Wenn es ums Klima geht, wird es manchem ganz heiß. Dafür reichen Stichworte aus: Heizungsgesetz. Straßenkleber. Flugscham. Pastikbecherverbot. Klimafasten.
Manche sprechen von „Klimahysterie“ und meinen damit eine übertriebene Sorge wegen des Klimas und seiner Veränderung. Eine Jury kürte den Begriff 2019 zum „Unwort des Jahres“, weil damit Klimaschützer diffamiert würden. Überhaupt ist die Frage, ob von Klimawandel, -erwärmung, -erhitzung, -krise, -katastrophe oder -kollaps gesprochen werden sollte. Je nach Wortwahl kann es den einen oder den anderen auf die Palme bringen: Weil er es wahlweise verharmlosend oder übertrieben findet. Und dann ist da noch die Kirche, die in die angebliche Klimahysterie einstimmt, die Aktivisten der „Letzten Generation“ in Schutz nimmt und sich zu einem Vorreiter der Klimabewegung macht. Das finden wiederum manche gut, andere regt es auf: Hat die Kirche nicht dringlichere Aufgaben, als sich um das Klima zu kümmern?
Der Soziologe Steffen Mau hat in seiner viel beachteten Studie „Triggerpunkte“ festgestellt, dass die deutsche Gesellschaft in der Frage nach dem Klimawandel an sich nicht gespalten ist. Es herrscht in der Bevölkerung weitestgehend Einvernehmen darüber, dass es aufgrund menschlicher Aktivitäten immer wärmer wird, dass das Folgen haben wird und Maßnahmen dagegen notwendig sind. Aber an konkreten Fragen, wie viele und wie schnell Veränderungen notwendig sind, um den Klimawandel aufzuhalten und die Ressourcen des Planeten zu schonen, entsteht Reibungshitze in der Diskussion.
An diesen „Triggerpunkten“ beginnen laut Mau die Emotionen zu brodeln. Für die einen gehört es zum Lebensstil, nachhaltig produzierte Kleidung und Lebensmittel zu kaufen, diese dann im Lastenrad zu transportieren und nur mit der Bahn zu verreisen. Sie können nicht verstehen, warum nicht mehr gegen den Klimawandel getan wird. Andere sind schlicht aufs Auto angewiesen, können sich Produkte mit Fair-Trade- und Öko-Siegel nicht leisten und eine neue Heizung wird zur materiellen Existenzfrage. Für sie stehen ganz andere Probleme und Themen an erster Stelle als Klima und Umwelt. Manche haben das Gefühl, ihnen werde ein bestimmter Lebensstil verordnet – was eher zu einer Abwehrhaltung gegenüber einer missionarisch auftretenden Klimabewegung führen dürfte.
Nachhaltigkeit für viele Christen wichtig
Die Verantwortung für die Schöpfung ist im christlichen Glauben verankert. Die Bibel beginnt mit den Berichten, wie Gott die Welt erschaffen hat und welche Rolle er dem Menschen dabei zukommen ließ. An verschiedenen Stellen führt die Bibel die Schöpfung als Beleg für Gottes Weisheit und Macht an. Die Antwort Gottes an Hiob (Hiob 38–42) etwa zeigt das eindrücklich. Paulus betont im Römerbrief sogar, dass niemand behaupten dürfe, nichts von Gott zu wissen, weil die Menschen ihn an seinen Werken in der Schöpfung erkennen könnten. Also liegt es nahe, dass es Christen nicht egal ist, wie es um den Planeten steht, und dass es ihnen ein Anliegen ist, verantwortungsvoll mit diesem Geschenk umzugehen: damit auch nachfolgende Generationen davon und darauf leben können und Gottes Größe darin sehen. Das ist in etwa das, was auch im Begriff Nachhaltigkeit steckt.
Tatsächlich ist Nachhaltigkeit für sehr viele Christen ein wichtiges Thema. Das konnte ein Forscherteam von der CVJM-Hochschule in Kassel um den Praktischen Theologen Tobias Faix in der Studie „Glaube. Klima. Hoffnung.“ nachweisen. Mehr als 2.500 Christen aus der Schweiz und aus Deutschland haben dafür an einer Online-Umfrage teilgenommen. Der Großteil von ihnen lässt sich als „hochreligiös“ einstufen. Das heißt, ihr Glaube ist stark ausgeprägt und spielt eine zentrale Rolle für ihre Lebensführung. 22 Prozent der Befragten gaben an, dass Nachhaltigkeit ein zentrales Anliegen im christlichen Glauben ist. Etwa zwei Drittel fanden, es sollte eine zentralere Rolle spielen. Viele fühlen sich in der Natur mit Gott verbunden. Schützenswert halten sie sie aber nicht in erster Linie deswegen, sondern weil die Natur von Gott geschaffen wurde und ein biblischer Auftrag darin liegt, sie zu bewahren.
