Schäuble wirbt für eine Kultur des Zuhörens

Kommunikationswissenschaftlerin Lena Frischlich (Universität Münster) hat beim Symposium „(Des-)Information: Medien und soziale Netzwerke im Superwahljahr“ dazu aufgerufen, Einfallstore für Desinformation zu schließen. Aus Sicht von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) bräuchten Politik und Medien eine zivilisierte Streitkultur.
Von Johannes Blöcher-Weil
Constantin Schreiber beim DLM-Symposium

Im September wählen die Deutschen ihr Parlament. Beim Symposium „(Des-)Information: Medien und soziale Netzwerke im Superwahljahr“ der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) ging es darum, welche Rolle dabei Medien und soziale Netzwerke spielen. Die Kommunikationswissenschaftlerin Lena Frischlich von der Universität Münster beobachtete, dass im Vorfeld oft die Sicherheit der Wahl als demokratischer Prozess angezweifelt werde.

„Einfallstore für Desinformation gibt es da, wo kein gutes Community-Management stattfindet.“ Desinformationen bräuchten immer einen fruchtbaren Boden, auf den sie fielen. Nutzer neigten dazu, Nachrichten zu glauben, die ihren eigenen Erwartungen entsprächen: „Sie ändern selten fundamentale Einstellungen durch einen einzigen Artikel.“ Mediennutzer hätten eine große Verantwortung und müssten sich fragen, welche Informationen sie wirklich weiterverbreiten möchten. Auch Journalisten sollten genau prüfen und kritisch bleiben, wo vielleicht durch Desinformation von den wichtigen Fragen der Zukunft abgelenkt werde.

Mehr Teilhabe bedeutet nicht automatisch mehr Partizipation

Der Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Schäuble, hatte die Veranstaltung mit einem Impulsreferat eröffnet. Darin betonte er, dass Internet und soziale Medien schon lange mehr als ein Kommunikationskanal seien und in atemberaubendem Tempo die Medienlandschaft verändert hätten. Die Massenmedien seien nur noch ein Akteur unter vielen.

Der CDU-Politiker bemängelte, dass viel zu häufig übereinander statt miteinander kommuniziert werde. Das Internet mache zwar vieles transparenter und sorge für neue Teilhabe-Formen: „Mehr Teilhabe bedeutet aber nicht automatisch mehr Partizipation.“ Das Internet fördere sehr häufig die Struktur von ‚Wir‘ gegen ‚Die‘! In der Pandemie sei es häufig darum gegangen, schrill die eigene Meinung zu äußern, statt Argumente auszutauschen.

Eine repräsentative Demokratie müsse Debatten zulassen: „Jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten.“ Politische Kampagnen zur Desinformation seien nichts Neues, heute aber einfacher und effizienter möglich. Schäuble plädierte dafür, die digitale Transformation verantwortlich zu gestalten: „Die Medien müssen Stärken pflegen und die journalistische Sorgfalt wahren.“ Politik und Medien empfahl er eine Kultur des Zuhörens.

„Algorithmen bevorzugen immer Hass und Emotionen“

Nina Morschhäuser, Head of Public Policy, Government and Philanthropy von Twitter Deutschland, warb darum, konstruktive Debatten zu fördern. Ihr Unternehmen habe in Regulierungsintrumente investiert und Regeln verschärft: „Wir arbeiten mit Behörden und der Zivilgesellschaft zusammen, um Meinungsfreiheit und die Nutzer zu schützen.“ Dabei gehe es um die Transparenz und darum, dass Nutzer ihre Algorithmen für das Netzwerk auswählen dürften.

Anders sah dies Markus Beckedahl, Gründer und Chefredakteur von netzpolitik.org. Das Mitglied im Medienrat der Medienanstalt Berlin-Brandenburg kritisierte, dass sich finanzkräftige Plattformen im Zweifel eher für das eigene Geschäftsmodell entscheiden würden als für das Wohl der Gesellschaft: „Algorithmen bevorzugen immer Hass und Emotionen.“

Marie-Teresa Weber, Public Policy Manager bei Facebook, widersprach den Vorwürfen. Es gebe ein großes Team, das die Bundestagswahl journalistisch vorbereite und begleite. Facebook bringe ein Warn-Label an, wenn irgendwo falsch informiert werde. Bei gezielter Desinformation setze der Konzern größere Hebel an, weil diese Akteure oft über mehrere Plattformen hinweg agierten.

Was die Medienanstalten gegen Desinformation unternehmen, erläuterte Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen. In der Praxis gelte die Devise „Im Zweifel immer für die Meinungsfreiheit.“ Regulierung dürfe immer erst dann greifen, wenn dies der Meinungsbildungsprozess selbst nicht mehr schaffe. Diese Regeln müssten legitimierte Organe und keine Firmen treffen.

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Eine Antwort

  1. „Jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten.“

    Wer entscheidet dann über die Fakten? Ist diese Instanz unfehlbar? Was passiert, wenn diese Instanz doch falsche Fakten verbreitet und es kein Korrektiv mehr gibt, weil alle anderen Stimmen zensiert wurden?

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