Science Fiction kann nicht ohne Religion

Science Fiction hat bei manchen Christen kein gutes Image. Und tatsächlich gibt es immer wieder Anleihen an Okkultem. Doch ganz ohne Religion geht es offenbar auch in Zukunft nicht, sagt der Theologe Thomas Schärtl-Trendel.
Von Jörn Schumacher

Thomas Schärtl-Trendel ist Inhaber des Lehrstuhls für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät. Er hat in Regensburg und München Theologie und Philosophie studiert, dozierte unter anderem an der University of America in Washington D.C., an der Universität Augsburg und an der Universität Regensburg und ist seit 2020 Professor für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er hat sich nicht nur privat viel mit Science-Fiction-Filmen auseinandergesetzt, sondern auch beruflich.

PRO: Herr Professor Schärtl-Trendel, Science Fiction ist nicht per se religionsfeindlich?

Schärtl-Trendel: Das kann man so sagen. Science Fiction bedient sich aus dem Schätzkästchen der religiösen Traditionen. Bei Star Wars ist das ganz offensichtlich. Die Jedi-Ritter changieren irgendwo zwischen Rittern der Artus-Runde mit christlich-mönchischer Askese und buddhistischen Meistern. Das wird da zusammengerührt und gebacken. In der „Matrix“-Trilogie wiederum wird bewusst mit der Karfreitags-Thematik gespielt.

Inwiefern?

Die Hauptperson Neo stirbt und wird durch einen Kuss von Trinity wieder auferweckt. Allein dass die weibliche Hauptperson Trinity – Dreieinigkeit – heißt, ist symbolträchtig. Im Dritten Teil gibt es dann sogar eine Art Kreuzigungsszene, der Opfertod des Helden, um die Versklavten zu befreien. Als dann irgendwann „Matrix Resurrections“ (2021) kam, war das nur eine logische Folge.

Wie genau war das mit der Kreuzigungsszene?

Die Maschinenwesen zapfen Neo an, und man sieht ein Lichtkreuz hinter ihm. Das ist sehr bewusst mit christlicher Ikonographie überblendet. Außerdem ist es sicher kein Zufall, dass sein Name Neo ist, ein Anagramm von „One”, „der Eine“ „Matrix“ oszilliert irgendwo zwischen Christentum, Buddhismus und vielleicht Nietzsche mit seinem „Willen zur Macht“.

Haben Sie noch mehr Beispiele für eine Mischung aus Christentum und Science Fiction?

Ich habe über eine längere Zeit „Star Trek“ verfolgt. Das ist ein komplettes Universum, das sich über einen längeren Zeitraum entwickelt, auch beim Thema Religion. Anfangs, in den 1960er Jahren, war der Schöpfer Gene Roddenberry mit einer liberal-demokratischen Doktrin vertreten, die säkularistisch angehaucht war. Es gab dem Vernehmen nach eine Diskussion darüber, ob man auf einem Raumschiff wie der Enterprise einen Kaplan und eine Kapelle braucht. Das lehnte Roddenberry ab. Die gezeigten Religionen und Götterfiguren sind bis auf eine Ausnahme immer primitive Unterdrückungssysteme. Wenn man die Wesen von diesen vermeintlichen Göttern befreit, dann brechen die Zivilisationen immer in eine neue Ära der Aufgeklärtheit auf. Das war auch in den 80er Jahren noch zu spüren, in „The Next Generation“ mit Captain Jean-Luc Picard kommt Religion nur am Rande vor und ist etwas sehr Privates. Dann ändert sich das schlagartig mit der sogenannten „spirituellen Wende”. Auf einmal gibt es in „Deep Space Nine“ den Captain der Raumstation, der gleichzeitig ein von einem Volk verehrter Messias ist und zwischen beiden Rollen vermitteln muss. Ganz losgeworden ist Star Trek das Thema Religion nie. In den jüngsten Spin-Offs der Streaming-Dienste, in „Strange New Worlds“ und „Discovery“, bleibt immerhin eine Art „Sense of Wonder“ übrig, also: Da draußen im All ist etwas Wunderbares, Größeres, das auf uns wartet, und das uns zu besseren Menschen macht, eine transzendente Immanenz.

Bei „Raumschiff Voyager“ gibt es den Commander Chakotay, der sehr religiös ist und das in fast jeder Folge in Szene setzt …

Ja, das ist die „spirituelle Wende“, die noch mit anderen Dingen einhergeht. Früher war in Star Trek die westliche Zivilisation immer die, welche die Weisheit mit Löffeln gefressen hat. Mit Chakotay und anderen erreicht man auf einmal eine echte Anerkennung anderer Kulturen und indigener Gesellschaften, und eben nicht europäischer oder weißer Zivilisationen.

Bei Deep Space Nine ist Religion ein maßgeblicher Teil der Handlung. Die zentrale Religionsvertreterin ist aber gleichzeitig eine zentrale böse Figur …

Die Hohepriesterin Kai Winn Adami ist das Urbild der korrupten Priesterin, die die eigentliche Botschaft Gottes verfälscht.

Spiritualität spielt bei Science Fiction also eine große Rolle, gleichzeitig aber auch eine gewisse Religionsfeindlichkeit?

