Es war noch vor dem 11. September 2001, dem für das Verhältnis zwischen westlicher Welt und Islam wohl schicksalhaftesten Datum der neueren Geschichte, als Pakistan als Mitglied der Organisation islamischer Länder (OIC) zum ersten Mal eine Resolution in die UN einbrachte, die der "Diffamierung von Religionen" vorbeugen sollte. Bis heute hat sich der Wortlaut dieses Schreibens kaum verändert. Und bis heute besitzt es Gültigkeit. Weder die Mitglieder des Menschenrechtsrats der UN, noch die der Generalversammlung, haben sich je gegen die Resolution ausgesprochen. "Die Generalversammlung hebt hervor, dass die Diffamierung von Religionen, insbesondere des Islam und der Muslime, vor allem in den Menschenrechtsforen wirksam bekämpft werden muss", heißt es da, oder: "Die Generalversammlung missbilligt die Verwendung der Print-, audiovisuellen und elektronischen Medien, einschließlich des Internets, und aller anderen Mittel zu dem Zweck, zu Gewaltanwendungen, Fremdenfeindlichkeit oder damit zusammenhängender Intoleranz und Diskriminierung gegen den Islam oder irgendeine andere Religion anzustiften."
Meinungsfreiheit oder Antiblasphemiegesetze?
Eine gute Sache, mag der freiheitlich-demokratisch geprägte deutsche Staatsbürger sagen, nachdem er das Papier aufmerksam studiert hat. Dennoch gibt es zahlreiche Kritiker der Resolution. Der Grund: Viele befürchten, der Schutz der Religion könne auf Kosten der Pressefreiheit gehen. Traditionell stimmen die westlichen Staaten der UN gegen die Antidiffamierungsweisung, islamische Staaten und solche, die dem Westen kritisch gegenüber stehen, stimmen hingegen dafür. Heiner Bielefeldt, UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfragen, erklärte jüngst: "Da Meinungs- und Religionsfreiheit eng zusammengehören, würde eine Beschränkung der Meinungsfreiheit zum Thema Religion auch die Religionsfreiheit zerstören." Wie hätten etwa Mohammed-Karikaturen gedruckt werden dürfen, wenn die Diffamierung von Religionen faktisch verboten ist? Wie hätte die Berliner "Tageszeitung" (taz) in ihrer Osterausgabe Jürgen Klinsmann am Kreuz zeigen dürfen? Die Evangelische Allianz ruft gemeinsam mit dem Hilfswerk für verfolgte Christen, "Open Doors", dazu auf, die "Religionsfreiheit zu schützen" und sich deshalb an einer Unterschriftensammlung gegen die Resolution zu beteiligen.
Zwar verpflichten die Staaten sich, die Resolutionen zu befolgen, rechtlich verbindlich ist die Verlautbarungen aber nicht. Zumindest noch nicht, erklärt der Experte für Menschenrechte beim Hilfswerk "Open Doors", Daniel Ottenberg. Zum einen gebe es Staaten in den UN, die einen verbindlichen völkerrechtlichen Vertrag gegen die "Diffamierung von Religionen" in den UN anstrebten. Zum anderen könnten Resolutionen zu einer Art Gewohnheitsrecht werden, sollten sie oft genug von den UN befürwortet werden, so geschehen etwa bei dem "Recht auf Wasser". Mitte dieses Jahres hatten die Vereinten Nationen eine solche Resolution in den Menschenrechtskatalog aufgenommen. So könnte es auch mit der Entscheidung gegen die "Diffamierung von Religionen" sein, fürchtet Ottenberg.
Resolution macht Verfolgung christlicher Minderheiten legal
Dabei ist die mit der Resolution einhergehende Einschränkung der Pressefreiheit vielleicht noch das kleinere Übel. Die Anti-Diffamierungsweisung kann die Rechtfertigung zur Gefährdung von Leib und Leben der Anhänger religiöser Minderheiten liefern. Das zeigt etwa das Beispiel Aasia Bibi. Die 38-jährige Christin ist in ihrem Heimatland Pakistan entsprechend dem dort gültigen Blasphemiegesetz zum Tode verurteilt worden. Sie soll "Spiegel"-Informationen zufolge vor einer Menschenmenge bekannt haben: "Unser Christus ist der wahre Prophet Gottes, nicht euer Mohammed." Damit hat sie laut pakistanischem Gesetz die Staatsreligion beleidigt – die Antidiffamierungsresolution der UN stößt in dieselbe Richtung. Demnach hat jeder Staat die Pflicht, Religionen zu schützen. In Pakistan ist der Islam Staatsreligion. Religiöse Minderheiten, die laut UN auch schützenswert wären, haben dort jedoch weder Stimme noch Forum, also auch keine Möglichkeiten, wiederum ihre Rechte durchzusetzen.
Aasia Bibi ist bisher laut unbestätigten Presseberichten auf internationalen Druck hin begnadigt worden. Dennoch: "Wenn die Resolution erneut bei den Vereinten Nationen verabschiedet wird, würde das beispielsweise den pakistanischen Blasphemiegesetzen internationale Legitimität verleihen, aber auch zahllosen restriktiven Gesetzen in anderen Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung", teilt Markus Rode, Leiter des deutschen Zweiges von "Open Doors", mit. Ottenberg fordert: Statt ganze Religionsgemeinschaften kategorisch zu schützen, sollten die UN ihr Augenmerk verstärkt auf religiöse Minderheiten richten. Damit wäre sowohl Muslimen in der EU oder den USA, als auch Christen in der arabisch-muslimischen Welt gedient.
Dafür ist Pakistan nur eines von vielen Beispielen. Antikonversionsgesetze gibt es auch im hinduistisch geprägten Indien oder dem buddhistischen Sri Lanka. Das Wissen um diese Schwächen der Resolution gegen die "Diffamierung von Religionen" scheint sich nach und nach auch in den UN durchzusetzen. Die Unterstützer des ursprünglich islamischen Anliegens schwinden: Noch 2007 wurde es mit einer Mehrheit von 108 gegen 51 bei 25 Enthaltungen angenommen. Die letzte Abstimmung ging 80 zu 61 aus, 42 Staaten enthielten sich. Im Menschenrechtsrat war die Entscheidung noch knapper: Nur noch 20 Staaten stimmten für die Resolution, 17 waren dagegen, 8 enthielten sich der Stimme. Kritiker der Resolution hoffen nun auf eine Trendwende. Im Dezember wird die Generalversammlung der UN erneut abstimmen. Eine Voraberhebung ergab: 76 werden voraussichtlich mit Ja stimmen, 64 mit Nein. (pro)