Der Kampf für Demokratie dürfe keine konjunkturelle Frage sein, erklärte Kristina Schröder angesichts der anhaltenden Debatte um Rechtsextremismus in Deutschland. Auch in diesen Zeiten solle der Kampf gegen den Islamismus nicht vernachlässigt werden, denn "Rechtsextremismus ist nur die Spitze des Eisberges". Alltägliche Diskriminierungen und Anfeindungen, mit denen sich Muslime auseinandersetzen müssten, führten zu Ausgrenzungserfahrungen. Schröder rief dazu auf, gemeinsam zu verhindern, dass Jugendliche in den muslimischen Extremismus abdrifteten. Unter dem Motto "’Islamismus‘: Perspektiven – Positionen – Prävention" hatte die "Konrad-Adenauer-Stiftung" Experten und Interessierte zum Austausch eingeladen.
Islam – kein Schutzfaktor gegen Extremismus
"Zukunftsperspektiven und Chancen bewirken mehr als jeder Integrationskurs", sagte Schröder. Rund 13 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund verließen die Schule ohne Abschluss, die Zahl der Schulabbrecher steige. Die Folge davon sei, dass Migranten keine oder schlechte Jobs bekämen und in Hartz IV endeten, "bevor ihr Leben überhaupt begonnen hat". Die Gesellschaft schulde der Jugend Bildung, erklärte die Ministerin. Daher plädiere sie vor allem für eine frühkindliche Förderung der Sprachfähigkeit. Kinder und Jugendliche müssten aber auch zur Mündigkeit erzogen werden. Zwar halte sie den Islam nicht grundsätzlich für integrationsfeindlich, er sei aber – im Gegensatz zum Christentum – auch kein Schutzfaktor vor Extremismus. Überbetonte Männlichkeitsnormen, eine Kultur der Ehre, enge Familienstrukturen und eine Gehorsamserziehung wirkten einer Entwicklung zur Mündigkeit oft entgegen. In Deutschland dürfe es kein Recht auf kulturelle Differenz in Fragen der freien Religionswahl, der Wahl des Ehepartners oder der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau geben, stellte Schröder fest. "Jeder Extremismus schadet unserer Demokratie." Die Behauptung, Rechtsextremismus würde legitimiert, weil man sich dem Islamismus widme, sei aber "falsch und dumm".
Immer schneller und immer jünger radikal
Klaus Michael Rogner, Leiter der Abteilung Islamismus und Islamistischer Terrorismus beim Bundesamt für Verfassungsschutz, stellte fest, dass der Personenkreis, der in den Islamismus abrutsche, zum einen immer jünger werde. Zum anderen beschleunigten sich Radikalisierungsprozesse immer mehr. Ein Beispiel dafür sei der aus Deutschland stammende getötete Islamist Eric Breininger. Von der Konversion des gerade einmal 20-Jährigen bis zu seiner Partizipation am Jihad sei weniger als ein Jahr vergangen. Gerade das Internet sei eine bedeutende Plattform für Islamisten.
Einen allgemeinen Radikalisierungsverlauf gebe es zwar nicht, dennoch gehe der Verfassungsschutz von Entwicklungsstufen aus, die gerade Jugendliche durchliefen. Oft lehnten sie die Werte und Normen der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft ab und übernähmen Fragmente des Islamismus, der Experte nannte das "Baustein-Islamismus". Es folge der Abbruch von Kontakten und die Konzentration auf radikale Gruppierungen. Schließlich reisten Extremisten ins Ausland, besuchten Ausbildungslager und beteiligten sich am Jihad. Gründe dafür seien das Empfinden, dass Muslime Opfer einer weltweiten Unterdrückung seien, persönliche Zurückweisungen, geringe gesellschaftliche Partizipationschancen, religiöse Prägungen und die Ablehnung von Partizipation. Auch sogenannte "Triggerevents" wie der Abdruck der Mohammed-Karikaturen in Dänemark könnten Radikalisierungen fördern.
Prävention durch Bildung
Der Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak rief dazu auf, Eltern mit Migrationshintergrund stärker bei der Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen. In den Bereichen interkulturelle Kompetenz und politische Bildung müssten Familien besser gefördert werden. Er wandte sich gegen eine "Frühselektion" der Kinder, also das dreigliedrige Schulsystem. Wichtig sei auch ein Ausbau der Ganztagsbetreuung, findet Toprak. Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, bedauerte, dass noch immer Vorurteile gegen Menschen mit Mirgationshintergrund kursierten. Sie berichtete, dass sie in ihrer Arbeit nach wie vor Menschen begegne, die wegen des Tragens eines Kopftuchs oder ihrer Hautfarbe keine Arbeitsstelle oder Wohnung fänden. Damit Menschen sich nicht zusätzlich ausgegrenzt fühlten, plädierte sie etwa für die Überarbeitung der Schulbücher. Statt "nur Hans und Otto" könnten dort auch einmal ausländisch klingende Namen auftauchen, findet Lüders.(pro)