Bei Star Trek ist es eine Feindlichkeit gegenüber religiösen Institutionen verfasster Religionen. Persönliche spirituelle Praktiken werden aber sehr wertgeschätzt. Wenn sich Kira Nerys in DS9 (Deep Space Nine, d. Red.) auf ihren spirituellen Weg macht, wird das mit großem Wohlwollen im Drehbuch und von der Kamera begleitet.

Es geht bei Science Fiction ja fast immer um die Zukunft. Die Zukunft kommt also den meisten Autoren zufolge nicht ohne Religion aus?

Richtig. Das wird auch oft aufs Korn genommen. In der Serie „Futurama“ etwa gibt es zahlreiche satirische und humorvolle Anspielungen auf Religionen und deren Entwicklung. Dort gibt es in ferner Zukunft den Oprahismus, angelehnt an die Moderatorin Oprah Winfrey. Der Erfinder von „American Dad“ und „Family Guy“ hat eine Science-Fiction-Serie namens „The Orville“ entwickelt, die sehr religionskritisch ist …

… Seth MacFarlane, ein bekennender Atheist …

Richtig. Auch in seinen Zeichentrick-Serien werden Religionen ordentlich durch den Kakao gezogen. „The Orville“ ist sozusagen eine Fußnote zum Star–Trek-Universum.

Foto: Jan Greune

Thomas Schärtl-Trendel ist Professor für Fundamentaltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität München. In seiner Forschung beschäftigt er sich auch mit Science Fiction.

Mit welchen Science-Fiction-Erzählungen haben Sie sich noch beschäftigt?

Es gibt viele, die sind völlig aus dem Diskurs verschwunden. „Battlestar Galactica“, die in den 90er Jahren wieder aufgelegt wurde, etwa. Die Original-Serie aus den 80ern hat einen mormonischen Hintergrund. Das war immer zu spüren. Mich hat die Eschatologie in dieser Serie fasziniert: Ein versprengter Rest der Menschheit wird von Roboterwesen gejagt. In einer Art „Reboot-Eschatologie“, der man auch im Alten Testament begegnet, geht es um die Rückkehr ins Gelobte Land, in dem alle Menschen noch einmal von vorne anfangen und nach dem Exil den Tempel wieder aufbauen.

Könnten Sie einem Christen, der vielleicht nicht viel mit Science Fiction zu tun hat, etwas empfehlen?

Da würde ich „Star Trek: The Next Generation“ empfehlen. Da gibt es immer diesen leichten Optimismus, was die Menschheit angeht; es wird ein kritischer Blick auf Religion geworfen, aber kein zersetzend-kritischer. Ein protestantischer Kollege von mir, Martin Laube, hat es einmal so formuliert: Hier wird der Schleiermachersche Religionsbegriff umgekehrt. Soll heißen: Religion ist bei Schleiermacher unter dem Aspekt des Unendlichen zu sehen, bei Captain Picard findet man im Weltall das Unendliche. Da bildet dieser „Sense oft Wonder“ einen quasi-religiösen Ausgangspunkt.

Immer wieder kommt in Science Fiction das Motiv vor, wir lebten eigentlich gar nicht in der echten Welt, sondern in einer Simulation. Ist das ein Verweis auf den Himmel?

Meine Analyse dessen wäre eher philosophisch, nicht religiös. Wenn man ganz weit ausholt, findet sich da etwa Platons Höhlengleichnis. Das eigentliche Leben im Licht ist das Leben in der Wahrheit und in der Erkenntnis, und das ist uns verstellt. Bei „Matrix“ haben viele zu Recht auf die Medien-Philosophie der 70er und 80er Jahre verwiesen, etwa nach Jean Baudrillard. Da wurde kritisch auf die mediale Vermittlung der Realität geblickt: Unser Blick auf die Welt ist verstellt durch die Medien.

Die Neuplatoniker und christliche Philosophen haben das Höhlengleichnis später bewusst aufgegriffen.

Plotin hat die platonische Erkenntnistheorie in der Tat zu einer Art philosophischer Religion ausgeweitet, und die Erkenntnis der Wahrheit hat da immer auch mit Erlösung zu tun. Im Johannes-Evangelium ist die Begegnung mit Christus immer auch die Erkenntnis der Wahrheit. Das kann man in „Matrix“ wiederfinden. Da geht es ja nicht um irgendeine skeptische Erkenntnistheorie, bei der jemand merkt, dass er in einer virtuellen Realität gefangen ist, aus der er heraus muss. Es geht vielmehr in gewisser Weise um Erlösung, einen Weg zum Heil.

Das Jesus-Wort „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ könnte Morpheus genauso gut sagen.

Ja, richtig.

Gibt es in Science Fiction Anleihen aus Esoterik und Okkultem?

Das gibt es. Bei den Marvel-Verfilmungen gibt es eigenartige Götter-Figuren, auch Zauberer. Bei den neuesten Ablegern von Star Wars, „The Acolyte“ und „Ahsoka“, treten „Hexen der Macht“ auf. Was in den originalen Filmen als „Macht“ auftrat, hatte vielleicht noch daoistische Anklänge, da war zugleich etwas Schöpferisches und Zerstörerisches. Das wird jetzt eindeutig okkult. Optisch gab es da schon immer Anklänge, denken Sie an Darth Maul mit den Hörnern auf dem Kopf.

Vielen Dank für das Gespräch!

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