Sekten, Sumpf und Serienkiller

In „True Detective“ muss Oscar-Preisträger Matthew McConaughey den Mord an einer Prostituierten aufklären. Eigentliches Thema der düsteren Krimiserie ist aber die packende Auseinandersetzung unterschiedlicher Weltanschauungen – Christentum und Nihilismus. Eine TV-Kritik von Moritz Breckner
Von PRO
Detective Rust Cohle (Matthew McConaughey) versteht nicht, warum Menschen an die Bibel glauben
Eine Zeltevangelisation in Lousiana. Gospelmusik erklingt, der Prediger auf der Bühne spricht von den offenen Armen Jesu. Detective Rust Cohle (Matthew McConaughey) steht in der letzten Reihe und murmelt abschätzig: „Wie hoch kann der IQ dieser Leute sein?“ Sein Partner Marty Hart (Woody Harrelson) erwidert: „Kannst du von deinem hohen Ross bis Texas gucken? Was weißt du schon über diese Menschen?“ Das Gespräch, das sich zu einem philosophischen Diskurs über das Für und Wider des Glaubens entwickelt, manifestiert das Setting der Krimiserie „True Detective“. In ihr versuchen Cohle und Hart den Mord an einer jungen Prostituierten aufzuklären. Die Ermittlungen, die das Duo zu einem Wanderprediger und einer Kirchenruine führen, bilden zwar den roten Faden der achtteiligen Erfolgsserie aus den USA, viel spannender aber sind die gegensätzlichen Weltanschauungen, die in langen Dialogen aufeinandertreffen. In Deutschland dürfte die Serie schon bald im Free-TV laufen. Cohle, ein versoffener Nihilist, ist von der Sinnlosigkeit des Lebens überzeugt – und denkt doch täglich darüber nach. Hart ist das, was man wohl einen Kultur- oder Namenschristen nennen würde: Er ist in einem christlichen Umfeld sozialisiert und der Glaube an Gott und Vaterland ist für ihn ebenso selbstverständlich wie der sonntägliche Kirchgang. Von einer persönlichen Beziehung zu Gott scheint der Cop aber weit entfernt – schon in der zweiten Folge betrügt er seine Frau Maggie, einer von vielen Fehltritten, die ihn letzten Endes seine Familie kosten werden. Cohles düstere Gedankenwelt überfordert Hart: „Das behältst du besser für dich“, entgegnet er, als Cohle sinniert: „Dieser Ort ist wie jemandes Erinnerung an eine Stadt, und die Erinnerung schwindet allmählich. Die Menschen hier draußen wissen nicht einmal, dass noch eine andere Welt existiert.“ Mit diesen Sätzen beschreibt Cohle in der ersten Folge brillant die Szenerie, in der sich die düstere Handlung erstreckt: die Sümpfe Louisianas, verlassene Gebäude, alte Fabriken. Wohnwagensiedlungen, billige Kneipen, heruntergekommene Puffs. Der großartige Vorspann, die Musik und meisterhafte Kameraführung ziehen den Zuschauer in die Atmosphäre hinein, lassen ihn die Hitze spüren und das nasse Gras riechen. Die Haupthandlung, erzählt in Rückblenden, ereignet sich im Jahr 1995. Die Autos und Computer im von Zigarettenqualm vernebelten Bild könnten auch zehn oder zwanzig Jahre älter sein, das Jahrzehnt spielt keine Rolle. Die Kirche und der Glaube sind in der Serie allgegenwärtig, wie könnte es anders sein in einem Südstaaten-Krimi. Cohle vernimmt einen reichen Prediger, dessen konfessionelle Ausbildungsstätten irgendwie mit dem Mordfall zusammenhängen könnten. Reverend Billy Lee Tuttle ist klischeehaft gezeichnet und sieht aus wie Jerry Falwell, einer der einflussreichsten US-Evangelikalen des 20. Jahrhunderts – wuchtige Gestalt, dicke goldene Armbanduhr, mächtige Freunde in der Politik, die ihre schützende Hand über ihn und sein Missionswerk halten. Dass er Cohle mit „Sohn“ anredet, scheint die Distanz zwischen beiden nur zu vergrößern.

„Schmerzgrenze der Fernsehunterhaltung“

Die Erzählweise von „True Detective“ ist sehr, sehr langsam, und der Zuschauer muss schon den Willen mitbringen, die achtteilige Reihe mehr als Kunstwerk denn als actiongeladene Fernsehunterhaltung zu verstehen. Wer dranbleibt, wird mit einem dramatischen Finale belohnt. Weitere Folgen mit Cohle und Hart wird es nicht geben: „True Detective“ ist ein Miniserien-Format, bei dem jede Staffel ihre eigene Besetzung und eine abgeschlossene Handlung aufweist. In Deutschland lief die erste Staffel im April auf Sky Atlantic, eine baldige Ausstrahlung im Free-TV gilt angesichts der hochrangigen Besetzung und begeisterten Kritiken als sicher. Die Wochenzeitung Die Zeit spricht von einer „großartigen Erzählung“ und einem „Glücksfall“. Das Magazin Der Spiegel nennt „True Detective“ ein „bösartiges Meisterwerk“, „oft nah an der Schmerzgrenze dessen, was man noch als Fernsehunterhaltung zu akzeptieren bereit ist“. Das Fachportal serienjunkies.de lobt besonders die Bildsprache von Regisseur Cary Fukunaga, die es schaffe, die kontemplative und beinahe meditative Studie menschlicher Verhaltensweisen perfekt zu unterstreichen. So spannend „True Detective“ gerade aus christlicher Sicht sein mag, sei darauf hingewiesen, dass sich der Zuschauer auf viele Flüche und nackte Brüste vorbereiten sollte. Die Serie ist keine christliche Produktion, aber ein Gesamtkunstwerk der modernen Erzählung, das noch für Jahre aus der TV-Landschaft hervorstechen wird. Warum er denn ein Kreuz in seiner Wohnung habe, obwohl er kein Christ sei, wird Cohle von Hart bei ihrem ersten Gespräch über den Glauben gefragt. „Das ist für mich eine Art Meditation“, antwortet er. „Ich denke über diese Idee aus dem Garten Gethsemane nach, wie man seine eigene Kreuzigung erlauben kann.“ Die Faszination, die das Christentum auch auf ideologisch weit entfernte Menschen ausübt, ist die spannendste Erkenntnis von „True Detective“. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/fernsehen/detailansicht/aktuell/wenn-der-moerder-auf-die-kanzel-will-87374/
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