Die „Ge-Na“-Studie
Für die nicht repräsentative Studie „Glaube. Klima. Hoffnung. Was Christinnen und Christen über Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit denken.“ („Ge-Na“ – Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit) haben mehr als 2.500 Christen ab 14 Jahren aus Deutschland und der Schweiz zwischen November 2022 und April 2023 an einer Online-Befragung teilgenommen, darunter Angehörige verschiedener Freikirchen sowie der Amtskirchen. Anhand von bereits in anderen Studien erprobten Fragen zur Intensität und Praxis ihres Glaubens wurden sie in Religiöse und Hochreligiöse eingestuft. In Deutschland lag der Anteil der Hochreligiösen bei drei Vierteln. In der Schweiz war er noch höher. 56 Prozent der deutschen Befragten gehörte einer evangelischen Landeskirche an, knapp ein Drittel einer Freikirche. In einer qualitativen Vorstudie wurden zwölf Personen in Leitfrageninterviews befragt.
Beauftragt und finanziell gefördert hat die Studie „Interaction“, ein Dachverband von christlichen Organisationen aus der Schweiz, die sich mit Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe befassen. Auch weitere Organisationen haben die Studie mitfinanziert, darunter „World Vision“, „Brot für die Welt“ und der CVJM Deutschland. Ebenfalls zu den Kooperationspartnern gehört die Evangelische Kirche in Kurhessen und Waldeck.
Hier gibt es die Studie zum Download: ge-na-studie.net
Insgesamt stellten die Forscher also einen breiten Konsens zum Thema Nachhaltigkeit unter Christen fest. Zugleich ist der konkrete Umgang damit durchaus unterschiedlich und hängt zum Teil mit bestimmten Glaubensüberzeugungen zusammen. Mit Aussagen etwa zur Mülltrennung, zum Wassersparen, zum Einkaufsverhalten oder zu genutzten Verkehrsmitteln maßen die Forscher auch, wie nachhaltig die Befragten handelten. Das steht etwa in Beziehung damit, welche Vorstellung die Befragten von Gott haben: Wer eher an einen strengen, kontrollierenden Gott glaubt, verhält sich weniger umweltbewusst und macht sich auch weniger Sorgen wegen des Klimawandels. Insgesamt sind die Klimasorgen unter Christen mittelmäßig stark ausgeprägt.
Ob jemand die Bibel kontextlos liest oder sie eher auf die Situation bezogen auslegt, hat keinen Einfluss darauf, wie nachhaltig sich Christen verhalten. Wohl aber die theologischen Ansichten vom Ende der Welt. Dass sich der Einsatz für Nachhaltigkeit nicht lohne, weil Gott einst eine neue Welt schaffen werde, lehnen 90 Prozent der Befragten zwar ab. Allerdings verhalten sich Christen weniger nachhaltig, je stärker sie an eine Neuschöpfung glauben. Weniger als die Hälfte stimmt zu, dass nicht nachhaltiges Verhalten Sünde ist. Etwa ein Drittel bis die Hälfte kritisieren, Naturschützer würden eher die Natur vergöttern als den Schöpfer ehren.
Für die Forscher sind das Hinweise darauf, dass es Christen wichtig ist, Nachhaltigkeit theologisch zu begründen und in die eigene Spiritualität zu integrieren.
Reden oder Handeln?
Ein besonderer Knackpunkt ist die Gewichtung von Wort und Tat. In der Studie sollten die Befragten angeben, wie wichtig ihnen welche Aspekte von Mission sind. Grundlage dafür sind die „Five Marks of Mission“ aus der anglikanischen Kirche, also fünf Kennzeichen, die zusammen das Wesen der christlichen Mission ausmachen. Dabei bewerten die Befragten insgesamt den Dienst an Not leidenden Menschen, die Bewahrung der Schöpfung und den Einsatz gegen ungerechte Strukturen deutlich höher als Lehre und Verkündigung. Hochreligiöse Befragte weichen jedoch davon ab: Sie stufen die beiden Aspekte, die das Wort in den Vordergrund stellen, überdurchschnittlich höher ein als religiöse, die ihren Glauben also weniger intensiv leben. Die Aspekte der Tat bewerten beide Gruppen ähnlich.
