Seyran Ateş enttäuscht von Umgang der Kirchen mit dem Islam

Die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş hat den Kirchen in Deutschland vorgeworfen, in Sachen Islam „teilweise in einer Illusion“ zu leben. Im Interview der Kirchenzeitung Glaube und Heimat sagte sie, die Kirchen ignorierten, dass viele Muslime hierzulande die Einführung der Scharia möchten.
Von Jörn Schumacher
In Sachen Islam leben die Kirchen „teilweise in einer Illusion“, sagt die Berliner Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş

Die liberale Muslimin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş kritisierte in einem Interview der Zeitung Glaube und Heimat den Umgang der Kirchen mit dem Islam. Der Wochenzeitung für die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und der Landeskirche Anhalts sagte sie, die Kirchen in Deutschland lebten „teilweise in einer Illusion“. „Sie selbst haben im Zuge der Säkularisierung gelernt, als Kirche in demokratischen Strukturen zu leben und zu arbeiten. Aber sie nehmen nicht wahr, dass hier, teilweise sogar mit ihrer Unterstützung, ein Islam Verbreitung findet, der die Einführung der Scharia will, also die religiöse Macht über die weltliche Macht stellen möchte.“

Es sei falsch, wenn Kirchenvertreter das Kopftuch mit dem Kreuz verglichen und dann für vermeintliche Religionsfreiheit einträten. „Denn gerade die Kirchen sollten das doch theologisch besser wissen“, sagt Ateş. Das Kreuz sei das religiöse Symbol für die gesamte christliche Gemeinschaft, das Kopftuch hingegen sei eine Kleiderordnung für die Frau, „welches ein sehr konservatives Rollenverständnis ausdrückt“ und ein „bestimmtes politisches Bekenntnis“.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder habe mit seiner Betonung des Kreuzes als kulturelles Symbol offenbar ausdrücken wollen: „Ständig ziehen wir uns als Christen zurück, jetzt machen wir es mal umgekehrt.“ Ateş fügte hinzu, dass sich Religion nicht mit Politik mischen sollte. „Aber dann muss man sich auch die Motive der Menschen anschauen, die das Kopftuch politisieren. Dann wird ein Schuh draus. Und das passiert nicht.“ Deshalb sei es in ihren Augen auch „kein Wunder, dass es in Deutschland die AfD gibt“. Ateş weiter: „Sie hat viele falsche Antworten, aber sie stellt an vielen Stellen die richtigen Fragen.“

Islamkonferenz als „Deal“ zwischen Kirchen und Muslimen

Ateş kritisierte zudem die Politik und dabei insbesondere die Unionsparteien, die in den vergangenen Jahren die Innenminister gestellt und dadurch auch bestimmt hätten, „was mit der deutschen Islamkonferenz passiert“. Sie wünsche sich, dass die Politik sehe, „dass der Islam sehr viel globaler ist, als das, was die muslimischen Verbände ihnen seit Jahrzehnten erzählen“. Die dort vertretenen muslimischen Verbände repräsentierten nicht die Breite des Islam und auch nicht die Mehrheit der Muslime in Deutschland. „Sie sind zum Teil sogar nur der verlängerte Arm ausländischer Interessen.“

Seyran Ateş wurde in Istanbul geboren, lebt und arbeitet als Rechtsanwältin, Autorin und Frauenrechtlerin in Berlin. Wegen ihrer Kritik am fundamentalistischen Islam und ihres Eintretens für Frauenrechte bekam sie Morddrohungen und steht deswegen unter Personenschutz. Vor einem Jahr gründete Ateş gemeinsam mit anderen die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. Sie sei bewusst nicht als Forum oder Verein, sondern als Ort der Religionsausübung gegründet worden, betont Ateş und fügt hinzu: „In Deutschland selbst gibt es bisher noch keine vergleichbare Moschee zu der unseren. (…) Aber das wird kommen. Wir sind in Deutschland die ersten. Irgendjemand muss immer den ersten Schritt machen.“

Von: Jörn Schumacher

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