Seit Tagen macht ein Papier im Internet die Runde, das die ARD in keinem guten Licht dastehen lässt. Zu Recht: Was in dem internen Framing-Manual zu lesen ist, wirkt streckenweise wie aus einem Paralleluniversum. Die ARD hatte nach eigenen Angaben vor zwei Jahren die Beraterin Elisabeth Wehling vom „Berkeley International Framing Institute“ engagiert, um den Verantwortlichen Tipps zu geben, wie sie erfolgreicher über die ARD sprechen können.
Hinter dem Begriff „Framing“ steckt die Einsicht, dass Formulierungen bestimmte „Frames“, also „Deutungsrahmen“, im Hörer auslösen. Findige Kommunikatoren ringen darum, Formulierungen so zu wählen, dass die erzeugten Frames ihre Argumentation unterstützen.
„Ermöglichen“, nicht „bezahlen“
Die Autorin geht mit einigen bekannten Begriffen hart ins Gericht. Wenn die ARD von „Konsumenten“ und „Angebot“ spreche, führe dies in die Irre. Schließlich sei der öffentlich-rechtliche Rundfunk ja kein Marktanbieter, der um Kunden buhle. Auch die Wortneuschöpfung des „Beitragsservice“ erwecke den Eindruck, bei der ARD handle es sich um ein Serviceunternehmen: „Tatsächlich aber ist die ARD ein von Bürgern ermöglichtes Rundfunksystem.“
Das ist nicht ganz falsch, aber natürlich handelt es sich beim ARD-Programm um ein Angebot, das Zuschauer und Hörer konsumieren – oder eben auch nicht. Das Framing-Papier versucht, unliebsame Assoziationen, die das Finanzierungskonzept der Öffentlich-Rechtlichen auch nur ansatzweise in Frage stellen, sprachlich im Keim zu ersticken. Sobald eine Formulierung einen Frame auslöst, der der eigenen Erzählung widersprechen könnte, wird sie gestrichen. Selbst das unschuldige „bezahlen“ setzt das Papier auf die Liste unerwünschter Formulierungen. Wer etwas „bezahle“, habe auch das Recht auf eine Gegenleistung. Oder im Umkehrschluss: Wer nichts will, muss auch nichts bezahlen. Diese Option ist im gebührenfinanzierten Rundfunk natürlich nicht vorgesehen.
Stattdessen solle die ARD immer zuerst „moralisch“ sprechen und nicht allzu viele Fakten und Details nennen – natürlich nicht bei der Berichterstattung, sondern in der Unternehmenskommunikation.
„Der Grund ist einfach: Wenn Menschen sich für oder gegen eine Sache einsetzen, dann tun sie das nicht aufgrund von einzelnen Faktenargumenten und auch nicht aufgrund eines reinen Appellierens an ihren materiellen Eigennutz. Sondern, (sic!) sie tun es, wenn sie das Gefühl haben, dass es ums Prinzip geht.“
Aus dem Framing-Manual für die ARD
Heraus kommen dabei Formulierungen wie „Unser gemeinsamer freier Rundfunk ARD“ oder „Unser freier Rundfunk, der Öffentlichkeit herstellt“. Das ist natürlich alles andere als skandalös. Auch wenn man fragen kann, ob es wirklich so unangebracht ist, auf Basis von Fakten anstatt mit Emotionen für die Finanzierung und die Struktur des eigenen Unternehmens zu argumentieren.
Was das Papier aber über das attestierte Selbstverständnis der ARD offenbart, grenzt an religiöse Überhöhung. Nein, es ist nicht das erste Kapitel des Johannes-Evangeliums, wenn es in dem Papier heißt: „Die ARD ist von uns, mit uns und für uns geschaffen.“ Punkt für Punkt führt das Framing-Manual aus, warum die ARD die Vollendung des medialen demokratischen Gemeinsinns ist. Das Volk habe sich für den „gemeinsamen, freien Rundfunk“ entschieden, es beteilige sich an den Kosten und „ermögliche“ damit eine „demokratisch-mediale Infrastruktur“ – natürlich nicht mit „Geld“, denn das würde ja wieder falsche Ambitionen des um monatlich 17,50 Euro pro Wohnung erleichterten Bürgers wecken.
