„Sie hetzen gegen Juden, hängen ihren Jüngern schwere Holzkreuze um, glauben an Engel und Katzen-Dämonen – in den großen Kirchen finden viele Sektierer ihre Heimat“, heißt es im Artikel auf der Internetseite „Spiegel Online“. Der Ableger des Magazins „Der Spiegel“ will aufklären – über „katholische und evangelische Fundamentalisten“. Seltsam nur, was die Verfasser ihren Lesern als Sekten verkaufen wollen.
„Homeschooling“ – fundamentalistisch, extremistisch, christlich?
„In den Reihen evangelischer Fundamentalisten gibt es beispielsweise den Homeschooling-Verband, deren Mitglieder es ihren Kindern verbieten, staatliche Schulen zu besuchen – weil sie sowohl den Sexualkundeunterricht als auch die Evolutionstheorie als atheistisch ablehnen. Sie sind der Ansicht, dass Kinder durch den Aufklärungsunterricht zur sexuellen Betätigung animiert werden“, heißt es im Artikel beispielhaft über „christliche Extremisten“. Allein überrascht: einen „Homeschooling-Verband“ gibt es in Deutschland nicht. Gruppierungen, die sich für den „Heimunterricht“ einsetzen, sind in der Regel nicht christlich, etwa der Verein „Schulbildung in Familieninitiative“ oder das „Netzwerk Bildungsfreiheit“.
Selbst im christlichen Bereich ist das Thema „Homeschooling“ wesentlich komplexer, als es von „Spiegel Online“ dargelegt wird. Oftmals erfolgen die häuslichen Unterrichtseinheiten nach schulischem Lehrplan, und die Eltern arbeiten mit Materielien und Büchern, die ebenso in staatlichen Schulen zur Verfügung stehen. Nicht selten ist es weniger die weltanschauliche, sondern vielmehr die pädagogischen Ausrichtung, die Eltern dazu veranlasst, ihre Kinder aus der regulären Schule zu nehmen. Der Einzelunterricht, so die Ansicht vieler „Homeschooler“, verhelfe zu einem besseren Lerneffekt, als es ein Unterricht mit 20 bis 25 Gleichaltrigen tue. Freilich, in Deutschland ist der Schulgang gesetzliche Pflicht. Doch vom „christlichen Extremismus“ sind „Homeschooler“ weit entfernt.
Die sinnentleerte Phrase „Fundamentalismus“
Der „extreme Protestantismus“ im allgemeinen, so schreibt „Spiegel Online“ weiter, konzentriere sich auf die „Literalität der Bibel und den Kreationismus“. „Die Gruppen sind nicht gewalttätig – aber rechtstreu sind sie auch nicht“, erklären die Autoren. Sie versäumen es aber aufzuzeigen, inwiefern solche „Fundamentalisten“ gegen das deutsche Recht verstoßen. „Sie erleichtern die Navigation durch die liberale Gesellschaft – und schränken im Gegenzug die Freiheit des Einzelnen ein.“ Auch hier fehlt jeglicher Beleg, nicht einmal ein Beispiel wird genannt.
„Spiegel Online“ stellt mit den Worten des Münchner Theologieprofessors Friedrich Wilhelm Graf über die wertkonservative Haltung fundamentalistischer Strömungen fest: „Es geht um eine Bekämpfung der liberalen Wertordnung, einen Kampf gegen Homosexualität, gegen die liberale und offene Gesellschaft und zum Teil gegen die Migration.“
Der wohl massivste Fehler des „Spiegel“-Beitrags ist die fehlende Definition des Wortes „Fundamentalismus“. Daran scheitern auch die Autoren selbst. Organisationen und Gruppen wie etwa den „Homeschoolern“ vorzuwerfen, sie kämpften gegen Homosexualität und eine offene Gesellschaft, ist völlig aus der Luft gegriffen.
Fatalerweise sind es nicht nur die Autoren von „Spiegel Online“, die sich im Begriffswirrwarr christlicher, fundamentalistischer, evangelikaler, radikaler und extremistischer Strömungen verheddern. So wie derzeit gegen Papst und Vatikan die „Antisemitismus-Keule“ geschwungen wird, leiden viele evangelische Christen in den Medien unter dem Stigma des „evangelikalen Fundamentalismus“. Zur Erinnerung: Laut „Meyers Wörterbuch“ bezeichnet Fundamentalismus das „allgemeine kompromisslose Festhalten an Grundsätzen“. Kennzeichnend für solche Bewegungen ist die Ablehnung jeglichen Dialogs über die Geltungsansprüche der eigenen Anschauungen. Mit Gewalttätigkeit oder geistiger Verarmung hat das zunächst rein gar nichts zu tun – ebenso wie mit den vielfältigen evangelikalen Strömungen. (PRO)