Die voraussichtlich künftige Bundesregierung von Union und SPD will mit hunderten Milliarden Euro die Bundeswehr aufrüsten und die Wirtschaft ankurbeln. Allein für Infrastrukturmaßnahmen wollen CDU/CSU und SPD 500 Milliarden Euro aus einem „Sondervermögen“ finanzieren. Sondervermögen sind Finanzmittel des Bundes, die getrennt vom Bundeshaushalt bilanziert werden und in der Regel über Kredite des Bundes finanziert sind.
Der Hochschullehrer für plurale Ökonomik an der Universität Siegen, Niko Paech, hat die Schuldenpolitik der mutmaßlich zukünftigen Bundesregierung von Union und SPD kritisiert. Die geplante massive Neuverschuldung zur Finanzierung eines „gigantischen Militärhaushalts“ hält er für „fragwürdig“ und mit christlichen Werten nicht vereinbar.
Anstelle der hohen Schuldenaufnahme schlägt Paech alternative Finanzierungswege vor: „Wenn ein höherer Militärhaushalt wirklich notwendig wäre, sollte man über eine Vermögenssteuer oder einen Lastenausgleich nachdenken – ein Konzept, das schon Konrad Adenauer nach dem Zweiten Weltkrieg genutzt hat“, sagte er am Rande des Kongresses christlicher Führungskräfte (KcF) in Karlsruhe gegenüber PRO. Der Krieg in der Ukraine werde als Vorwand genommen, „alle Verschuldungsregeln niederzureißen“, kritisierte er. Den Medien wirft er vor, die Bedrohung Europas durch Russland zu übertreiben. Seiner Einschätzung nach sei Russland „ausgeblutet“ und besitze keine Expansionskraft mehr. Er warnte davor, dass die aktuelle Schuldenpolitik eine „doppelte Konkursverschleppung“ sei – erstens finanziell zulasten künftiger Generationen und zweitens durch die Notwendigkeit eines ökologisch schädlichen Wirtschaftswachstums zur Schuldenrückzahlung.
„Mehr kritische Distanz zur Fortschrittsgläubigkeit“
Die Frage, ob die vorgesehene Verschuldung mit christlichen Werten zu vereinbaren sei, verneint der Ökonom, da sie einer kolossalen Aufrüstung diene, die sich, wenn überhaupt, nur begründen ließe, nachdem alle Optionen fehlgeschlagen seien, den europäischen Frieden auf Verhandlungsbasis zu sichern. „Es besteht die Gefahr, dass von einer zunehmenden Militarisierung Mitteleuropas eine erneute Bedrohung für Russland ausgeht, auf die wiederum Gegenmaßnahmen folgen. Ich vermisse eine Orientierung an der Entspannungspolitik, für die Willy Brand einst den Friedensnobelpreis erhielt.“
In Bezug auf die geplanten Maßnahmen zur Infrastruktur durch „Sondervermögen“ plädierte Paech für eine selektive Betrachtung: „Wir müssen die Verkehrsinfrastruktur zurückbauen, wenn wir ökologisch überleben wollen.“ Während Investitionen in die Bahn sinnvoll seien, lehnt er weitere Mittel für den Straßen- und Güterverkehr sowie für die Digitalisierung ab. „Nötig wäre mehr kritische Distanz zur Fortschrittsgläubigkeit, mit der die Digitalisierung vorangetrieben wird.“
Auf die Frage, ob all dies ohne Wachstum möglich sei, entgegnet Paech: „Umgekehrt gilt, dass Wachstum ohnehin keine Option mehr ist.“ Er verweist auf die schrumpfenden Ressourcen und die „krachend gescheiterte“ deutsche Energiewende: „Es wird sich früher oder später als unmöglich erweisen, die Energiebasis des aktuellen Wohlstandsmodells durch die Erneuerbaren zu reproduzieren.“
Zum Thema Glaubwürdigkeit in der Politik äußert sich Paech kritisch, insbesondere im Hinblick auf den Kurswechsel in der Schuldenbremse: „Natürlich müssen Politiker das Recht haben, dazuzulernen, aber dieser 180-Grad-Schwenk von Friedrich Merz ist schon bemerkenswert.“ Dennoch sieht Paech ein größeres Glaubwürdigkeitsproblem in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik: „Überall wird inbrünstig betont, wie wichtig Klimaschutz sei – und das genaue Gegenteil wird politisch und individuell betrieben.“
Finanzierung durch „Friedenssicherungsanleihen“
Der Wirtschaftsethiker Harald Bolsinger von der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt hat sich auf Anfrage ebenfalls kritisch zur geplanten Schuldenaufnahme der möglichen neuen Bundesregierung geäußert. Er betont allerdings, dass es sich nicht um ein einzelnes Sondervermögen handle, sondern mindestens um drei verschiedene Maßnahmen, die getrennt betrachtet werden müssten. „Das ist tatsächlich so, wenn man es als ein Thema betrachtet, dann müsste man auf jeden Fall sagen, das geht gar nicht.“
Der Wirtschaftswissenschaftler sieht die Gefahr, dass die zusätzlichen Schulden für unspezifische politische Wünsche genutzt werden. Eine verantwortungsvolle Politik müsse sich auf „strukturrelevante Maßnahmen“ konzentrieren, insbesondere auf die Erneuerung der Infrastruktur, die Digitalisierung und Zukunftstechnologien.
Russland habe bereits seit Jahren auf Kriegswirtschaft umgestellt. Europa müsse sich darauf einstellen. Vor diesem Hintergrund hält Bolsinger eine Schuldenaufnahme zur Verteidigungsfähigkeit für gerechtfertigt: „Ich würde es mal Friedenssicherungsanleihen nennen.“
„Wirtschaftlicher Selbstmord“
Auf die Frage nach alternativen Finanzierungswegen, wie einer Vermögensteuer oder einem Lastenausgleich, wie sie Paech erwägt, zeigte sich Bolsinger jedoch ablehnend und betonte, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb stehe: „Wir wollen doch Menschen hier binden, die investieren in unser Land, in unsere Unternehmen.“
Die Forderung, die Infrastruktur zurückzubauen, um ökologischen Zielen zu entsprechen, erteilte Bolsinger eine Abfuhr. „Das wäre wirtschaftlicher Selbstmord. Den eigenen Kapitalstock gezielt zu demontieren, halte ich für keinen Weg.“ Vielmehr müsse die Herausforderung sein, „Wachstum von Ressourcenverbrauch und ökologischer Zerstörung zu entkoppeln.“
Zum Thema Schöpfungsverantwortung betonte Bolsinger, dass wirtschaftliche Entscheidungen langfristig mit der Bewahrung der Umwelt vereinbar sein müssten: „Erstmal muss ich mir Gedanken machen, wie kann ich denn das, was Gott mir zur Verwaltung gegeben hat, so pfleglich behandeln, dass es nicht kaputtgeht.“
Den Glaubwürdigkeitsverlust der CDU durch die Abkehr von der Schuldenbremse bewertete er als „erheblich“. Allerdings vermutet er, dass dies nicht aus einer grundsätzlichen Abkehr von der Schuldenbremse geschehe, sondern als „eine Reaktion auf die Bedrohungslage, der wir uns als ganz Europa jetzt durch das Umsteuern von Trump sehen.“
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