Ein Chefredakteur einer großen Regionalzeitung wird von Sebastian Kurz nach einem kritischen Artikel höchstpersönlich angerufen und gefragt: „Warum mögt ihr mich nicht?“ Ein anderer Chefredakteur einer bürgerlich-liberalen Zeitung, der mit dem österreichischen Bundeskanzler ebenfalls nicht klarkommt, wird abgesetzt und durch seine kanzlerfreundlichere Stellvertreterin ersetzt. So behauptet er es jedenfalls als späterer Parlamentsabgeordneter und Sachbuchautor. Er hatte das Pech, dass seine Zeitung zur Hälfte einer ÖVP-nahen Bank gehört – und an der Spitze der ÖVP wiederum steht Kanzler Kurz.
Wieder ein anderer Chefredakteur sorgt – glaubt man einem öffentlich gewordenen Chat einer dritten Person aus einem Akt der österreichischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft – offenbar dafür, dass eine bestimmte Geschichte, die einem Vertrauten von Sebastian Kurz unangenehm werden könnte, zumindest keine große Aufmacherstory wird. Alles das ist öffentlich zugänglichen Quellen gemäß so passiert, die betreffenden Medien sind die Kleine Zeitung, der Kurier und die Presse und gehören allesamt zu den wichtigsten Qualitätszeitungen in Österreich.
In Hinblick auf die Boulevardzeitungen, die in Österreich auf die Bevölkerung bezogen übrigens wesentlich mehr Leserinnen und Leser erreichen als in Deutschland, ist die Vermischung von Journalismus und politischer PR noch einmal stärker gegeben. Das folgende Beispiel hat ebenfalls der Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Hubert Patterer, in einem Newsletter öffentlich gemacht:
Vertreter der Kleinen Zeitung beschwerten sich bei den Pressesprechern des Kanzlers darüber, dass Exklusivinfos einseitig an die boulevardeske Kronen Zeitung gingen (übrigens jenes Blatt, das der ehemalige Vizekanzler Heinz Christian-Strache (FPÖ) auf Ibiza einer vermeintlichen Oligarchennichte verkaufen wollte, um ein Mediensystem nach dem Vorbild Viktor Orbáns zu errichten, wobei er in die allseits bekannte Videofalle geriet). Laut Aussage des Chefredakteurs bekamen sie von der Pressestelle zu hören: Die Zusammenarbeit „gehe halt mit Blättern wie der ‚Krone‘ und anderen Wiener Medien ‚viel leichter und unkomplizierter‘. Da fixiere man nicht nur ein politisches Vorhaben als Exklusiv-Geschichte, sondern vereinbare gleich auch die Größe der Geschichte mit, inklusive Aufmachung auf Seite eins: der X-Large-Deal. Da könne man sich halt viel besser darauf verlassen, während es bei Euch immer so schwierig und ungewiss ist.“
„Transparenz“ – ein Wort für Sonntagsreden
Wesentlich mehr könnte man zur Medienfreiheit in Österreich noch schreiben: Etwa, dass die österreichische Bundesregierung im Corona-Jahr 2020 insgesamt 47 Millionen Euro für öffentliche Inserate in journalistischen Medien ausgegeben hat (im zehnmal größeren Deutschland waren es 150 Millionen), woraus sich selbstverständlich eine Einflussnahme auf die Berichterstattung ergeben kann, auch wenn das im Einzelfall schwer beweisbar ist.
Oder dass das politische Wien ein etwa im Vergleich zu Berlin recht enges Pflaster ist, wodurch sich naturgemäß auch immer wieder Freundschaften zwischen Politikern und Journalisten ergeben. Das ist zwar nicht per se problematisch, kann es aber sehr wohl werden, wenn die Grenze zwischen privat und beruflich zu sehr verschwimmt. Oder auch, dass es im Staate Österreich auch über 100 Jahre nach dem Ende der Donaumonarchie eine Kultur der Geheimniskrämerei und der Obrigkeitspolitik gibt, wobei „Transparenz“ – auch wenn ein neues Transparenzgesetz geplant ist, dem Kritiker allerdings relative Zahnlosigkeit attestieren – vor allem als schönes Wort für Sonntagsreden dient.