Stattdessen „verwaltet“ die ARD das „gemeinsame Rundfunkkapital“. Dem Papier ist es auch viel zu wenig, wenn die ARD bloß „für die Gesellschaft da ist“. Die Lobeshymne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gipfelt in der unbescheidenen Erkenntnis: „Sondern, (sic!) die ARD ist die Gesellschaft: Wir sind Ihr!“
Folglich werden alle, die das gebührenfinanzierte System in Frage stellen, zu „Gegnern“. Das Framing-Manual geht sogar noch weiter und bezeichnet Beitragsverweigerer als „illoyal“, als „Wortbrüchige“:
„Sie liegen nicht nur den anderen auf der Tasche, täuschen und betrügen und genießen weiterhin uneingeschränkten Zugang zur gemeinsamen medialen Infrastruktur ARD – sondern sie halten sich nicht an unsere demokratisch getroffenen und damit für alle verbindlichen Vereinbarungen und missachten den allgemeinen Willen des Volkes. Sie sind Beitragshinterzieher, sie begehen Wortbruch, machen sich des Loyalitätsbruchs schuldig.“
Aus dem Framing-Manual für die ARD
Stellt sich die Frage: Welches Wort brechen die Beitragsverweigerer eigentlich? Tatsächlich hat der Staat die meisten Bürger wohl nie danach gefragt, ob sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanzieren wollen. Jüngste Umfragen zeigen, dass auf den gebührenfinanzierten Rundfunk magere Jahre zukämen, sollte das doch geschehen.
42 Prozent der Deutschen würden am liebsten nichts bezahlen, 13,7 Prozent zwischen einem und fünf Euro, 19,4 Prozent zwischen sechs und zehn Euro, so eine Civey-Umfrage 2018. 9,3 Prozent wären für einen Betrag zwischen elf und 15 Euro bereit. Nur 13,2 Prozent würden 16 Euro oder mehr bezahlen, also in etwa den Betrag, mit dem die Bürger im Moment tatsächlich „unseren gemeinsamen freien Rundfunk“ „ermöglichen“, ob sie wollen und ihn nutzen oder nicht. Dennoch ist die Rundfunkabgabe rechtsstaatlich legitim, wie zahlreiche Urteile bestätigt haben. Dass man aber Beitragsverweigerer überzeugen will, indem man sie „Wortbrüchige“ nennt, zeugt eher von Realitätsferne als von geschickter Kommunikation.
Tatsächlich handelt es sich bei Beitragsverweigerern um Menschen, die sich rechtswidrig verhalten. Als letztes Mittel können diese „Wortbrüchigen“ in „Erzwingungshaft“ gesteckt werden – auch kein so schönes Wort, da es beim Hörer gleich die Frames „Zwang“ und „Druck“ sowie „Gefängnis“ und „Unfreiheit“ auslöst. Wollte der Gesetzgeber einmal an seiner Kommunikation feilen, gäbe es sicher frame-semantische Alternativen, die zwar nicht im Framing-Manual für die ARD stehen, aber sicher angenehmer klingen als „Erzwingungshaft“: Denkbar wären „Nachdenkhilfe“ oder „Überzeugungsurlaub“.
Vorsicht vor zu vielen Fakten
Geradezu absurd wird es, wenn das Papier den Umgang mit Menschen beschreibt, die zwar brav ihre Abgaben zahlen, aber dennoch Bedenken anmelden. Zum Beispiel, ob Bürger mit ihren Gebühren denn wirklich teure Sportlizenzen zahlen sollen, ob Vorabendsoaps, Dutzende Krimiserien und Kochshows wirklich sein müssen oder ob es vielleicht auch fünf statt der 5,6 Milliarden Euro an Gebühren für die ARD tun würden.
