In der Wochenzeitung "Die Zeit" schreibt der liberale Rabbiner Walter Homolka über die Parallelen zwischen Jesus und einem jüdischen Rabbiner. Auch wenn er der Historizität der Evangelien misstraut - eines sei ganz sicher: "Jesus war Jude".
Von PRO
Foto: Milch&Honig (flickr)
Jesus habe eindeutig eine Verbindung zum jüdischen Pessachfest hergestellt, als er beim Abendmahl mit seinen Jüngern sagte: "Dies tut zu meinem Gedenken". Das Pessachfest geht zurück auf das Gebot Gottes vor dem Auszug aus Ägypten an die Israeliten, ein Lamm zu schlachten. Das Schlachtblut sollte ein Zeichen an den Türen des Hauses sein, damit Gott die Erstgeborenen Israels verschone. Der Rabbiner stellt fest: "Pessach ist eng verbunden mit der Hoffnung auf den Retter, der einmal kommen wird: den Messias. Durch die Verbindung des christlichen Abendmahls mit dem jüdischen Sederabend soll deutlich werden: Jesus sieht sich als dieser Messias."
Jesu Abendmahl könne auf vielerlei Weise gedeutet werden: "Als Vorabend des Pessachfestes, als Gemeinschaftsmahl seiner Jünger, als Kiddusch derer, die sich Jesu weitere Familie nennen." Gerade in jüngerer Zeit sei strittig, ob das letzte Abendmahl Jesu ein Pessachmahl gewesen sei. "Die Evangelien sind nicht der Polizeibericht. Sie halten Rückschau auf Jesus aus zeitlicher Distanz und auch mit unterschiedlichen theologischen Vorverständnissen. Als Tatsachenberichte sind sie also ungeeignet."
Homolka stellt jedoch fest: "Die Hinrichtung unter Pontius Pilatus geschah nach allen vier Evangelien am Vortag eines Schabbats, also an einem Freitag. Für die Synoptiker Markus, Lukas und Matthäus war es der Hauptfesttag des Pessach nach dem Sederabend, der 15. Nisan im jüdischen Kalender." Diese Terminierung habe eine theologische Bedeutung: "Jesus wäre dann nämlich zur Zeit der Schlachtung der Pessach-Lämmer gestorben. Dem Evangelisten war die Parallelität wichtig: Jesus als Opferlamm."
Der Rabbiner fügt hinzu, dass die vier Evangelien nicht historisch genau zu werten seien, sondern vor allem Wert auf die theologischen Bedeutungen legten. "Nur eines können wir sicher ableiten: Jesus war Jude – und sein jüdisches Umfeld ist kein kultureller Zufall. (…) Den jüdischen Kontext Jesu darf man gegenüber seinem Heilshandeln als ‚Christos‘ der Kirche nicht vernachlässigen." Jesus müsse man "ganz und gar in seinem jüdischen Kontext verstehen, aus dem er zeitlebens nicht heraustrat". Auch sein Predigt- und Argumentationsstil sei "im Wesentlichen rabbinisch", so Homolka. "Genau wie der berühmte Rabbi Hillel, einer der bedeutendsten Lehrer aus der Zeit vor der Zerstörung des zweiten Tempels, räumte Jesus der Nächstenliebe den gleichen Rang wie der Gottesfurcht ein."
Jesus predigte rabbinisch
Zudem ähnelten Jesu Armenfürsorge, Heilungen und die Einheit von Beten und Almosengeben sehr dem späteren Auftreten des Wundercharismatikers Chanina Ben Dosa (um 40–75), eines Vertreters des galiläischen Chassidismus.
Homolka zitiert den Bochumer Neutestamentler Klaus Wengst, der es so auf den Punkt gebracht habe: "Wenn wir dem Jesus der Evangelien begegnen, begegnen wir einem Juden, der nicht isoliert von seinem Volk gelebt hat, sondern mitten in ihm und mit ihm. Wenn wir ihm begegnen, begegnen wir also Jüdischem und nur Jüdischem."
Walter Homolka ist Rektor des Abraham Geiger Kollegs Potsdam. Der 46-jährige liberale Rabbiner ist Vizepräsident der "European Union for Progressive Judaism". Er studierte Philosophie, Theologie und Finanzwissenschaft und ist Professor für Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Homolka ist zudem Vorsitzender der "Leo Baeck Foundation" und Mitglied des Gesprächskreises Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. 2008 boykottierte er den Katholikentag wegen Papst Benedikts lateinischer Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte für die Juden. Mit Hans Küng veröffentlichte er den Band "Weltethos aus den Quellen des Judentums". Zuletzt erschien von ihm "Jesus von Nazareth im Spiegel jüdischer Forschung". (pro)
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