Die unterschiedliche Gewichtung von Evangelisation spiegelt sich auch in der Zustimmung zu einer anderen Aussage wieder: „Der Einsatz für Nachhaltigkeit auf Erden ist wichtig, aber Evangelisation hat eine Auswirkung für die Ewigkeit und ist deshalb wichtiger.“ Religiöse Christen unterstützen das lediglich zu acht Prozent, hochreligiöse Christen stimmen zu 36 Prozent zu. Ebenso befürworten Freikirchler diese Aussage stärker als Landeskirchler. Die Studienautoren folgern daraus, dass für Christen nicht die Bedeutung des diakonischen Handelns infrage steht. Vielmehr gehen die Meinungen darüber auseinander, wie wichtig Verkündigung und Evangelisation sind. Ein Triggerpunkt, wie es Studienleiter Faix in Anlehnung an den Soziologen Mau bezeichnet.
Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass manche Christen das Engagement der Kirchen für Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit skeptisch betrachten. Weil es ihnen als zu viel Aktion im Verhältnis zum geistlichen Wort erscheint.
Das Ziel muss klar sein
Lässt sich hier ein Ausgleich finden? Jakobus greift in seinem Brief das Verhältnis von Glaube und Taten auf (Jakobus 2). Er betont: Der Glaube an Jesus Christus muss sich im Handeln zeigen, sonst ist der Glaube tot. Jakobus führt das Beispiel von Not leidenden Menschen an. Was würde es ihnen nützen, wenn Gläubige ihnen alles Gute wünschten, ihnen aber nicht das gäben, was sie zum Leben brauchen? Das lässt sich auch auf das Thema Nachhaltigkeit anwenden: Es wäre zynisch, Menschen in anderen Teilen der Welt und nachkommenden Generationen auskömmliche Lebensbedingungen auf unserem Planeten zu wünschen, aber gleichzeitig keinen Beitrag dazu zu leisten. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, die Welt zu retten. Das wäre reiner Hochmut und ist nicht die Aufgabe des Menschen. Aber „Nach uns die Sintflut“ taugt als Motto ebensowenig.
Bezeichnenderweise fühlen sich viele Christen gerade durch ihren Glauben dazu ermutigt, sich zu engagieren. Von religiösen Christen stimmen einer solchen Aussage in der Studie 46 Prozent vollständig zu, von den hochreligiösen 61 Prozent. Dass es nichts bringe, sich zu engagieren, weil man nichts bewirken könne, lehnten Christen in Deutschland häufiger ab als der gesellschaftliche Durchschnitt. Das Handeln von Christen ist sozusagen der sichtbare Teil des Glaubens – auch da, wo sich Christen für das Klima und die Umwelt einsetzen.
Wenn Jesus sich Menschen zuwandte, die am Rand der Gesellschaft standen, wenn er sie auf wundersame Weise heilte, dann nie allein um der Tat willen. Es ging ihm immer darum, dass Gott dadurch geehrt wird und Menschen ihre Beziehung zu ihm ins Reine bringen. Ein interessantes Beispiel ist der Fall eines Gelähmten (Markus 2). Seine Freunde seilen ihn auf einer Bahre durch das Dach eines Hauses direkt vor den Füßen Jesu ab. Sicher mit dem Wunsch, Jesus möge ihn gesund machen. Doch der sagt zuerst: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ Erst nach einer Diskussion mit den Pharisäern, wer die Vollmacht habe, so etwas zu sagen, heilt Jesus den Gelähmten auch körperlich.
Bei aller Diskussion um Worte und Taten, um Glaube, Klima und Nachhaltigkeit sollte der Kirche als Institution wie auch dem einzelnen Christen bewusst sein, was das Ziel von Kirche und Glaube ist. Jesus macht ganz klar: Menschen mit ihm bekannt machen, damit er ihre Sünden vergibt und sie Frieden mit Gott haben. Seelen retten hat oberste Priorität – dafür sollte Kirche stehen. Jesus ermahnt seine Freunde in Matthäus 16,26: Was nützt es einem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen, aber an seiner Seele Schaden zu nehmen? Wenn sich Christen über dieses Ziel einig sind, dann muss es sie gar nicht triggern und aufregen, wenn die einen sich verstärkt für die Bewahrung der Schöpfung und gegen Ungerechtigkeit einsetzen, während die anderen mit Predigten evangelisieren. Wenn das Ziel allerdings nicht klar ist, dann sollte genau das der Triggerpunkt sein.
Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 3/2024 von PRO – das christliche Medienmagazin. Sie können das Magazin hier kostenlos bestellen.