Im Vergleich zu den meisten anderen Ländern dieser Welt ist Österreich freilich eine entwickelte Demokratie. Im Lieblings-Urlaubsland der Deutschen gibt es selbstverständlich tolle Redaktionen und Journalisten, die weitestgehend frei und unabhängig arbeiten. Aber eben andererseits auch zahlreiche Abhängigkeiten, die in der Summe dazu führen, dass die faktisch existierende Medienfreiheit in Österreich insgesamt ausbaufähig ist.
Auf Rangliste der Pressefreiheit abgerutscht
Richtig ist: Sebastian Kurz hat dieses System nicht erfunden. Richtig ist aber auch: Er agiert in seinem Auftreten extrem PR-bewusst, greift mitunter selbst zum Hörer, um Journalisten, deren Artikel ihm nicht passen, seine Sicht der Dinge darzulegen. Für unabhängige Redaktionen hat relativ wenig übrig, wie jener der im öffentlichen Eigentum stehenden Wiener Zeitung – der ältesten bestehenden Zeitung der Welt, die derzeit um ihre Existenz bangen muss. Zudem nutzt er wohl auch den Einfluss befreundeter Akteure, um bei der Besetzung von Chefposten bei wichtigen Medien ein Wörtchen mitzureden.
Neben den eingangs erwähnten Vorwürfen, die die Tageszeitung Kurier betreffen, geistern derzeit etwa auch Gerüchte durch das Land, dass Kurz einen Mann seines Vertrauens zum neuen Chef des größten Mediums des Landes ernennen möchte: zum Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen ORF. Das berichtet etwa die Tiroler Tageszeitung. Nicht zuletzt hat sich Österreich seit Beginn der Kanzlerschaft von Kurz 2017 im internationalen Ranking von „Reporter ohne Grenzen“ von Platz 11 auf Platz 18 verschlechtert, ein weiteres Zurückrutschen ist für die Zukunft nicht ausgeschlossen.
„Freiheitspreis der Medien“ für Kurz ist völlig unverständlich
Freilich, Kurz war in den vergangenen Jahren einer der Hoffnungsträger der europäischen Konservativen. Für manche ist er es immer noch, auch wenn er jüngst national und international in negative Schlagzeilen geraten ist, zuletzt sogar dadurch, dass ihn die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen Falschaussage als Beschuldigten führt (es gilt die Unschuldsvermutung). Freilich, Kurz hat, seit er 2017 als einer der jüngsten Spitzenpolitiker der Welt Österreichs Bundeskanzler geworden ist, für Aufbruch und Erneuerung gestanden. Alles Schall und Rauch, alles bloße Inszenierung? Das kann man durchaus unterschiedlich bewerten.
Unabhängig davon kann man Kurz vernünftigerweise aber kaum zugestehen, dass er die Medienfreiheit in Österreich seit Beginn seiner Amtszeit gestärkt hat. Eher ist das Gegenteil der Fall. Vorige Woche erhielt Kurz vom deutschen Verlegerehepaar Christiane Goetz-Weimer und Wolfram Weimer – der in PRO eine regelmäßige Kolumne hat – den „Freiheitspreis der Medien“. Er sei ein „Brückenbauer Europas und Kommunikator der Freiheit“, der sich „klar gegen die Verächter von Demokratie und Pluralität“ stelle, so die Begründung. Geehrt werden sollen mit dem Preis Persönlichkeiten, „die sich in besonderer Weise für die freie Meinungsäußerung, den politischen Dialog und die Demokratie einsetzen“. Im Falle von Kurz ist das zumindest mit Blick auf seinen Umgang mit der freien Presse völlig unverständlich.
Bürger, sollten den Mut haben, hinter die Fassade politischer Shootingstars zu blicken – auch dann, wenn diese aus dem „richtigen“ weltanschaulichen Lager stammen. Tut man das nicht und versteift sich stattdessen auf eine stumpfe „Wir und die anderen“-Rhetorik, besteht hingegen die Gefahr, dass wir uns auf eine Vorstufe des Trumpismus hinbewegen.
Compliance-Hinweis: Der Autor dieses Kommentars hat auf der Plattform mein.aufstehn.at eine Petition zur Rettung der Wiener Zeitung initiiert.
Eine Antwort
Man muss ja nur Richtung Rene Benko schauen und weiß wie der Hase in Österreichs Medienlandschaft läuft. Die ist nicht mehr weit vom System Ungarn entfernt.