In diesem Fall empfiehlt das Framing-Manual: Zuerst ein moralisches Ziel nennen (zum Beispiel: Gleichwertigkeit), dann Fakten und Zahlen, schließlich das moralische Ziel wiederholen. Wer wenig Zeit habe, solle sich nicht „in der Eile“ dazu „hinreißen“ lassen, „in eine rein faktische Argumentation zurückzuverfallen“. Das postaufklärerische Ideal heißt also: Lieber auf Fakten verzichten als auf Emotionen. Als kurze Reaktion auf die Forderung nach Kostensenkung schlägt das Papier demnach folgerichtig vor:
„In unserem gemeinsamen Rundfunk sind alle Menschen gleich viel wert. Man darf keinem von ihnen den Zugang zu einer guten medialen Infrastruktur ARD entziehen – egal wo sie wohnen, wie alt sie sind, ob sie ein körperliches Handicap haben oder über welche Kanäle sie auf die gemeinsame Information, Unterhaltung, Bildung und Kultur zugreifen wollen. Wer Bürger ausschließen will, der bricht mit dem Gleichwertigkeitsprinzip.“
Aus dem Framing-Manual für die ARD
So wird nach nur drei geschickten Sätzen der sparfreudige Bürger zum Feind der Gleichwertigkeit. Sicher kann man manche Diskussion so für sich gewinnen. Doch ist das auch redlich? Für Stirnrunzeln sorgen auch die zahlreichen Passagen, in denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk als wahrer Garant der Demokratie gefeiert wird – und zwar in knallharter Abgrenzung zur „Profitzensur“ der Privatsender. Die ARD, die bekanntermaßen auch teilweise von Werbung lebt, strahlt im Framing-Manual hingegen als Trutzburg der Demokratie, „indem sie jenseits profitwirtschaftlicher oder demokratieferner für ein informierendes, bildendes und sinnstiftendes Programm sorgt“.
Verständlich, dass sich die ARD zu Reaktionen genötigt sieht, seit das vertrauliche Papier, etwa auf netzpolitik.org öffentlich geworden ist. Es sei nur eine interne Diskussionsgrundlage für Workshops, heißt es aus dem Generalsekretariat der ARD. 90.000 Euro haben die Erstellung des Framing-Manuals und begleitende Workshops gekostet, weitere 30.000 Euro die Folgeseminare. „Die Aufregung um dieses Papier funktioniert nur, wenn man diesen Kontext nicht kennt oder ignoriert“, sagte Generalsekretärin Susanne Pfab. Von Begriffen wie „medienkapitalistische Heuschrecke“, „Profitzensur“ oder „ungezügelter Rundfunkkapitalismus“ distanziere sie sich.
Dass das Papier mehr als eine Diskussionsgrundlage ist, zeigt die ARD-eigene Kommunikation. Am 11. Juni 2018 kündigte die ARD eine „Public Value-Aktion“ an. Der Claim „Wir sind deins“ aus dem Framing-Manual taucht dort ebenso auf wie eine zentrale Formulierung: Mit „Unser gemeinsamer freier Rundfunk“ beginnt das Statement von Karola Wille. Die MDR-Intendantin war Vorsitzende der ARD, als das Framing-Manual in Auftrag gegeben wurde. Aus der Pressestelle des Generalsekretariats heißt es, es habe keine „Ableitung aus dem Papier von Frau Dr. Wehling“ gegeben. „Bei der Public-Value-Aktion ‚Wir sind deins‘ haben wir uns u.a. an anderen Public-Service-Broadcastern in der EU orientiert“, so eine Sprecherin gegenüber pro. Dass die Parallele purer Zufall sein soll, ist freilich schwer zu glauben.
Unbekannt ist, wie kontrovers das Framing-Manual in den Workshops diskutiert worden ist. ARD-Chefredakteur Rainald Becker sagte immerhin, es sei gut, über Framing zu sprechen: „Ich persönlich hätte dieses Papier aber nicht gebraucht.“ Angesichts vieler fragwürdiger Passagen wäre es richtig gewesen, wenn sich die Verantwortlichen in weiten Teilen davon distanziert hätten.