Soviel Kanzler hatte Kirche selten: Olaf Scholz ist jüngst beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg aufgetreten, kurz danach, am Mittwoch dieser Woche, beim Jahresempfang der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Es darf die Protestanten freuen, dass sich der Kabinettschef offenbar ganz gern in ihren Reihen sehen lässt. Nur, was er sagt, wirft Fragen auf. Beziehungsweise, was er nicht sagt.
Auf dem Johannisempfang der EKD sprach Scholz mit keinem Satz über Religion oder Glauben. Er verteidigte den jüngsten Asylkompromiss der EU, sprach über mangelnden Respekt in der Gesellschaft und Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Gottesfrage ließ er aus. Und das vor einer mit hunderten kirchennahen Menschen gefüllten Kirche.
Scholz ist getauft, konfirmiert, ausgetreten
Das ist nichts Neues für Scholz, deshalb aber nicht weniger irritierend. Wer Scholz über die Jahre aus der Ferne etwas kennengelernt hat, der weiß: Der heutige Kanzler spricht nicht gern über die sogenannten höheren Dinge. Auch auf dem Kirchentag Mitte Juni zeigte sich dies eindrücklich.
Der erste konfessionslose Bundeskanzler verweigerte sich einer sehr freundlich und vorsichtig gestellten Frage der Zeit-Hauptstadtkorrespondentin Tina Hildebrandt. Sie wollte wissen, ob er erzählen wolle, warum er aus der Kirche ausgetreten sei. „Eigentlich nicht so“, war seine Antwort für die Kirchentagsbesucher. Dabei wäre das doch gerade hinsichtlich des Mitgliederschwundes spannend zu erfahren. Scholz ist getauft und konfirmiert, wie viele Deutsche, die dann wie er später doch die Kirche verlassen. Die Frage nach dem Warum treibt nicht nur Theologen, sondern auch Kirchenfunktionäre um.
Scholz rechtfertigte sein Schweigen auf dem Kirchentag mit seinem „Respekt gegenüber dem Glauben der Bürger“, der es gebiete, dass er sich nicht zu stark dazu äußere. „Ich habe eine öffentliche Verantwortung auch zum Schutz des Glaubens“, so Scholz.
Neu über Glauben reden lernen
Klingt nach Ausrede. Mit dem Bekenntnis zu ihrem christlichen Glauben bereitete sich Angela Merkel keine Schande. Auch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist bekannt, dass er beherzt evangelisch ist. Jüngst erklärte sich Arbeitsminister Hubertus Heil ebenfalls dazu im PRO-Interview. Spitzenpolitik und Glaubensbekenntnis schließen sich nicht aus. Letzteres ist elementares Menschenrecht, genauso übrigens wie das Bekenntnis zu keiner Religion.
Und doch scheint das Verhalten des Kanzlers geradezu sinnbildlich für den verklemmten Umgang der Deutschen mit Spiritualität zu stehen. Das Gespräch über den Glauben ist für viele etwa so heikel wie Smalltalk über Sexualität oder das eigene Gehalt. Dabei ist ein Austausch doch bereichernd. Und nicht zuletzt ist die Haltung des Staatslenkers zu Gott doch ein Thema, das für den Wähler relevant sein könnte.
Vielleicht hält Scholz sich zurück, weil er sich an Robert Habecks Ausrutscher von 2019 erinnert. Auf die Bundestagswahl zusteuernd erklärte der heutige Wirtschaftsminister in einem Interview, er habe wohl zu viele Philosophen gelesen, um gläubig zu sein. Mancher warf ihm danach Arroganz vor und das, obwohl Habeck im gleichen Atemzug die Werte des Christentums lobte.
Ein Vorschlag an dieser Stelle, an jene, die sich damals über Habeck geärgert haben, aber auch an jene, die es nicht wagen, öffentlich über Glaube und Zweifel zu sprechen: Lassen Sie uns neu lernen, offen über das zu reden, was wir glauben. Lassen Sie uns neu diskutieren über die Dinge, die uns antreiben. Und bekennen, welche Werte uns leiten. Es ist nichts Verwerfliches daran. Gerade in Zeiten, in denen Kirchen schrumpfen und viele spirituell suchen, ist Sprachfähigkeit in und außerhalb der religiösen Blase gefordert.