Das Titelbild des "Spiegel", der am Samstag herauskam, trägt das Konterfei Jesu auf rotem Grund, allerdings stilistisch verfremdet, so dass es an das weltberühmte Bild des Revolutionsführers Che Guevara erinnert. "Der Rebell Gottes" steht darunter. Dem Heft liegt eine DVD mit der Dokumentation "Wer war Jesus von Nazareth" bei. Der 70-minütige Film ist von Silvana Rosenzweig.
Religionswissenschaftler hätten nachgeforscht, ob die Berichte über die Kreuzigung und über die Friedfertigkeit Jesu wahr sein können. War Jesus ein Revoluzzer, vielleicht sogar gewaltbereit? "Bibelforscher sehen die historische Gestalt des Messias in neuem Licht", schreibt der Autor Matthias Schulz.
Der Autor zieht verschiedene Bibelstellen heran, die zeigen sollen, dass Jesus nicht so sanftmütig war, wie spätere Überlieferer glauben machen wollten. Ein Hinweis darauf sei etwa der Bericht von Jesus bei der "Tempelreinigung", wo er die Tische der Händler im Tempel von Jerusalem umstößt. Der Artikel stellt einige Berichte der Bibel in Frage, andere zieht er als Beleg für die These vom Rebell Jesus heran. "War Jesus wirklich so friedfertig, wie die Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes weismachen wollen?"
Wollte Jesus ein neues Reich auf Erden oder im Himmel?
Der britische Autor Nick Page habe Jesus in seinem neuen Buch "Die letzten Tage Jesu" mit einem "wandelnden Pulverfass" verglichen. Der Neutestamentler Gerd Theißen finde, dass Jesus ein Aufwiegler, ein "Weltrevolutionär" gewesen sei. Und der Theologe Martin Ebner von der Universität Münster gehe davon aus, dass Jesus eine bestimmte Regierungsform angestrebt habe. Denn Jesus habe offenbar das Finanzsystem des Jerusalemer Tempels abgelehnt, zum Steuerboykott aufgerufen und unter seinen Anhängern "Leute einer gewaltbereiten Kaste" gehabt, heißt es im Artikel.
Weiter schreibt der "Spiegel"-Autor: "Der Heiland als Rebell – haben biblische Zensoren da etwas umgeschminkt und geschönt? Unzweifelhaft ist, dass Jesu Agitationsfeldzug für das ’nahe Himmelreich‘ eingebettet war in einen breiten Freiheitskampf, der damals im Gelobten Land tobte." Im Neuen Testament fänden sich "seltsame Brüche und verräterische Spuren, die den Wanderprediger aus Galiläa in die Nähe eines gefährlichen Empörers rücken".
Jesus habe zwar gefordert, dass man die andere Wange hinhalten müsse, wenn man geschlagen werde, "doch er erklärt auch: ‚Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert (Matthäus 10,34)." Außerdem sagte Jesus beim Abendmahl: "Wer einen Geldbeutel hat, der nehme ihn, desgleichen auch die Tasche, und wer’s nicht hat, verkaufe seinen Mantel und kaufe ein Schwert." (Lukas 22,36)
Fußt das Christentum auf Geschichtsklitterung?
Die Bibel erwähne an mehreren Stellen, dass Jesus in "Zorn" gerate. "Er wütet gegen den Mammon. Reichen verweigert er den Zutritt zu seinem Himmelreich. Das vierte Gebot wischt er mit scharfen Worten vom Tisch: ‚Wenn jemand seinen Vater, Mutter nicht hasst, der kann nicht mein Jünger sein (Lukas 14,26)." Auch der Umgang mit Dämonen und unreinen Geistern sei keine "Kuscheltherapie" gewesen, stellt der Autor fest. In Disputen war Jesus nicht zimperlich, seine Argumente trafen fast immer ins Schwarze, und nicht selten provozierten sie seine Zuhörer. Staatliche Autoritäten schüchterten ihn ebenso wenig ein wie religiöse.
Jesus sei als Politiker gescheitert, so Schulz. Aber immerhin gebe er manchen Menschen Hoffnung. Für den Autor steht fest: "Auf geniale Weise deuteten die Verkünder der Kreuzesreligion das schreckliche Geschehen zum Triumph um und ließen einen Rebellen aus seinem Grab zum ewigen Leben auferstehen. (…) Zu diesem Zweck zeichneten sie Jesus besonders sanftmütig und legten ihm gnadenreiche Worte in den Mund. Der wahre Kämpfer für ein Diesseits wurde vertuscht und in den Hintergrund gedrängt. So gesehen würde die christliche Religion auf Geschichtsklitterung fußen". (pro)