Von Lisa-Maria Seelig
Martin Urban, Redakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“, verfolgt mit seinem Buch „Wer leichter glaubt, wird schwerer klug“ ein hehres Ziel. Er will seine Leser darüber aufklären, „wie man das Zweifeln lernen und den Glauben bewahren kann“. Für diese schwierige Mission scheint Urban geradezu prädestiniert, immerhin ist er Spross einer Theologenfamilie und langjähriger Leiter der Wissenschaftsredaktion der „Süddeutschen“. Berechtigte, jedoch überwiegend pauschale Kritik an den Kirchen übt Urban auf vielen Seiten, und, wen wundert’s, die Evangelikalen kommen besonders schlecht weg. Dennoch: Trotz allem meint Urban, dass die frohe Botschaft von Jesus trotz aller „Perversion“ durch die Menschen viel Trost bieten kann. Und das ist doch immerhin etwas.
Zu Beginn des Buchs konstatiert Martin Urban, dass Glaube und Wissen die gleiche Wurzel hätten – die Fähigkeit des Menschen, sich von der Welt ein Bild zu machen. Unser Gehirn versuche permanent, aus einer Fülle von unterschiedlichen Sinneseindrücken den vermeintlich logischsten Zusammenhang zu erstellen. Aus diesem Grund müsse man seine Weltsicht ständig überprüfen, oder wie Urban es nennt, Zweifel zulassen. Das Problem aller Glaubenssysteme sei allerdings, dass sie dem Zweifel keinen Platz einräumten. Eine Annahme, die sicherlich so mancher Christ bestreiten würde.
Nachdem Urban ganz nonchalant diesen Vorwurf erhoben hat, versucht er zu erklären, welchen Gesetzmäßigkeiten die persönliche Wahrnehmung unterliegt. Grundsätzlich gelte, dass der „Mensch nur das (nicht) sieht, was er (nicht) zu sehen erwartet“. Um diese These zu untermauern, zitiert er eine wahre Flut von naturwissenschaftlichen Experimenten im Bereich der Kognitionsforschung oder neurobiologische Erkenntnisse. Eine kleine Auswahl: Der Mensch sei „blind für das Unerwartete“, Vorurteile schützten den Menschen vor Überforderung und das Ausblenden von „Informationsmüll“ sei letztlich eine Schutzfunktion des Gehirns. Vieles also geschehe im Unterbewusstsein, auch die Verarbeitung von Informationen und Sinneseindrücken. „Der Verstand ist nicht der Herr im Haus“, so Urban. Und genau hier liege das Problem der Menschen, die die christliche Botschaft hören: Sie seien verführbar, neigten zur Leichtgläubigkeit. „Es wäre freilich ein Irrtum, zu glauben, nur Leichtgläubige seien leicht zu täuschen. Das gilt zwar, wie der Begriff andeutet, für Fragen des Glaubens. Der Mensch ist aber strukturell täuschbar, unabhängig davon, ob er ein kluger Kopf ist oder ein Dummkopf.“
Gottes Wort in der Predigt?
Und so wendet sich Urban grundsätzlich gegen jede Form des Glaubens, der auf biblischen Überlieferungen beruht. Zumindest wiederholt er fleißig die seit vielen Jahrzehnten bekannten Thesen der Bibelkritik. Bischof Wolfgang Huber habe etwa in einem „Spiegel“-Interview behauptet, wer in die Kirche gehe, höre in der Predigt „Gottes Wort“. Worüber Urban nur müde lächeln kann. „Die Geschichten im Alten Testament beruhen auf Ereignissen, Sagen und Bruchstücken von Erzählungen, die in weit zurückliegende Zeiten verweisen. Erst Jahrhunderte später sind sie von den Verfassern geschickt, man kann auch sagen genial, zusammengefügt worden.“ Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht zeige sich, dass viele Berichte der Bibel mit der historischen Wahrheit nicht übereinstimmten.
