Die heute 85-jährige Ordensschwester und Lepraärztin kam während ihres Medizinstudiums zum Glauben. Sie konvertierte zum Katholizismus und trat kurze Zeit später in einen Orden ein, für den sie eigentlich in Indien wirken sollte. Weil es Probleme mit dem Visum gab, wurde daraus die pakistanische Stadt Karachi. Was sie dort erlebte, prägte ihr Leben. Sie blieb und baute ein Krankenhaus auf, das bis heute zu einer Institution des Landes wurde.
Das Kreuz ist nicht normal
Pfau opferte sich für ihre Arbeit auf. In ihrem Buch gewährt sie einen Einblick in ihre drängendsten Zweifel und Fragen, etwa ob sich der Einsatz gelohnt hat. Die Zeit in Pakistan habe auch ihr Christsein verändert und sei nicht mehr die „fühlbare Liebesgeschichte“. „Von Gott zu reden ist kein Kinderspiel“, bekennt Pfau. Gerade leidende Menschen hätten mit vielen Bibelstellen Probleme.
Sie erzählt eindrückliche Geschichten aus einem Land, das von Hass geprägt ist. Die Familienclans regieren, Korruption, Bandenkriege und fehlende Rechtssicherheit sind an der Tagesordnung. Hinzu kommen ethnische und religiöse Spannungen sowie Naturkatastrophen, die das Land heimsuchen. Pfau stellt sich die Frage, warum Gottes Geschöpfe anderen Menschen schaden. Auch die Frage nach Leid und Bösem möchte sie ihrem Schöpfer stellen, wenn sie nach ihrem Tod bei ihm ist, schreibt sie.
Jesus als Vorbild
Mit Jesus als Vorbild wolle sie Menschen an die Hand nehmen und ihnen einen Sinn ihres Tuns vermitteln. „Menschen führen heißt, Leben in ihnen wecken.“ Sie kämpfe gegen das Vorurteil, dass Behinderungen ein Fluch, die Folge von Sünden oder das Werk eines bösen Geistes sind. Die Menschen verdienten Respekt und seien von Gott gewollte Geschöpfe.
Kritik übt Pfau an den Reichen dieser Welt: „Ihre Welt ist nicht meine Welt. Wir müssen sie davon überzeugen, dass es auch ihnen nützt, wenn es in diesem Land auch auf dem Gebiet der Gesundheit aufwärts geht und wenn sie ihr eigenes Image durch die Unterstützung unserer Arbeit damit verbinden können.“ Menschen hätten die Pflicht, den Kreislauf der Gewalt unterbrechen und sich einzumischen, wenn das Leben anderer Menschen gefährdet ist. In Pakistan müsse man auch Vorurteile zwischen den religiösen Gruppierungen abbauen. Viele würde den Kern der Konflikte gar nicht mehr kennen, trotzdem käme es wiederholt zu Angriffen auf christliche Minderheiten. Als Skandal bezeichnet Pfau das Blasphemiegesetz, das eine Verunglimpfung heiliger Stätten, Schriften und des Ansehens aller Propheten verbietet. Vereinzelt gebe es zwar Widerstand gegen das Gesetz, aber die Minderheiten würden nach wie vor als Bürger zweiter Klasse behandelt.
Kleine Gesten deeskalieren
Pfau wünscht sich, dass Religionen der Menschlichkeit dienen. Eine Brutstätte der Gewalt sei die Armut, die Neid und Aggression erzeuge. Oft würden kleine Dinge und Gesten helfen, um die Lage zu entschärfen. Für die Arbeit brauche es einen langen Atem und den Mut, sich gegen Unrecht zu wehren. „Wer den anderen vernichten will, hat Angst. Im Frieden ist keine Angst. Frieden will Lebendigkeit.“ Man müsse die Menschen zusammenbringen und gemeinsam etwas Sinnvolles tun. Dann könne Frieden entstehen. Für Pfau gehören Gebet und praktisches Handeln unbedingt zusammen. Es gehe darum, die Menschen nach ihren Bedürfnissen zu fragen, ohne zu missionieren. Im Glaubensleben habe sie am meisten von den biblischen Geschichten profitiert und weniger von „moralische Anweisungen und theologischen oder spirituellen Traktaten“.
Sie agiert in dem Bewusstsein, dass ihre körperlichen Fähigkeiten begrenzt sind. „Ich muss nicht die Welt retten, aber ich brauche auch kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich nur bei einer einzigen Frau am Bett sitze oder wenn ich gerade nur einen Patienten behandle.“ Im Rückblick sei sei froh darüber, was sie alles habe bewegen können. Im Blick auf ihre Tod schreibt sie: „Ich habe eine Hoffnung, eine Erwartung. Ich erwarte die Begegnung, die mir Klarheit darüber geben wird, was das Leben überhaupt wirklich ist.“
Ein außergewöhnliches Team geformt
In der Rückschau auf ihre – nicht immer ganz konfliktfreie – Zeit als Nonne schreibt sie: „Mein Glaube, meine Hoffnung, meine Entscheidung, sie sind trotzig. Ich halte sie fest, obwohl so viel dagegen spricht. Mein Glaube an den Sinn ist ein Glaube ‚trotz allem‘.“ Mit Mervyn Lobo habe sie einen würdigen Nachfolger, der das richtige Wertgerüst und Urteilsvermögen besitze. Er findet eindeutige Worte zum – nicht immer ganz einfachen – Arbeiten mit Ruth Pfau: „Dr. Pfau gibt alles und verlangt auch viel. Die meisten unserer Mitarbeiter sind ganz einfache Leute, aber sie hat etwas Außergewöhnliches aus diesem Team geformt. Die Art, in der Ruth Pfau mit Menschen umgeht, kann man als Intelligenz des Herzens bezeichnen.“
Mit ihrem Buch gewährt Ruth Pfau einen guten Einblick in die vielschichtigen Probleme eines Landes, das selten im Fokus der Weltöffentlichkeit steht. Auch wenn es nicht immer spannend geschrieben ist, bleibt nach dem Lesen des Buches das Bild einer authentischen Christin haften, die – vielleicht gerade wegen ihrer Erfahrungen – Zweifel und Fragen hat, die sie auch zum Teil unbeantwortet lässt. (pro)
Ruth Pfau, Leben ist anders Lohnt es sich? Und wofür? Bilanz eines abenteuerlichen Lebens, Herder, Freiburg im Breisgau 2014, ISBN: 9783451332890