Hans-Hermann Tiedje wirft öffentlich-rechtlichen Redakteuren „Haltungsjournalismus” vor. In einem Interview des Branchendienstes Meedia machte er dies an der Berichterstattung zur Präsidentenwahl in den USA fest. Die Fernsehjournalisten von ARD und ZDF hätten die Zuschauer eher „mit Emotionen belästigt”, anstatt sie zu informieren. Besonders harsch kritisiert der ehemalige Bild-Chefredakteur dabei die ZDF-Moderatoren Claus Kleber und Dunja Hayali.
Sie würden das Medium Fernsehen missbrauchen, um einer wachsenden Fassungslosigkeit Ausdruck zu geben, anstatt ihrer Rolle zu genügen, nämlich zu informieren, zu kommentieren und zu moderieren: „Kleber ist ein Bündel penetrant-leiser Eitelkeiten“, sagte Tiedje. Auch Klebers Kollegin Dunja Hayali wirft er „Haltungsjournalismus” vor. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an das Schlagwort, wonach sich Journalisten noch nicht einmal mit einer guten Sache gemein machen dürften. Dieses Prinzip vermisse er bei öffentlich-rechtlichen wie privaten Sendern.
„Miserabler Journalismus“
Eigene Meinungen der Reporter müssten deutlich als solche gekennzeichnet werden. Bereits in der US-Wahlnacht seien die amerikanischen Meinungsforscher als angeblich Schuldige benannt worden. Dabei hätten etliche auch einen möglichen Sieg Trumps prophezeit: „Das wurde hierzulande völlig ausgeblendet, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte: Das nenne ich miserablen Journalismus.“
Trump als Politiker darzustellen, der nur von ewig gestrigen, weißen Männern gewählt werden könnte, während die Eliten vollständig hinter Hillary Clinton stünden, sei unmöglich gewesen. „Persönliche Haltungen haben das Meinungsbild im deutschen Fernsehen bestimmt, der wertfreie Journalismus kam unter die Räder.“ Dies habe sich auch nach seiner Wahl nicht verändert.
Menschen suchen sich Informationen auf neuen Wegen
Generell müssten Medien sich fragen, warum Konsumenten immer mehr dem Internet zuneigten. Radio- oder Fernsehjournalisten könnten durchaus auf die Idee kommen oder darüber nachdenken, dass die Menschen den „Quatsch der Fernsehmenschen“ nicht mehr hören wollten. Trump-Wähler seien eben nicht dumme, weiße, ältere Männer: „Die nächste Stufe der Realitätsverweigerung besteht darin, Trump nur noch als Clown wahrzunehmen.“
Gästeauswahl bei Talkshows: „Selektiv und eigenartig”
Moderatoren müssten emotional Kontroverses und die Konflikte auch zulassen und steuern. Es verwundere ihn nicht, wenn sich viele Zuschauer und Wähler nicht mehr ernstgenommen fühlten.
Tiedje hält Trump für einen erfolgreichen, belastbaren, aber auch egoistischen Politiker, der sich gerne inszeniere. Ihm fehle Ehrlichkeit, aber für wirklich gefährlich hält er ihn auch nicht. Für Menschen, die ihn kennen, sei er berechenbar: „Er wird die Welt verändern, weil er Politik völlig anders sieht.“ Zugleich schränkt Tiedje ein, dass Trump viele Versprechen seines Wahlkampfes nicht halten wird.
Viele Journalisten hätten einen Komplex oder eine Hybris bei allen Namen, die in Trumps Umfeld auftauchten. Plötzlich würden diese alle als erzkonservativ, fortschrittsfeindlich, rechtsaußen oder ultrakonservativ bezeichnet. Tiedje mahnt zur Besonnenheit und möchte Trump Zeit gewähren. Beweisen müssten sich Trump und seine Leute in der praktischen Politik.
Die Gästeliste in deutschen Fernsehsendungen hält Tiedje für selektiv und eigenartig. „Unterstellt, dass die Umfragen stimmen und zwei Drittel der Deutschen die uneingeschränkte Willkommenskultur Schutzsuchenden oder Migranten oder Wirtschaftsflüchtlingen gegenüber nicht mehr gutheißen, spiegelt sich das in der Gästeauswahl dieser Sendungen nie”, lautet sein Vorwurf. „Da ist dann meist einer der Alibi-Gast, damit im Rundfunkrat keiner behaupten kann, die Mehrheitsmeinung käme nicht zu Wort.”
Hans-Hermann Tiedje gehört zu den profiliertesten Journalisten Deutschlands. Der heute 67-Jährige war Chefredakteur der Bild-Zeitung und der Illustrierten Bunte. Zudem war er Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl und hatte eine eigene Talk-Show bei N24. Er hat mit Trump schon einmal kurz im Aufsichtsrat einer Firma gesessen, ohne ihn persönlich getroffen zu haben. (pro)
Von: jw