Künftig werden nicht nur ein Mann und eine Frau, sondern auch homosexuelle Paare offiziell in den Bund der Ehe eintreten können. Mitten im Wahlkampf hat die mitregierende SPD im Bundestag gemeinsam mit den oppositionellen Fraktionen von Linken und Grünen kurzen Prozess gemacht. Gegen den Willen der Unionsspitze. Am Ende haben allerdings erwartungsgemäß auch fast ein Drittel der christdemokratischen Abgeordneten dieser historischen Neuregelung zugestimmt.
Die zum jetzigen Zeitpunkt unerwartete Kehrtwende hatte Angela Merkel persönlich eingeleitet. Am vorigen Montag war die Kanzlerin auf einem Medienforum überraschend von der bisherigen Unionslinie abgewichen: Auf Nachfrage aus dem Publikum sagte Merkel, sie wünsche sich zu diesem Thema eine Diskussion, die „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht“. Jahrelang hatten Grüne, Linke und der Koalitionspartner SPD Druck gemacht. Und jetzt war klar: Die Kanzlerin würde es respektieren, wenn auch christdemokratische Abgeordnete die traditionelle Parteilinie verlassen, wonach die Ehe ausschließlich ein Lebensbund von Mann und Frau ist.
Viele Deutsche, unter ihnen zahlreiche Christen, empfinden diese politische Weichenstellung als einen „Dammbruch“. Die jüdisch-christliche Bibel liefert keine juristischen Ehe-Paragraphen für das Bürgerliche Gesetzbuch. Aber die Heilige Schrift, wie gläubige Christen sie verstehen, macht bereits auf ihrer ersten Seite in einfachen Worten Gottes Plan mit dem Menschen klar: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch.“ Jeder Mensch hat demnach also eine geradezu göttliche Menschenwürde – egal welches Geschlecht, welche ethnische Herkunft, welchen Glauben oder sexuelle Orientierung er besitzt. Und zugleich segnet Gott den Menschen als Mann und Frau – im Neuen Testament bekräftigt Jesus die besondere Bedeutung der zweigeschlechtlichen Lebensverbindung zweier Ehepartner (Matthäus 19).
Drei von vier Deutschen für „Ehe für alle“
Über viele Jahrzehnte galt diese Grundauffassung, wenn auch nicht immer religiös begründet, als mehrheitlicher Konsens in unserer Gesellschaft. Doch müssen Christdemokraten oder andere Parteien des Bundestages dieser Linie für alle Zeiten folgen? Nein, das müssen sie nicht. Denn unsere plurale Gesellschaft unterliegt einem vielfältigen, teilweise herausfordernden Wertewandel. Und der säkulare demokratische Staat kann gar nicht anders, als einen mehrheitlichen Bewusstseins- und Überzeugungswandel mit Verzögerung auch in Gesetzesnormen wiederzugeben. Das ist in Wahrheit seine Aufgabe. Konservative mögen dies zuweilen beklagen, aber so funktioniert die repräsentative Demokratie. Natürlich ist es richtig, wenn gerade auch kirchliche Vertreter öffentlich für ethische Werte werben, die aus Sicht der Bibel erhaltenswert sind und dem Menschen nützen und ihn schützen. Und es ist legitim, wenn Christen für deren Erhalt kämpfen – und nicht aufhören, alte Wahrheiten immer wieder in moderne Sprache zu übersetzen. Aber sie müssen auch respektieren, dass sich gesellschaftliche und politische Mehrheiten ändern.
Im Fall der „Ehe für alle“ ist die Lage eindeutig: Eine aktuelle repräsentative Meinungsumfrage des Insa-Instituts für die Bild-Zeitung ergab, dass 75 Prozent der Deutschen die Öffnung der Ehe befürworten, lediglich 20 Prozent sind dagegen. Bei diesem Wertewandel ist Deutschland keineswegs Vorreiter: In den oft so prüden USA und in 14 europäischen Ländern gibt es die „Ehe für alle“ teilweise seit Jahren – darunter in den sehr katholisch geprägten Ländern Irland und Spanien.
Landeskirchen seit Jahren auf dem Weg
Menschlich verständlich ist es natürlich trotzdem, wenn manche Christen von CDU-Chefin Merkel und ihrer Partei enttäuscht sind. Aber gerade die Christdemokraten sind als große Volkspartei seit jeher immer ein Spiegelbild mehrerer gesellschaftlicher Strömungen gewesen. Und so ist es kein Wunder, dass in dieser Partei inzwischen viele, etliche von ihnen sind Christen, die Ehe allgemein als Verantwortungsgemeinschaft zweier Menschen ansehen. Insbesondere protestantische Christen, die kein Verständnis für solche Christdemokraten haben, müssten eigentlich ein viel größeres Problem mit ihren eigenen Kirchen haben: Denn die meisten evangelischen Landeskirchen in Deutschland sind hinsichtlich der ehelichen Gleichstellung dem Staat teilweise um Jahre voraus, wie der Berliner Bischof Markus Dröge betont. Auch mehrere Freikirchen haben sich schrittweise geöffnet.
Auch wenn sich im Bundestag einzelne Redner sehr emotional oder anklagend äußerten und bei den Grünen viel Pathos im Spiel war, war die Debatte des Hohen Hauses überwiegend von wechselseitigem Respekt geprägt. Dennoch hat FDP-Chef Christian Lindner, dessen Partei nicht dem Bundestag angehört, nicht unrecht, wenn er Kritik übt. Der eilig anberaumten Debatte sei schon im Vorfeld „ein stückweit die Würde“ genommen worden, sagt er: „Eine so große gesellschaftliche Entscheidung sollte nicht durch Verfahrenstricks zustande kommen.“
Aber es gibt auch noch einen echten gesetzgeberischen Schönheitsfehler. Denn der Bundestag hat die „Ehe für alle“ lediglich durch eine kleine Klarstellung im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB von 1896 auf den Weg gebracht. Da heißt es im Paragraf 1353 zur Ehelichen Gemeinschaft künftig: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Die Rechte von Kirchen und Religionsgemeinschaften blieben davon unberührt, heißt es weiter. Der ursprüngliche Gesetzestext kommt ohne jeglichen Hinweis auf das Geschlecht aus. Dasselbe gilt für den noch viel wichtigeren Grundrechtsartikel 6 im Grundgesetz. Dort heißt es seit 1949 kurz und bündig: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Mag sein, dass heute die Mehrheit unserer Gesellschaft unter Ehe und Familie nicht mehr ausschließlich die klassische Mutter-Vater-Kind-Familie versteht. Das Bundesverfassungsgericht und die einschlägigen Verfassungskommentare sehen die Ehe jedoch bislang noch immer an zwei Bedingungen geknüpft: Sie sehen die Ehe als dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft. Und zugleich sei sie darauf ausgerichtet, Kinder hervorzubringen – als natürliche Keimzelle der Gesellschaft. Und das geht nur mit Mann und Frau. Wenn unsere Gesellschaft und Politik hierüber heute mehrheitlich anders denken, dann sollten wir in einer so wichtigen Frage nicht nur einen kleinen Paragraphen ändern. Sondern das Grundgesetz. Es wäre die ehrlichere, die angemessenere Form der Gleichstellung. (pro)
Von: iri