Das Schweizer Bundesamt für Migration (BFM) legt seit über einem Jahr gemeinsam mit Gemeinden, in denen temporäre Unterkünfte für Asylbewerber liegen, fest, ob und welche Gebiete für Asylbewerber tabu sind. Beim Fall der Kleinstadt Bremgarten circa 20 Kilometer westlich von Zürich wurde diese Praxis erstmals hinterfragt, berichtet die Neue Züricher Zeitung.
Anfang der Woche eröffnete ein neues Asylzentrum in dieser Gemeinde. Dort sollen in den nächsten drei Jahren bis zu 150 Asylsuchende wohnen, berichtet der Schweizer Tagesanzeiger. Das BFM hatte Ende April eine Vereinbarung mit der Stadt Bremgarten abgeschlossen, derzufolge „das Betreten der Schul- und Sportanlagen […] ohne Zustimmung der zuständigen Behörden nicht erfolg[en]“ dürfe. Aus einer Beilage zur Vereinbarung gehe zudem hervor, dass Asylbewerber an 32 „sensiblen Zonen“ unerwünscht seien. Dazu gehörten auch Schwimmbäder, Kindergärten und ebenso die Vorplätze verschiedener Kirchen. Unterzeichnet hätten die Vereinbarung ein Stellvertreter des Direktors vom BFM und Bremgartens Gemeindepräsident Raymond Tellenbach (FDP).
Mirgationsamt-Chef und Gemeindepräsident widersprechen sich
Der Fall löste ein großes Presse-Echo in der Schweiz aus, aber auch deutsche Medien griffen das Thema auf. Proteste gab es unter anderem von Menschenrechtsorganisation. Der Chef des Bundesamts für Migration, Mario Gattiker, kommentierte am Mittwoch im Interview mit dem Tagesanzeiger, die Einschränkungen gälten „nicht für Kirchenplätze oder Bibliotheken, wie dies Medien irrtümlicherweise berichtet haben“. Hingegen habe Gemeindepräsident Tellenbach unter anderem gegenüber dem Tagesanzeiger mehrfach erklärt, er sei davon ausgegangen, dass der Plan verbindlich und die Bewegungsfreiheit der Asylsuchenden dort eingeschränkt sei – und zwar nicht nur auf Schul- und Sportarealen, sondern ebenfalls an den anderen eingezeichneten Stellen – auch auf Kirchenvorplätzen.
Die Verwirrung sei laut BFM-Chef Gattiker „wegen eines falschen Plans im Anhang der Vereinbarung entstanden, der publik geworden ist“. Die Asylbewerber würden „nicht generell von den Schul- und Sportanlagen ausgeschlossen. Sie müssen den Besuch aber mit der Leitung des Asylzentrums absprechen“. Und weiter sagte er: „So wollen wir verhindern, dass 50 Asylbewerber gleichzeitig einen Fussballplatz benutzen oder in die Badi gehen. Diese Einschränkung gilt von Montag bis Freitag zwischen 7 und 18 Uhr.“ Gattiker betonte, damit würden „die Grundrechte der Asylsuchenden vollumfänglich gewahrt [bleiben], alle rechtlichen Bestimmungen sind eingehalten. Es sind keine Sanktionen vorgesehen, wenn sich ein Asylbewerber nicht an die Spielregeln hält.“
Menschenrechtsorganisationen: Ausgrenzungsversuche sind fatal
Der Pressesprecher der „Schweizerischen Flüchtlingshilfe“, Stefan Frey, kritisierte die Vorgehensweise von Staat und Gemeinde: „Die pauschale Ausgrenzung von Asylsuchenden, beispielsweise ein Verbot, besondere Bereiche zu betreten, ohne dass bereits vorwerfbares Verhalten vorliegt, ist nicht verhältnismässig.“ Eine Ein- oder Ausgrenzung könne „zur Bekämpfung des Drogenhandels“ angeordnet werden oder „wenn ein rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt und die betroffene Person die Ausreisefrist ungenutzt hat verstreichen lassen“.
Die Schweizerin Judith Kopp von der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ in Deutschland sagte gegenüber pro, obwohl Gattiker aktuell „der Darstellung widersprochen hat, dass auch Kirchen und Bibliotheken für Asylsuchende unzugänglich sein sollen, bleibt trotzdem ein mehr als ungutes Gefühl. Wenn eine Ortschaft mit knapp 6.500 Einwohnern sich dafür ausspricht, 32 verbotene Orte zu schaffen und die politischen Verantwortlichen ihre Gemeinde mit ‚No-Go-Areas‘ versehen wollen, so spiegelt dies rassistisch motivierte ‚Gated Community‘-Vorstellungen wider anstatt die Bereitschaft zur humanen Aufnahme von Flüchtlingen.“ Solche willkürlichen Ausgrenzungsversuche seien fatal, fügte Kopp hinzu.
Auf die Frage, ob solche Einschränkungen in Deutschland denkbar seien, sagte Kopp: „Unseres Erachtens wäre das ein Grundrechtsverstoß in Deutschland. Grundrechtseinschränkungen können nur auf einer gesetzlichen Grundlage vorgenommen werden. Auch dem Anspruch des Antidiskriminierungsrechts würde eine solche willkürliche Regelung in Bezug auf den Status der Asylsuchenden kaum standhalten.“ (pro)