Nach dem Terroranschlag in Paris solidarisieren sich im Netz und auf den Straßen tausende Menschen mit einem französischen Satiremagazin, das gerne sämtliche Religionen verhöhnt. Warum Christen mitmachen sollten – und was Pegida damit zu tun hat. Ein Kommentar von Nicolai Franz
Ein Kind hält am 7. Januar das Solidaritätssymbol „Je suis Charlie” in den nächtlichen Himmel Brüssels
Ich bin Christ. Mein Glaube ist mir sehr viel wert. Ich versuche, so gut wie möglich Jesus nachzufolgen, auch wenn ich es oft nicht schaffe. Weil ich überzeugt davon bin, dass dies die beste Art zu leben und zu glauben ist. Es verletzt mich, wenn Menschen meinen Glauben, meinen Gott verhöhnen.
Und ich bin Demokrat. Ich respektiere Meinungen, die ich für falsch halte, die meinem Glauben widersprechen oder die mich in meinem tiefsten Inneren angreifen.
Für viele Zeitgenossen ist der Glaube der Feind von Toleranz und Meinungsvielfalt. Ich halte das für Blödsinn. Mein Glaube befähigt mich erst dazu, Menschen anzunehmen, wie sie sind, und seien sie in meinen Augen noch so borniert und arrogant.
Christen müssen ihren Gott nicht rächen. Jesus lässt den Hohn und Spott dieser Welt über sich ergehen. Dieses Denken ist den Islamisten fremd, für Christen ist es selbstverständlich.
Die Würde Gottes lässt sich nicht zurück erballern
Meine Nächstenliebe wird trotzdem auf eine harte Probe gestellt, wenn mal wieder ein Satiremagazin über Jesus Christus herzieht, in Deutschland ist das vor allem die Titanic. Die Frankfurter Satiriker haben Spaß daran, Jesus am Kreuz zu illustrieren, während ein Geistlicher Oralsex mit ihm hat. Natürlich verletzt mich das. Natürlich protestiere ich. Dass der Karikaturist damit auf den unsäglichen Missbrauchsskandal in der Katholischen Kirche anspielen wollte, ändert nichts daran.
Dem französischen Satiremagazin Charlie Hebdo war ebenfalls nichts heilig. Jede Religion und jeder Religionsführer wurde in Karikaturen der Lächerlichkeit preisgegeben, Mohammed inklusive. Am Mittwoch bezahlten zwölf Menschen dafür mit ihrem Leben, als verblendete Islamisten die Redaktion stürmten, um mit automatischen Gewehren die angeblich verlorene Würde Mohammeds zurück zu erballern.
„Je suis Charlie“, „ich bin Charlie“, wurde im Netz und auf den Straßen zum Symbol der Solidarität mit Charlie Hebdo. Bin ich auch Charlie? Kann ich mich als Christ mit einem Magazin solidarisieren, dessen Ergüsse meine religiösen Gefühle zuweilen verletzen?
Ja, ich kann. Weil ich mich nicht mit Spott und Schmähungen solidarisiere, sondern mit Menschen und deren Recht auf Leben und freie Meinungsäußerung. Wer für Charlie Hebdo Partei ergreift, muss nicht deren Beleidigungen gut finden. Aber er signalisiert gegenüber den Feinden der freien Welt: Wer die Meinungsfreiheit angreift, greift auch meine Überzeugungen an.
Die Verteidigung der Meinungsfreiheit ist der radikale Gegenentwurf zur islamistischen Lynchjustiz – und sie ist die einzige Option, die wir haben, wenn wir dauerhaft friedlich zusammenleben wollen. Gerade Christen, die um die Verfolgung ihrer Geschwister in aller Welt wissen, sollten sich dafür einsetzen.
Pegida und die Meinungsfreiheit
Demokraten bekriegen sich verbal, nicht mit Fäusten – und schon gar nicht mit Waffen. Sie können aufs heftigste protestieren, ohne dass sie ihren Gegnern an die Gurgel gehen. Der Bleistift ist eben stärker als das Maschinengewehr, und Christen wissen: Das Wort Gottes ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert.
Vor einigen Monaten habe ich die Titanic-Redaktion besucht, um eine Reportage zu schreiben. Es war erstaunlich, wie nett die Berufsspötter zu mir, dem Christen waren, wie sie trotzdem auf alles schimpften, was mit der Kirche zu tun hat, wie einer höhnte, die Priester würden nie in den Himmel kommen, wenn er das zu entscheiden hätte und es den Himmel überhaupt gäbe – um damit zu enden, dass ich, nun ja, wohl schon in seinen Himmel dürfe. Danach lud er mich auf ein Bier ein. Harte Auseinandersetzungen, Rede und Gegenrede, das ist demokratischer Diskurs.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt in alle Richtungen. Erkämpft werden muss sie nur gegenüber den Intoleranten. Kürzlich übrigens hat das Aktivisten-Kollektiv Anonymous der islamkritischen Pegida-Bewegung – die ich nicht befürworte – offiziell den Krieg erklärt. Im Netz will es „massiv“ gegen sie vorgehen, vermutlich mit gezielten Hacker-Angriffen. Anonymous verlässt damit die demokratische Bühne der Toleranz. Tolerant ist eben nur der, der andere Meinungen aushält. Auch wenn sie Schmerzen bereiten. (pro)
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