„Spiegel“-Autoren beleuchten Facetten Jesu

Es gibt viele Geschichten und Mythen über Jesus von Nazareth. Die historischen Fakten haben "Spiegel"-Autoren, Kirchenhistoriker und Theologen gesammelt. Ihr Ergebnis ist das von Annette Großbongardt und Dietmar Pieper herausgegebene Buch "Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums", das Ende November im DVA-Verlag erschienen ist. Für gläubige Christen erbaulich ist das natürlich nicht.

Von PRO

Diverse Autoren beleuchten dabei nicht nur historische Weggefährten wie Maria Magdalena, Johannes den Täufer, Pontius Pilatus oder den Apostel Paulus genauer, sondern auch die Welt in der sie sich bewegten. Das Buch gliedert sich in vier Teile und beleuchtet zunächst das "Leben Jesu", danach die "Antike Welt", den "Alltag in Palästina" und im vierten Teil die Ausbreitung des "Neuen Glaubens".

Epochale Wirkung auch bei Nicht-Christen klar

Der Leser wird mitgenommen auf eine Reise, in der es einem Handwerker-Sohn gelang, die Welt so zu verändern, dass aus einer kleinen Glaubensgemeinschaft eine mächtige Weltreligion entstand. Themen des Buches sind auch die Abspaltungen des Christen- vom Judentum und der Bekennermut der ersten Christen. Laut "Spiegel"-Redakteur Dietmar Pieper sollte auch nicht-gläubigen Menschen die epochale Wirkung Jesu klar sein. Bei genauerer Beschäftigung mit Jesus als Menschen müssten sich die Menschen allerdings von einigen schönen christlichen Erzählungen verabschieden.

Der freie Autor Christian Schüle begibt sich auf eine Spurensuche im antiken Palästina. Er betont, dass bis zu Jesu Auftreten kaum jemand etwas von ihm vernommen hatte. Er gibt aber zu bedenken, dass dessen Bild später von vielen christlichen und unchristlichen Quellen und Vorstellungen überformt wurde. Jesu Provokation habe darin bestanden, dass er aus dem Nichts kam und das für viele so lange ersehnte Königreich Gottes bringen wollte: Erst nach Jesu Tod am Kreuz habe sich die Meinung etabliert, dass Jesus Christus für die Sünden der Menschen gestorben sei.

Keine Historiker, sondern Gläubige

"Tagesspiegel"-Redakteurin Claudia Keller macht klar, dass die Verfasser der Evangelien keine Historiker, sondern "nur" Gläubige waren. Für viele Christen sei es schwer erträglich, dass keiner genau wisse, wie Jesus gelebt hat. Erst eine Generation nach Jesu Tod hätten die Menschen damit begonnen, dessen "Botschaft vielstimmig" zu überliefern. Sie bemerkt kritisch, dass über die vier Evangelien hinaus weitere Evangelien aus dem Kanon aussortiert wurden und somit die Kanonisierung hin zur Bibel eine "Geschichte der Ausgrenzung" sei. Der Berliner Kirchenhistoriker Christoph Markschies beschreibt die damalige Sehnsucht nach einem neuen Glauben und seine Suche als Wissenschaftler nach dem wahren Jesus. "Spiegel Geschichte"-Redakteur Rainer Traub stellt dar, dass zu der Zeit, als in Palästina die ersten Christen getauft wurden, die übrigen Weltreligionen wie Judentum, Hinduismus und Buddhismus schon viele Anhänger hatten.

Der Nahost-Korrespondent Gil Yaron geht auf die schimmernde Pracht und die Ausstrahlung der Stadt Jerusalem ein. Er beschreibt anschaulich, wie zu den Wallfahrtsfesten damals riesige Zeltstädte entstanden. Der Tempel sei aber nicht nur Zentrum des jüdischen Kults gewesen, sondern auch immer Kristallisationspunkt patriotisch-religiöser Emotionen – oft sogar Spannungen, die an den Feiertagen ihren Höhepunkt erreichten. Uwe Klußmann beschäftigt sich in dem Beitrag "Unter den Augen des Kaisers" mit der Rebellion der Juden gegen die römische Herrschaft. Während die Gegend um Jerusalem ein politisch heißes Pflaster war, habe sich in den Provinzen die sich ausbreitende Korruption zu einer tragenden Säule des Herrschaftssystems entwickelt.

