteten Ansichten auf, von denen zwar nichts in der Bibel steht, die die Kirche in Rom aber als christliche Wahrheiten verkauft, um ihre Macht zu erhalten. „Es gibt kein Fegefeuer“, sagt Zwingli, und noch viel mehr Unerhörtes, was ihm natürlich Probleme mit den Kirchenoberen einbringt.
Was man heute Predigt nennt, also den Bibeltext vorlesen und dann auslegen, ist in der damaligen Kirche unbekannt. Und weil katholischen Priestern die Ehe nicht erlaubt ist (wovon in der Bibel nichts steht), müssen sie heimlich eine „Konkubinatssteuer“ zahlen, sollten sie ein Kind in die Welt setzen. Das Fegefeuer hält die Gläubigen in Angst und veranlasst sie, brav Geld zu zahlen, damit es ihren verstorbenen Angehörigen gut geht. Außerdem muss kein Christ für sein Seelenheil fasten.
„Was soll das denn jetzt?“, fragt ein katholischer Geistlicher entsetzt Zwingli, der fest entschlossen ist, die Bibel und ihre eigentliche Botschaft vom Evangelium den armen Leuten zu bringen. Was der Geistliche hinzufügt, klingt wie ein Witz, wird aber zu bitterem Ernst, wenn die starre Haltung der Kirche später zu viel Leid und Tod führt. Er sagt: „Musst du dich um das Seelenheil der Leute kümmern?“ Ein Seitenhieb auf die Kirchenoberen, der sitzt.
Ein Bischof warnt Zwingli: „Fang mir nicht an, hier herumzufuhrwerken wie der Luther.“ Das nun ist der größte Stress, den man den Kirchenoberen antun kann: Ihr in sich geschlossenes Glaubenssystem mit der Bibel in Verbindung zu bringen. Sollten die einfachen Leute lernen, die Bibel selbst zu lesen und zu glauben, würden die römischen Mauern schnell ins Wanken geraten.
Dem Gläubigen bleibt das Suchen nicht erspart
Es ist vor allem diese Botschaft, die der Film exzellent herausarbeitet und die ihn so empfehlenswert macht. Hinzu kommen eine authentische Kulisse und ein guter Cast. Außerdem verdiente es allein die Liebesbeziehung Zwinglis zu seiner späteren Ehefrau Anna Reinhart, filmisch erzählt zu werden.
„Zwingli – Der Reformator“ hat eine wertvolle Botschaft, die an den Grundfesten der Kirche sägte und vielleicht an vielen Stellen bis heute sägt und die viele Menschen zu einem Glauben an einen gütigen Gott befreite. „Gott bestraft uns nicht, auch wenn wir Fehler machen“, lautet ein Credo, das sich im Film wiederholt. Dabei hat der alte Glaube der Kirche, das „Outsourcen“ des Glaubens an bezahlte Experten, durchaus etwas Verlockendes. Denn es ist einfacher, das Glauben jemandem anderen zu überlassen, als selbst mit Zweifeln kämpfen zu müssen. Aber kann es wirklich im Sinne Gottes sein, dass wir den Verstand, den er jedem von uns gegeben hat, nicht nutzen?
Vielleicht ist es der Drehbuchautorin des Films, Simone Schmid, zu verdanken, dass es Zwinglis Frau Anna ist, die die wichtigste Botschaft des Films im Schlusswort auf den Punkt bringen darf: „Viele wünschen sich die alten Gewissheiten zurück, aber ich weiß: Es bleibt uns nichts anderes übrig, als auf der Suche zu sein.“
Und Luther? Der kommt nur am Rande vor, in einem kurzen Bericht Zwinglis von seinem Versuch, sich mit dem Urheber der Reformation in Marburg zu einigen. Enttäuscht winkt er ab: „Luther glaubt immer noch, wir würden beim Abendmahl den echten Körper von Jesus fressen und sein echtes Blut saufen. In seinem Kopf steckt immer noch der Papst.“ Vielleicht war Zwingli der radikalere Reformator, der in Zürich genau am richtigen Ort war und die Schweiz veränderte. Für immer.
„Zwingli – Der Reformator“, 128 Minuten, Preview: 31. Oktober 2019 in Herford, Kinostart: ab 6. September 2019
Von: Jörn Schumacher