Ausgangspunkt für die Unruhen in Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia waren Pläne der Stadt, eine Statue von Robert E. Lee zu entfernen. Lee war Befehlshaber der Truppen der Südstaaten, die im amerikanischen Bürgerkrieg für den Fortbestand der Sklaverei kämpften. Mehrere rechtsextreme Gruppierungen hatten sich um das Denkmal versammelt, um gegen den Abriss zu demonstrieren. Am Samstag gab es eine Gegendemonstration gegen die Rechten, von denen sich viele als „Alt Right“ bezeichnen. Viele von ihnen propagieren eine Ideologie der „white supremacy“, einer Höherstellung der Weißen über Schwarze. Der 20-jährige James Alex Fields Jr., fuhr – offenbar willentlich – am Samstag sein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten. Dabei tötete er die 32-jährige Heather Heyer und verletzte 19 andere.
„Wie geht die Kirche mit Charlottesville um?“, fragte die Autorin Emma Green von der renommierten amerikanischen Zeitschrift The Atlantic. „Religionsgemeinschaften in Amerika kämpfen schon lange mit Rassismus innerhalb und außerhalb ihrer Reihen“, schreibt Green.
Nach der Gewalttat von Charlottesville erhoben viele christliche Leiter ihre Stimme gegen Gewalt, schreibt Green. „Doch auch viele Menschen wurden wütend auf weiße Christen, die mitschuldig sind an einer Kultur des systematischen Rassenhasses.“ Und dazu gehörten weiße sowie schwarze Christen, Liberale und Konservative. Ihnen erschienen zu viele Menschen zu passiv angesichts des um sich greifenden Fanatismus. „So wie man oft von Muslimen erwartet, dass sie Verantwortung übernehmen für Terror- und Gewaltakte von Glaubensgenossen, sehen viele Menschen auch bei weißen Christen eine Verantwortung für gewaltsatsame Rassisten, die von sich behaupten, den selben Glauben wie sie zu praktizieren.“
Lange keine deutliche Distanzierung Trumps
US-Präsident Donald Trump konnte sich zunächst zu keiner klaren Verurteilung der Gewalttat durchringen. Er verurteilte am Samstag allgemein „Hass und Fanatismus auf vielen Seiten“, wofür er stark kritisiert wurde. Erst am Montag berief er eine Pressekonferenz ein, auf der er eine Erklärung verlas, in der es heißt: „Rassismus ist böse.“ Darin nahm er auch Bezug auf den Glauben an Gott. „Egal, welche Hautfarbe man hat, wir leben alle unter dem selben Gesetz, und wir wurden alle vom selben allmächtigen Gott erschaffen.“ Weiter sagte Trump: „Wir sind vor den Augen unseres Schöpfer alle gleich.“
Cardinal Blase Cupich, Leiter der Erzdiözese von Chicago, der als enger Vertrauter von Papst Franziskus gilt, kritisierte, dass Trump in seiner ersten öffentlichen Reaktion lediglich allgemein Hass und Gewalt verurteilte, ohne die Neonazis in Charlottesville anzusprechen. „Wenn es um Rassismus geht, gibt es nur eins: dagegen stehen“, schrieb Cupich auf Twitter.
Russell Moore von der Southern Baptist Convention, die größte protestantische Konfession in den USA, twitterte: „Die so genannte Alt-Right-Bewegung und die Ideologie der ‚white supremacy‘ sind anti-christlich und im Kern satanisch. Das sollten wir auch so sagen.“ Andere weiße christliche Leiter blieben eher vage in ihren Reaktionen, kritisiert Green. Der Evangelist Franklin Graham, Sohn des bekannten Billy Graham, schrieb auf Facebook, man solle für den Governeur von Virginia, Terry McAuliffe, und die Polizei beten, dass sie mit dem „Chaos und der Gewalt“ zurecht kommen. „Er sprach weder Rassismus noch white supremacy an“, stellt die Journalistin fest.