Gut zu lesen ist das Kapitel über Pontius Pilatus. Dabei wird deutlich, dass der Mann, der Jesus verurteilte, lediglich ein treuer Diener seines Kaisers sein wollte. Frank Thadeusz versucht, die berühmteste Kreuzigung der Antike nachzuzeichnen. In dem Kapitel äußert der Pathologe Frederick Zugibe seine  Bedenken, dass Jesus – anders als biblisch überliefert – überhaupt noch in der Lage gewesen sein konnte, sein Kreuz bis nach Golgatha hochzutragen.

"Die Medizin kommt von Gott, die Ärzte auch"

Dass ein Wunderheiler wie Jesus in der damaligen Zeit nichts ungewöhnliches war, meint Christoph Seidler: "Wer wie der Wunderheiler Jesus den Tod nicht nur geisitg, sondern auch ganz real in seine Schranken weisen konnte, der genoss hohes Ansehen." Während das frühe Christentum medizinischer Heilkunst zunächst sehr kritsch gegenüber stand, habe man sich hinterher darauf geeinigt: "Die Medizin kommt von Gott, die Ärzte auch."

Der Journalist Sebastian Borger geht auf die Menschen ein, die den engsten Kreis um Jesus bildeten: seine Jünger. Er betont, dass diese auch Vorbilder und Leitfiguren für die Menschen damals waren: Borger behauptet, dass einige Evangelisten Passagen ihrer Bücher in pädagogischer Absicht formuliert hätten, damit "sich Neugierige und frisch bekehrte Zuhörer mit den Menschen identifizieren konnten", die durch Suche und Irrtum zum Glauben gefunden haben.

Weil zur Jesusbewegung von Anfang an auch Frauen gehörten, widmet sich die katholische Theologin Sabine Bieberstein von der Universität Eichstätt-Ingolstadt diesem Thema. Sie hebt die einzigartige Bedeutung von Maria der Mutter Jesu hervor. Michael Sontheimer rekonstruiert, wie sich nach Jesu Tod in Jersualem die ersten christlichen Gemeinden bildeten und sich schon bald Heiden taufen lassen konnten. Aus Sontheimers Sicht habe das Apostelkonzil in Jerusalem mit seinen Beschlüssen wie der Heidenmission dazu beigetragen, dass das Christentum den Siegeszug antreten konnte.

Leben der Verbreitung des Evangeliums gewidmet

Am Ende des Buches portraitiert Jürgen Gottschlich Paulus und damit die Zeit nach Jesu Tod und Auferstehung. Der Buchautor sieht den Missionar der Griechen und Römer als "Getriebenen", der sein Leben der Verbreitung des Evangeliums widmete. Aus Sicht von Annette Großbongardt finden Menschen, die sich auf Jesu Spuren im Heiligen Land begeben, dort kaum historische Beweise für sein Wirken. Allerdings seien sie angerührt von der "erlebten Gnade", wie Großbongardt sie nennt.

Das Buch gibt einen guten Einblick in viele Zusammenhänge und Bereiche des Lebens und der Zeit Jesu. Das macht es an vielen Stellen informativ. Dass die "Spiegel"-Autoren um eine historisch-kritische Darstellung Jesu bemüht sind, dürfte kaum überraschen. Im Anhang befinden sich ein Glossar mit wichtigen religiösen Begriffen, eine Chronik und wichtige Buchhinweisen. So vermittelt  "Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums" zwar viel Wissen, aber gerade für gläubige Christen dürfte nicht alles, was sie lesen, erbaulich sein. (pro)

"Jesus von Nazareth und die Anfänge des Christentums", herausgegeben von Annette Großbongardt und Dietmar Pieper. 288 Seiten, ISBN 978-3-421-04599-7, Deutsche Verlags-Anstalt, 19,99 Euro.

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