Eigentlich sollten die Schüler in Baden-Württemberg nach den Osterferien wieder in die Schule gehen können – getestet und im Wechselbetrieb. Doch daraus wird erstmal nichts, weil die Corona-Zahlen vor Ostern wieder deutlich gestiegen sind. Oft wurden in den vergangenen Wochen die Regeln geändert, zuletzt galt nach wochenlangem Lockdown ein kompliziertes System aus Wechselunterricht und Notgruppenbetreuung, das den am Schulbetrieb Beteiligten einen enormen zusätzlichen Organisationsaufwand brachte. Die anderen Bundesländer stehen vor den gleichen Herausforderungen.
Einig sind sich wohl alle: Fernunterricht, wie er seit dem zweiten Lockdown im Dezember letzten Jahres verpflichtend wurde, möchte niemand mehr. War schon im Frühjahr 2020 klar, dass durch das Home-Schooling eine ganze Reihe an Schülerinnen und Schülern abgehängt wurden – sei es aufgrund fehlender oder ungenügender digitaler Geräte und Internet-Anschlüsse oder mangels Unterstützung von zu Hause –, hat sich diese Tendenz im zweiten Lockdown weiter verschärft. Nicole Saier, Lehrerin für Französisch und Geschichte am Grimmelshausen-Gymnasium in Offenburg rechnet mit mindestens zwei Schülern in der Unter- und Mittelstufe, die „hinten runterfallen“.
Corona verschärft Unterschiede
Auch Silke Moser, Leiterin der Georg-Monsch-Grundschule, weiß um einige Kinder, die durch den Lockdown benachteiligt und schulisch abgehängt wurden. Sie ist froh, in diesen anstrengenden Wochen wenigstens Notgruppen anbieten zu können, die auch gut angenommen wurden. „Nach dem Frühjahr galt die Regel, dass in Corona-Zeiten niemand die Klasse wegen schlechter Noten wiederholen muss. Nun kann auch während des laufenden Schuljahres die Klasse nach unten gewechselt werden – im Online-Modus. Gelernt wird also weiterhin isoliert am Bildschirm, in einem Jahrgang, den man nicht einmal richtig kennt“, bedauert Saier, die hier noch große Problem kommen sieht.
Schulleiterin Susanne Self-Predhumeau bestätigt, dass die Heterogenität einer Klasse durch Fernunterricht oft verstärkt. wird. „Gute und gewissenhafte Schüler arbeiten selbstständig und machen ausgezeichnete Lernfortschritte. Schüler, die sich selbst nicht organisieren können, fühlen sich schnell überfordert und haben Mühe, den Anschluss zu behalten.“
Gleiches berichtet Silke Moser über ihre Grundschüler, bei denen Elternhaus und der Bildungshintergrund altersbedingt eine noch größere Rolle bei der Unterstützung spielen als in den weiterführenden Schulen. Viele der Familien stoßen an ihre Grenzen, denn neben der schulischen Betreuung von Erst- bis Viertklässlern läuft noch die eigene Berufstätigkeit, nicht selten auch im Home-Office.
In ihren Elternbriefen bedankt sich Moser immer wieder ausdrücklich für die Unterstützung der Schule von Elternseite. Und sie weiß um die Doppelbelastung vieler ihrer Lehrkräfte, die nicht nur die Schulkinder im Fernunterricht sondern auch ihre eigenen Kinder schulisch zu betreuen haben. In Startklassen wie der ersten oder der fünften Klasse hatten die Schüler bisher kaum die Gelegenheit, ihre Klassenkameraden oder ihre Lehrer einmal persönlich kennenzulernen. Kinder hier zum Lernen zu motivieren ist doppelt schwer, wissen Mütter zu berichten.
Fernunterricht für Lehrer aufwendiger
Andere berufstätige Eltern erzählen, wie ihr zwölfjähriges Kind nach Wochen des Fernunterrichts allein zuhause „einfach nicht mehr kann“. Manche Kinder wirken über dem Bildschirm müde, „die Gesichter wie ausgelöscht“, berichtet Gymnasiallehrerin Saier, die anfangs dem digitalen Fernunterricht noch durchaus positiv gegenüberstand.
„Fernunterricht mit digitalen Möglichkeiten birgt im geregelten Schulbetrieb sicherlich auch Chancen, aber wenn der direkte Kontakt völlig fehlt, geht im sozialen Miteinander sehr viel verloren“, bedauert sie. „Im Klassenzimmer kann ich sehen, wie mein Unterricht bei den Schülern ankommt, das fehlt bei den Videokonferenzen fast völlig“. Sie betont, dass Fernunterricht komplex sei. Sie und ihre Kollegen hätten sich über die vergangenen Monate im Krisenmodus sehr vieles selbst erarbeiten müssen. Es ärgert sie, dass in manchen Medien nun der Eindruck entstehe, Lehrer müssten bei Videokonferenzen als die besseren Youtuber unterwegs sein, wenn Unterricht per Bildschirm stattfindet.