Evangelikale: Leichtgläubig und manipulierbar
Wenn schon der EKD-Ratsvorsitzende für seine Worte zur Bibel und Predigt als „Wort Gottes“ von Urban kritisiert wird, wie erst ergeht es dann den Evangelikalen! Für die hat der Autor noch weniger übrig als für die Kirche. Menschen, die die Erzählungen der Bibel für historisch korrekt halten, spricht Urban jegliches wissenschaftliches Nachdenken über die Bibel ab. Dass sie häufig auch die Evolutionstheorie infrage stellen, ist für den Diplom-Physiker erst recht nicht nachvollziehbar. Zweifel würden aus Bequemlichkeit und Machtgier nicht zugelassen, meint Urban. Die „Offenbarungen“ in der Bibel seien allerdings nicht mehr als mythische Erzählungen, die sich im Laufe der Zeit zu einer Ideologie verdichtet hätten. Wenn es nach Urban geht, so war Jesus lediglich ein charismatischer Wanderprediger, dessen Auferstehung von den Jüngern erfunden wurde, um die tiefe Schmach seines Todes auszugleichen.
Evangelikale, „christliche Fundamentalisten“, hätten nun besonders das Problem, leichtgläubig und manipulierbar zu sein. Mission ist für Urban nicht mehr als „fromme ‚Anmache'“ und „Missionierung von Leichtgläubigen durch Leichtgläubige“. Er habe als Kind etwa in Berlin „den US-Heilsprediger Billy Graham erlebt. Am Ende der in kurzen, appellierenden, in Stakkato-Form vorgetragenen Sätze (…) verlangte dieser ein Bekenntnis zu Gott, indem er seine Zuhörer aufforderte, sich zu erheben. Das taten denn auch die allermeisten. Ich erinnere mich aber, (…) dass einige Zuhörer sitzen blieben. Ihnen gilt heute mein Respekt. Diese Menschen waren nicht so leicht verführbar“, schreibt Urban.
„Glaubensgewissheit kann die Kirche nicht lehren“
Urban macht es sich leicht, er erwähnt nicht, dass auch Evangelikale bei Verstand sind und durchaus Zweifel zulassen. Er vergisst, dass eine Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Methode auch in evangelikalen Kreisen stattfindet. Stattdessen sind sie für Urban die Leichtgläubigen und Verführten, die leichter glauben und daher schwerer klug werden. Ja, der „christliche Fundamentalismus“ sei ein „Aberglaube“, der weltweit auf dem Vormarsch sei, meint er sogar. „Da empfiehlt sich dringend, das Zweifeln zu lernen.“
Urban hat den Mut, diese Thesen sogar zu Ende zu denken – indem er darüber sinniert, was geschehen würde, wenn die Kirchen „die Fundamente ihres Weltbildes im Lichte der modernen Wissenschaft“ prüften. „Die Fundamente der christlichen Lehre sind brüchig. Das wissen die Theologen, Historiker und Archäologen längst und belegen es in immer weiteren Einzelstudien. Überdies sind die biologischen und psychologischen Gegebenheiten mittlerweile so gut erforscht, dass wir erkennen können: Glaubensgewissheit kann wohl der einzelne Mensch haben, kann aber ehrlicherweise keine Kirche lehren. Doch die Macht der Kirchen würde bröckeln, wenn sie den Gläubigen sagen würde, dass die keine Gewissheit predigen kann, sondern allenfalls Hoffnung. Wer wäre wohl bereit, dafür – wie bis heute in Deutschland üblich – Kirchensteuern zu bezahlen? Freilich sind sogar die deutschen Lotto-Tipp-Freunde für ein kleines bisschen Hoffnung durchaus bereit, Woche für Woche sehr viel Geld auszugeben.“
Mit seinem Buch wiederholt Martin Urban nicht nur die Bibelkritik der kritischen Theologie, sondern steht in bester Tradition zu einem großen Glaubenszweifler, der ebenfalls Journalist war: Bereits 1972 veröffentlichte Rudolf Augstein, Gründer und langjähriger Herausgeber des „Spiegel“, sein Buch „Jesus Menschensohn“. Der „Harenberg. Das Buch der 1.000 Bücher“ schreibt zum Inhalt: „In den Mittelpunkt rückt Augstein die Entstehung des Christus-Mythos als Folge der neutestamentlichen Überlieferung. Die Unterschiede in den Darstellungen der – möglicherweise fiktiven – Gestalt des Menschen Jesus aus Nazareth und seiner Identifizierung als Gottessohn mit dem Messias werden auf unterschiedliche Missionsinteressen der neutestamentlichen Autoren zurückgeführt. (…) Insofern ist die gesamte Bibel Gegenstand einer radikalen Kritik.“