„Immer weniger Ärzte bieten Schwangerschaftsabbrüche an“, heißt ein Beitrag in der ARD-Sendung „Kontraste“, die vergangenen Donnerstag lief. Er ist ein typisches Beispiel dafür, wie Journalisten mit geschickter Wortwahl Bilder in den Köpfen zeichnen, um bestimmte Wirkungen zu erzielen.
Die Ausgangsbasis des zehnminütigen Stücks ist der Umstand, dass es in manchen Regionen Deutschlands kaum noch Ärzte gibt, die Abtreibungen vornehmen. Zwei von ihnen kommen zu Wort. Beide sind eigentlich schon in Rente.
„Militante Lebensschützer“
An dem Tag, als die Reporter den Passauer Arzt Michael Spandau besuchen, führt er fünf Schwangerschaftsabbrüche durch. Der sympathische Arzt gibt zu bedenken, dass doch alle wüssten, „wie viele Patientinnen ihr Leben gelassen haben bei illegalen Schwangerschaftsabbrüchen, die irgendwo in Hinterhöfen von Hebammen oder Kurpfuschern“ gemacht worden seien. Dass das städtische Krankenhaus Abtreibungen grundsätzlich ablehnt, außer wenn Leib und Leben der Schwangeren bedroht ist, ist für Spandau eine „Schweinerei“. Die Autoren des Beitrags kommentieren offen, die Haltung der Klinik sei eine „Farce“, schließlich betreffe das nur fünf Prozent der Schwangerschaftsabbrüche in Bayern.
Als Grund für die nachlassende Bereitschaft zur Abtreibung macht der Beitrag „militante Lebensschützer“ aus. Den Begriff „Militanz“ kennt man von politischen Extremisten und Revolutionären, die ihre Überzeugungen zur Not mit Waffengewalt durchsetzen wollen. Eingeblendet werden aber nur die schweigenden Demonstranten des „Marschs für das Leben“, die alljährlich mit weißen Kreuzen in der Hand durch Berlin ziehen.
Eine dieser „sogenannten Lebensschützer“ kommt denn auch zu Wort: Eine junge Frau, die mit der „Jugend für das Leben“ von München nach Salzburg marschiert ist, um, wie die Autoren es abschätzig formulieren, „bedingungslose Mutterschaft zu preisen“. So ganz passt die junge Frau mit ihren blonden Dreadlocks aber dann doch nicht ins Bild der verbiesterten strenggläubigen religiösen Dogmatiker, die der Beitrag offenbar im Blick hat. Nüchtern und freundlich sagt sie ins Mikrofon: „Genau deswegen ist es uns sehr wichtig, als Jugendverein in die Gesellschaft zu gehen, ihnen zu erklären, dass es Alternativen gibt, dass es immer eine bessere Lösung gibt für das Leben.“ Sind das die „militanten“ Abtreibungsgegner, von denen vorher die Rede war?
Für den Fall, dass der Zuschauer ins Zweifeln kommt, ob diese Etikettierung auf die Jugendlichen zutrifft, ordnet der Beitrag den O-Ton historisch ein: Die jungen Leute wollten nichts anderes als „Frauenrechte abbauen“, für die ihre Großeltern doch so gekämpft hatten:
„Bis Mitte der 70er Jahre waren Abtreibungen in Deutschland komplett verboten. Erst seitdem bleiben sie in der Regel straffrei.“
Diese Formulierung ist nicht nur ungenau, sondern falsch. „In der Regel“, nämlich nach dem Strafgesetzbuch, sind Abtreibungen nämlich weiterhin verboten. Ausnahmen gibt es nur bei medizinischer Indikation, wenn also Leib und Leben der Schwangeren gefährdet ist, oder bei der sogenannten kriminologischen Indikation, also einer Schwangerschaft in Folge einer Vergewaltigung. Wenn weder der erste noch der zweite Fall zutrifft, sorgt die sogenannte Fristenlösung dafür, dass ein Abbruch – nur nach nachgewiesener Schwangerschaftskonfliktberatung und dreitägiger Bedenkzeit – straffrei bleibt.
Abtreibungsärzte über die Arbeitsagentur
Auch eine Vertreterin eines katholischen Krankenhauses in Trier kommt zu Wort: Eine Grundaussage der Kirche sei, „dass sie prinzipiell lebensbejahend, lebensfördernd ist und dass es zunächst mal nicht mit einem Schwangerschaftsabbruch einhergehen kann“. Den Kliniken sei „die Haltung des Vatikans wichtiger als die Notlage der Frauen“, kommentiert die Sprecherstimme. Ein geschicktes Framing, wie es auch viele Politiker nutzen: Die Autoren zeichnen bei den Zuschauern das Bild einer rücksichtslosen und kalten Kirche, die bedürftige Frauen lieber im Stich lässt, als ihre überkommenen Prinzipien zu hinterfragen. Die Frage, welche Rechte das ungeborene Leben hat, werfen die Journalisten freilich gar nicht erst auf.
Doch Schwangerschaftsabbrüche würden wegen der Personalnot immer schwieriger, Frauen in Not alleine gelassen, heißt es. Pro Familia suche händeringend nach Ärzten, die Abtreibungen vornehmen. 645 Personen habe die Organisation angeschrieben, sogar über die Arbeitsagentur hätten sie Mediziner gesucht. Ergebnis: Keine einzige Rückmeldung.
Für Menschen, die Abtreibungen befürworten, ist das in der Tat ein großes Problem. Ohne Zweifel gibt es in der Tat aggressiv auftretende Aktivisten. Ein im Film zitierter Arzt spricht von „hässlichen Briefen“. Auch die Ärztekammer Hamburg fordert in einer Antwort an die Kontraste-Redaktion, die pro vorliegt, „dass Ärztinnen und Ärzte betroffene Frauen nach medizinischem Standard versorgen können, ohne von so genannten ‚Lebensschützern‘ diffamiert und in der Ausübung ihres Berufes zum Teil massiv gestört zu werden“.
Journalistisch redlicher wäre es gewesen, wenn die Autoren darauf verzichtet hätten, Abtreibungsgegner, von denen sich übrigens viele aufopferungsvoll um Frauen in Not kümmern, pauschal in die Nähe von Extremisten zu rücken. Sie hätten auch eine vollkommen offensichtliche Frage stellen können: Welche Gründe gibt es noch, warum sogar viele Frauenärzte keine Abtreibungen vornehmen wollen? Hat es vielleicht oft doch mehr mit dem eigenen Gewissen zu tun als mit dem Druck vermeintlich „militanter Lebensschützer“?
Von: Nicolai Franz