Zum ersten Mal scheint es so, als hätten Union und SPD im Streit um Werbung für Schwangerschaftsabbrüche eine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden. Am Mittwochabend teilte die Bundesregierung mit, wie eine Neuregelung aussehen könnte: Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollen Kontaktinformationen für Frauen im sogenannten Schwangerschaftskonflikt zur Verfügung stellen. So soll gesichert werden, dass die Auskunft über Ärzte, die Abtreibungen durchführen, von neutraler Stelle kommt. Außerdem soll gesetzlich verankert werden, „dass und wie“ Ärzte selbst darüber informieren können, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Am Verbot der Werbung für Abtreibungen will die Bundesregierung festhalten.
Im Januar wollen die zuständigen Politiker diese rechtlichen Neuerungen unter anderem als Ergänzung des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch konkret vorschlagen. Zuständig sind Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Justizministerin Katarina Barley (SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU).
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus bestätigte am Freitag, es gebe einen entsprechenden Vorschlag der zuständigen Minister. Dies sei „ein erster Schritt zur Klärung der anstehenden Fragen in der Koalition“. Zuletzt hatte die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag Druck auf die Koalition ausgeübt, indem sie einen eigenen Gesetzesvorschlag zur Streichung des Werbeverbots am Donnerstagabend zur Aussprache auf die Tagesordnung setzen ließ. Die Liberalen strebten auch eine direkte Abstimmung über ihren Vorschlag an, was vor allem die SPD-Fraktion vor Probleme gestellt hätte: Würden sie für eine Neuerung des 219a stimmen, gefährdeten sie die Große Koalition. Andererseits ist offenbar eine Mehrheit der Fraktion für die Abschaffung, die stellvertretende Fraktionschefin Eva Högl warb offen dafür.
Der Streit um über die Werbung für Abtreibungen tobt seit Ende des vergangenen Jahres. Die Ärztin Kristina Hänel hatte zuvor auf ihrer Webseite erklärt, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt und war deshalb verurteilt worden. Zuletzt drohte die Frage, die Regierung zu zerreißen. Nun wird die Abstimmung über den FDP-Vorschlag wohl mit den Stimmen der Koalition an die Ausschüsse überwiesen. Eine Aussprache wird es dennoch geben. Sie wird einen ersten Eindruck davon vermitteln, wie die SPD-Fraktion den Kompromissvorschlag aufgenommen hat.
Hänel selbst bezeichnete den Kompromiss in einer ersten Reaktion am Donnerstag als „Nullnummer“, weil der Paragraf 219a bestehen bleiben soll und die weiteren genannten Maßnahmen schon jetzt möglich seien. Sie fordert, dass statt staatlichen Stellen Mediziner selbst über die Schwangerschaftsabbrüche informieren sollen dürfen.
Von: Anna Lutz