Genau ein Talk auf der diesjährigen Republica drehte sich um den christlichen Glauben – und nicht ganz überraschend fand er auf der wohl kleinsten Bühne und weit abgeschieden im Park neben dem Veranstaltungsgelände statt. Voll wurde es trotzdem und das lag an einem ausgewiesenen Kirchenexperten: Religionssoziologe Detlef Pollack klärte über den Mitgliederschwund der christlichen Kirchen auf.
„Kirchen haben Vertrauen verspielt“
Die Zahlen selbst sind nicht neu: 43 Prozent der Deutschen sind konfessionslos, die Kirchen haben unter 50 Prozent der Bevölkerung als Mitglieder. Andere Religionen gleichen den Schwund der Christen nicht aus: Nur etwa fünf Prozent sind beispielsweise Muslime.
„Die Kirchen haben das Vertrauen der Menschen weitgehend verspielt“, sagte Pollack mit Blick auf die Missbrauchsfälle und die Versuche der Aufarbeitung. Heute fühle sich etwa ein Drittel der verbliebenen Kirchenmitglieder, egal ob katholisch oder evangelisch, mit der Kirche verbunden. Pollack nennt das einen „dramatischen Rückgang“, insbesondere bei den Katholiken. „Sie sind enttäuscht von ihrer Kirche“, so Pollack. Er rechne nicht damit, dass die Kirchen in den nächsten Jahren etwas tun können, um diesem Verdruss entgegenzuwirken. Dennoch spüre er „eine ehrliche Betroffenheit“ bei deren Funktionären über den Verlust.
Stärke: Jugendarbeit und Gemeinschaft
Wohin gehe es also mit der Kirche? Überall in Europa schwänden die Kirchenmitglieder, aber nicht – so wie hierzulande – das Vertrauen in die Kirche. Pollack erklärte das mit dem vielfältigen diakonischen Engagement der Kirchen. „Man schätzt die Arbeit der Kirchen“, nicht unbedingt aber das geistliche Engagement.
Ehrenamt und kirchliche Jugendarbeit seien Aspekte des kirchlichen Lebens, die laut Umfragen besonders hoch im Kurs stünden. Gemeinschaft sei relevant für die Menschen. „Die kommunikative Kompetenz in den Kirchen ist hoch“, so Pollack. Doch es bleibe dabei, dass das geistliche Leben das Alleinstellungsmerkmal und unverzichtbar für die Kirche sei: „Wenn sie das abschaffen, dann brauchen sie gar keine Kirche mehr.“
Andrang gab es im Anschluss ausgerechnet beim Auftritt eines ehemaligen Pastors und Bundespräsidenten auf der Digitalkonferenz: Joachim Gauck übte Kritik an den etablierten Parteien. In den vergangenen zehn Jahren hätte die politische Mitte sich zu sehr darauf konzentriert, Vielfalt zu loben. Dem politischen Rand habe sie es überlassen, Probleme anzusprechen. Das Ergebnis zeige sich jetzt im Erstarken rechter Parteien. Auch die Mitte müsse lernen, die Probleme zu benennen. Und gleichzeitig erklären, warum Deutschland Zuwanderung brauche.
„Konservative Werte ansprechend formulieren“
Eine konservative Partei brauche einen Chef, der in der Lage sei, konservative Werte ansprechend zu formulieren und sich gegen Demokratiefeinde abzugrenzen. Es gebe einen beträchtlichen Teil strukturkonservativer Menschen im Land, die Angst vor dem Wandel hätten. „Die konservativen Parteien haben den Auftrag, diesen Personenkreis zu binden“, sagte Gauck.
Ein schneller Abbau einer derzeit um sich greifenden „Sehnsucht nach autoritärerer Politik“ sehe er nicht: Wer Angst habe, vor Zuwanderung oder Islamisierung etwa, dessen Herz müsse erreicht werden. „Deshalb brauchen wir Zeit“, sagte Gauck.