„Fernunterricht ist um ein vielfaches zeitintensiver als Präsenzunterricht. Wenn Aufgaben zu erstellen sind, müssen Erklärungen und Progression sehr gut überlegt sein und übersichtlich dargestellt werden, denn Nachfragen sind – anders als im Präsenzunterricht – nicht so einfach möglich“, ergänzt Schulleiterin Self-Predhumeau. Auch die Nachbereitung ist zeitintensiv, wenn den Schülern Feedback auf ihre Leistungen gegeben werden soll oder Notizen nochmals zu einem Aufschrieb für die Klasse zusammengefasst werden. Ihr Dank gilt auch Kollegen, die den Kraftakt der Umstellung auf digitalen Fernunterricht unter Berücksichtigung der Datenschutzvorgaben und die Betreuung der Geräte und Infrastruktur „so nebenher“ geleistet haben.
Integration läuft nicht online
Im benachbarten Frankreich gibt es mehr Fachkräfte für die digitale Ausrüstung der Schulen als in Deutschland, weiß sie zu berichten. Nach den negativen Erfahrungen während des Lockdowns im vergangenen Frühjahr sind die Schulen dort seither offengeblieben und wurden Anfang April erst zum zweiten Mal zeitlich befristet geschlossen. Schule als Ort des sozialen Miteinanders und der Integration wurde dort trotz Pandemie-Geschehens höher bewertet als in Deutschland, wo die Schulen im zweiten Lockdown über Wochen flächendeckend geschlossen blieben.
Gerade für Menschen mit Migrationshintergrund sind die physische Lehrerpräsenz und die Schule als Ort der Begegnung wichtig, bestätigt Holger Schneider, Lehrer an der gewerblich-technischen Schule Offenburg. „Ich unterrichte 15- bis 40-jährige Schüler, darunter sehr schwache Schüler wie auch Hochbegabte“, erklärt er. „Viele unserer Schüler scheitern im Fernunterricht wegen mangelnder technischer Ausrüstung, aber vor allem wegen der fehlenden sozialen Kontakte. Integration läuft nun einmal nicht online ab!“ Für ihn gilt: Auch ein schlechter Lehrer ist besser als gar kein Lehrer, denn auch von einem ungenügenden Vorbild kann man mehr lernen als von neutraler Technik.
Als gelernter Grafiker arbeitet Schneider mit seinen Schülern auch mit digitalen Geräten, merkt aber, wie der Umgang mit Material – egal ob Stift, Ton, Papier oder Holz – seinen Schülern guttut. „Kein Mensch ist nur virtuell und mit Kopf und Intellekt unterwegs, man muss sich auch einmal schmutzig machen dürfen!“
Nicht einfach mal zuhören
Darüber sind sich auch Lena und ihre Freundin Antonia aus der zehnten Klasse des Grimmelshausen Gymnasiums einig. Wochenlang haben sie sich den Lernstoff im Übergangsjahr zur Oberstufe selbstständig angeeignet, teils über Videokonferenzen, teils über Aufgabenblätter und Lehrvideos. Beide schätzen die Möglichkeit, sich Stoff in Ruhe und selbstständig zu erarbeiten. Aber auf Dauer empfinden sie das Lernen im Fernunterricht als nicht gut: „Ich bin tagsüber allein und es ist schon sehr anstrengend, sich stundenlang auf reine Lehrinhalte zu konzentrieren und eine Aufgabe nach der anderen in Mathe zu rechnen, während man im Präsenzunterricht auch einfach einmal zuhören oder eine Banknachbarin fragen kann“, berichtet die 16-jährige Antonia.
Sie ist mit ihren Freundinnen viel in Kontakt über die Sozialen Medien, man hilft sich gegenseitig auch über diese digitalen Möglichkeiten. Wenn der Schulstoff erledigt ist, versuchen die Freundinnen sich zu treffen, soweit das unter den Corona-Bedingungen möglich ist. Dann wird gebacken und gebastelt, Musik gehört und geredet.
Von: Carola Bruhier
Lesen Sie ab 16. April in der nächsten Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro mehr zu den Folgen der Corona-Pandemie. Hier können Sie das Magazin kostenlos bestellen.