„Weist die Ideologie der white supremacy im Namen Jesu zurück!“
Die Pastorin Traci Blackmon von der Gemeinde „Christ The King“ in Florissant, die bei der Demonstration am Samstag vor Ort war, rief auf Facebook ihre Kollegen auf: „Wollt ihr nicht morgen den Gottesdienst mit einem Gebet für unsere Nation und speziell für die Menschen von Charlottesville beginnen? Betet ihr für die Verwundeten und die Familie der Angehörigen? Und werdet ihr die Ideologie der white supremacy beim Namen nennen und sie im Namen Jesu zurückweisen?“
Green schreibt, in dem Gottesdienst, den sie selbst am Sonntag in New Jersey besuchte, habe der Pastor einige Minuten vor der eigentlichen Predigt über die Vorfälle in Charlottesville gesprochen. Es habe ihn erschüttert, dass Amerikaner durch die Straßen gegangen seien und „Heil Hitler“ gerufen hätten. Der Pastor fügte hinzu: „Wir leben in einem politisch sehr geteilten Land, aber als Nachfolger Jesu müssen wir klarstellen, dass wir, egal, wie wir politisch denken, eine Ideologie zurückweisen, die Fanatismus, Hass, Gewalt und Diskriminierung verbreitet.“
Die Autorin schreibt: „Wie andere Religionen auch sind die amerikanischen Kirchen durch Rasse, Klassen und Bildung sehr verschieden. Diese de facto Trennung in den Gemeinden ist ein Grund dafür, warum sie weiterhin Probleme mit Rassismus haben.“ Jemar Tisby, Präsident des Reformierten Afroamerikanischen Netzwerks, schrieb in der Washington Post, manche weiße Pastoren seien am Sonntag nach den Unruhen still geblieben. „Sie machen aus dem Problem des Rassismus ein ’soziales‘ Problem und nicht zu einem Problem des Evangeliums.“ Er stellt fest, dass die meisten Leiter in christlichen Gemeinden weiterhin Weiße seien. „Evangelikale, die ihren Glauben für politische Zwecke missbrauchen, bleiben in der Kanzel und ihnen wird die Möglichkeit gegeben, rassistische Feindseligkeiten aufzubringen, verkleidet in ‚rassisch neutraler‘ Sprache.“
Green schreibt, viele der Christen, auf die sich die Kritik bezieht, seien Anhänger Trumps. „Viele glauben, seine Wahl habe die Gruppen der white supremacy-Ideologie erst gestärkt. Sie machen weiße Christen dafür verantwortlich, dass so etwas passieren konnte. Über 80 Prozent der weißen Evangelikalen haben diesen Präsidenten gewählt, und 60 Prozent der weißen Katholiken. Im besten Fall haben Trumps Wirkung auf diese rassstischen Gruppen ignoriert.“
Wie der Nachrichtensender CNN berichtet, hatten allerdings auch viele evangelikale Vertreter, darunter Berater von Präsident Trump, gegen die rechte Gewalt ihre Stimme erhoben. Pastor Samuel Rodriguez, der bei der Amtseinführung Trumps dabei war, sagte: „Ich verurteile die Kräfte des weißen Nationalismus, der ‚white supremacy‘ und des Antisemitismus, die unser Land teilt. Und ich verurteile jeden, der sie für eine politischen Ziele missbraucht.“
Ronnie Floyd, ein leitender Pastor der Gemeinde Cross Church in Arkansas, der zu den evangelikalen Beratern Trumps gehört, erklärte, die Vorfälle in Charlottesville spiegelten in keiner Weise den christlichen Glauben nach seinem Verständnis wider „oder die Werte, für die die Nachfolger Jesu stehen“. Die Ideologie eines Höhergestelltsein einer weißen Rasse sei das Gegenteil von Jesu Lehre. „Er ruft uns dazu auf, einander zu lieben und zu dienen – unabhängig von der Hautfarbe, dem Geschlecht oder der Religion. Wir sollen unser Leben geben für unsere Freunde und sogar unsere Feinde lieben.“ (pro)
Von: js