Wieder einmal beschäftigt sich eine Sendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit evangelikalen und charismatischen Gemeinden. Unter dem Titel „Mission unter falscher Flagge“ erhoben ARD-Journalisten schwere Anschuldigungen: Machtmissbrauch und falsche Heilungsversprechen, Manipulation von Gläubigen. Und wieder einmal reagieren die Evangelikalen mit harscher Kritik an angeblich undifferenzierter Berichterstattung, an Sensationslust und journalistischen Kardinalfehlern.
Die Sendung ist gerade einmal ein paar Tage alt. Einem Außenstehenden, der selbst nicht dem Kern der evangelikalen Szene angehört, fällt es nach solch kurzer Zeit schwer, zu beurteilen, welche Vorwürfe stimmen, und welche nicht. Er muss sich auf Beteiligte verlassen: Auf den Bericht der ARD-Journalisten und die komplett gegensätzlichen Stellungnahmen der beteiligten Gemeinden und Werke. Die Journalisten erheben Vorwürfe, die Gemeinden und Werke dementieren sie. Was Aufklärungsbedarf hinterlässt. Denn Tatsache ist: In Deutschland gibt es geistlichen Missbrauch – wie in jedem anderen mit christlichen Gemeinden gesegneten Land der Welt. Schwarze Schafe gibt es überall, außer in der Ewigkeit. Die unerlöste Welt ist nicht perfekt. Und gerade dem Missbrauch ist es eigen, dass er in der Regel von Pastoren und Gemeindeleitungen ausgeübt wird. Nun aber stammen alle vorliegenden Stellungnahmen genau von den Pastoren und Gemeindeleitern, die in der Fernsehsendung angegriffen werden. Aussage steht damit gegen Aussage.
Zudem ist auffällig, dass es nicht nur immer wieder dieselben Journalisten sind, die dergleichen Sendungen erstellen, sondern auch immer wieder dieselben Gemeinden, die in den Focus der Medien geraten: Die Tübinger offensive Stadtmission, die sich heute TOS-Gemeinde nennt, die Freie Christliche Jugendgemeinschaft Lüdenscheid von Walter Heidenreich, die Biblische Glaubensgemeinde Stuttgart, heute unter dem Namen Gospel-Forum bekannt. Deswegen ist es geboten, dass die Deutsche Evangelische Allianz die Vorwürfe des Fernsehbeitrags untersuchen lässt, wie es ihr Vorsitzender Michael Diener ja bereits ankündigte. Bislang allerdings stehen nur Stellungnahmen der betroffenen Gemeindeleitungen unkommentiert auf der Allianz-Homepage. Und das reicht so nicht. Denn damit steht weiter nur Aussage gegen Aussage. Nötig wäre die Untersuchung durch ein unabhängiges Expertenteam – denn die Kritik an der eigenen Szene sollte von den Evangelikalen mindestens ebenso ernst genommen werden, wie die selbst geäußerte Kritik an Anderen, was Spätabtreibungen, Homo-Ehen und Gender-Mainstreaming betrifft. Und das gilt auch, was den zeitlichen und personellen Aufwand betrifft, den man einsetzt, um die angeblichen Missstände zu untersuchen, und wenn nötig, zu beheben. Sonst wird irgendwann wieder die Rede vom Splitter im Auge der Anderen und dem Brett vor dem eigenen Kopf sein …