Viele Pädagogen möchten den Religionsunterricht verbessern, indem sie den inhaltlichen Schwerpunkt auf ethische Fragen oder die Kulturgeschichte von Religionen legen. Jürgen Kaube, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen, bezeichnet diesen Schritt in einem dort erschienenen Essay als falsch. Statt einer neuen Gewichtung sei vielmehr eine neue Fragestellung nach den Problemen der Religionen notwendig. Diese Frage beinhalte weiterhin eine „intellektuelle und philosophische Teilmenge“, gehe aber noch einen Schritt weiter.
Zu diesem Problembestand der Religionen zählt Kaube beispielsweise Fragen nach dem Grund des Schabbats, Speisegesetze oder seit wann Christen eigentlich Weihnachten feiern. Diese müssten im Unterricht gestellt und besprochen werden. Mit einer solchen Herangehensweise, die sich Praktiken und Dogmen genauer anschaut, könne man die „Verbohrtheit“ im Bezug auf Religionen überwinden. Wer gut informiert sei, könne sich auch eine eigene Meinung bilden.
„Der jetzige Religionsunterricht steht irgendwo zwischen Grundgesetz, Biographiebegleitung und Glückskekseweisheiten“, meint Kaube. Es sei kein Wunder, dass „in Wertefragen der spezifische Gehalt der Konfessionen untergeht“. Das könnte man als kircheninternes Problem behandeln, es helfe aber keinem. Dass der Religionsunterricht so unterhalb seiner Möglichkeiten bleibe, gehe vielmehr jeden etwas an.
Religiöse Denkweisen verstehen
Religionsunterricht in seiner jetzigen Form versuche, den Schülern als Lebenshilfe zu dienen und instrumentalisiere dazu verschiedene Motive aus religiösen Texten. Ziel sei es, sich selbst kennenzulernen, nicht die Religion. Mit Religion habe das aber wenig zu tun, meint Kaube. Anstatt sich kreativ zu betätigen, Collagen zu basteln oder Rollenspiele zu spielen, die sich um Selbstfindung drehen, plädiert Kaube für eine „unkreative, sinnerfassende Lektüre“. Religionsunterricht solle lehren, religiöse Denkweisen und Motive zu verstehen. Der positive Nebeneffekt eines solchen Unterrichtes sei, dass ein Interesse an Sinn und Ernsthaftigkeit von Religionen geschaffen werde.
Obwohl Religion etwas Altes sei, beschäftige sie uns auch heute noch in hohem Maße. Menschen könnten moderne Gesellschaften ohne Religion und ihren Mythen, Traditionen und Erzählungen nicht verstehen. Es spreche also nichts dagegen, Schüler darüber aufzuklären. Ein Problem bei der Umsetzung sei, dass die Kirchen diese Fragen als zu distanziert betrachten und mehr Erfahrungsspielraum für die jungen Menschen fordern. Eine Änderung der jetzigen Praxis sei also nötig. Die von Gegnern des Religionsunterrichtes geforderten Ethikstunden reichten nicht aus. Ethik, aber auch Philosophie, könne den Gehalt von Religion nicht im Ansatz erschöpfen. Die Folge wäre eine „Verarmung“ des Unterrichtes, denn Religion sei viel mehr als nur eine Sammlung von Texten oder der Lehre vom guten Handeln.
Von: Martin Schlorke