Simon Guillebaud: Berufen nach Burundi

Uwe Heimowski über ein Wiedersehen nach dreißig Jahren – und über eine Berufung vorm Computer.
Von PRO

Was für eine verrückte Begegnung: Ich sitze beim Frühstück im „Kings Conference Center“ in Bujumbura, der größten Stadt Burundis. Es ist der letzte Tag unserer Reise. Mit einer Gruppe von „Tearfund Deutschland“ und England haben wir eine gute Woche lang Selbsthilfe-Projekte besucht. Nach der anstrengenden Reise in abgelegene Dörfer, über Straßen, auf denen selbst robuste Geländewagen nur im Schritttempo vorankommen, erholen wir uns einen Tag.

An einem der Tische sitzt ein weißer Mann Anfang 50, der mir bekannt vorkommt. Ich spreche ihn auf Englisch an: „Sorry, ich möchte nicht unhöflich sein, aber darf ich nach ihrem Namen fragen?” „I am Simon.“ Er strahlt mich an mit diesem breiten Lächeln, das dich sofort für ihn einnimmt – und schon weiß ich, wer er ist: „Simon Guillebaud?“, versichere ich mich. „Ich bin Uwe“. Er stutzt. „Uwe Heimowski?“ Wir umarmen uns herzlich. Über 30 Jahre sind vergangen, seit Simon ein Praktikum bei der Heilsarmee in Hamburg gemacht hat, und ich dort Zivildienstleistender war.

Schon damals war Simon ein Original. Er hatte ein Herz für Menschen am Rande der Gesellschaft – und pfiff auf so manche Konvention: Mit zerrissenen Jeans setzte er sich auf der Reeperbahn in den Kreis von Obdachlosen und sprach mit ihnen buchstäblich über Gott und die Welt. Und das trotz sehr guter britischer Herkunft und Besuch einer Privatschule. Aber Simon brannte für Jesus, da war ihm der Rest egal – und Kompromisse sind ohnehin nicht so sein Ding.

Wir sprechen kurz über alte Zeiten, dann frage ich ihn nach seinem Werdegang. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. 

Nach Abschluss seines Wirtschafts-Studiums zog es Simon nach Burundi, einem der ärmsten Länder der Welt, das von massiven Bürgerkriegen zerrüttet war.

Berufung vorm Computer

„Wie kamst du ausgerechnet nach Burundi?“ Simon lacht sein herzliches Lachen.

„Ich wollte Missionar werden, am liebsten in einem Land, in dem die Menschen noch nicht viel von Jesus gehört haben. Kambodscha war mein Ziel. Aber da gingen alle Türen zu. Ich hatte einen gutbezahlten Job, ließ die Frage etwas schleifen. Aber dann sprach mich ein Kollege an, den ich nicht einmal gut kannte und meinte: ‚Ich glaube, Gott hat mich zu dir geschickt. Er möchte, dass du nach Burundi gehst und dich für die Jugend, die Mission und die Evangelisation einsetzt.‘ Ich gab zurück: ‚In Ordnung, danke, du Spinner, ich werde darüber beten.‘ Ich ging zurück an meinen Arbeitsplatz und sagte zu Gott: ‚Wenn du willst, dass ich nach Burundi gehe, bedeutet das, dass ich meine Familie, meine Freunde, meine Sicherheit, meine Karriere, alles verlasse und dafür an einen Ort, an dem ich vielleicht getötet werde, also gib mir ein radikales Zeichen, genau jetzt, hier vor dem Computer.‘ Ich habe nicht lange gewartet: Ein Freund rief aus heiterem Himmel an und sagte: ‚Kennst du jemanden, der in Burundi arbeiten möchte?‘ – Bumm, da war sie, die Berufung!“

Simon gehorchte – und blieb zwanzig Jahre in Burundi. 

Er schloss sich dem Missionswerk „Scripture Union“ an. Simon erzählt von den Anfängen zwischen 1999 und 2003: „Einmal fuhr ich eine Straße hoch, in der an diesem Tag 40 Menschen von Rebellen getötet wurden, aber wir kamen durch. Dann kam ein Mann mit einer Granate zu meinem Haus, um mich in die Luft zu jagen – er schrieb mir einen Brief, dass er mir die Augen ausstechen wollte. Ein anderes Mal predigte ich in einem Flüchtlingslager – eine lebende Hölle, in der jeden Tag zehn Menschen starben. Die Rebellen hatten gerade die abgehackten Köpfe von Soldaten herunterrollen lassen, die sie weiter oben auf dem Hügel getötet hatten.“ Unsere Zeit reicht nicht, um alle Gefahren und Wunder zu erzählen …

Nach dem Bürgerkrieg beruhigte sich die Lage im Land, doch Burundi blieb eines der ärmsten Länder der Welt. Simon gründete Great Lakes Outreach, eine gemeinnützige Organisation, die sich auf Gemeindeentwicklung, Bildung und Versöhnung in der Region konzentriert.

„Bist du bereit, vielleicht eine junge Witwe zu werden?“

2017 wurde Simon von Queen Elizabeth II. für seine Verdienste in Burundi mit dem „Order of the British Empire“ ausgezeichnet, der höchsten zivilen Ehrung in Großbritannien, ein wenig vergleichbar dem Bundesverdienstkreuz.

Simon lebt heute in England. Seine drei Kinder sollen eine gute Schulausbildung bekommen. „Als ich meine Frau heiratete, fragte ich sie: ‚Bist du bereit, vielleicht eine junge Witwe zu werden?‘ Das war meine Bedingung, und sie hat sie angenommen. Aber die Kinder haben diese Leben nicht gewählt, sie verdienen die Chance auf ein eigenes, sicheres Leben.“

Simon hat mehrere Bücher über seine Erfahrungen geschrieben, darunter „More than Conquerors“ und „Choose Life“. Er ist Host des „Inspired Podcast“, in dem er Menschen interviewt, die ihrerseits spannende Geschichten mit Jesus erlebt haben. 

Nach wie vor ist Simon Vorstand von „Great Lakes Outreach“, jedes Jahr verbringt er einige Wochen in Burundi. Unter anderem betreiben sie das gemeinnützige King‘s Conference Center, in dem wir uns beim Frühstück trafen. Auf dessen Website ist Simons Vision zu lesen: „Wir sind mehr als ein Konferenzzentrum, wir sind ein soziales Unternehmen, das die Zukunft Burundis verändern will. Von den Materialien, die wir verwenden, über die Menschen, die wir beschäftigen, bis hin zu den Gewinnen, die wir erwirtschaften – das King’s Conference Center hat sich verpflichtet, in eine Zukunft der Hoffnung, des Friedens und der Entwicklung zu investieren.“

Was für eine verrückte Begegnung – und was für ein bemerkenswerter Mensch.

Zur Person

Uwe Heimowski ist Leiter der christlich-humanitären Hilfsorganisation „Tearfund“ und Mitglied des Vorstandes der Christlichen Medieninitiative pro, die auch das Christliche Medienmagazin PRO herausgibt. An dieser Stelle schreibt er einmal im Monat darüber, was er mit Menschen aus aller Welt erlebt.

Von: Uwe Heimowski

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