„Putin ist ein sehr abergläubischer Mensch“

Russlands Präsident Wladimir Putin nutzt die orthodoxe Kirche für seine Zwecke, die Kirchenoberen profitieren finanziell vom Regime in Moskau. Davon ist der russische Religionswissenschafter Andrei Desnitsky überzeugt.
Von Jörn Schumacher
Russlands Präsident Wladimir Putin

Als die russische Armee im Februar in die Ukraine einmarschierte, haben sich ungefähr zweihundert Geistliche in einem offenen Brief dagegen ausgesprochen. Doch seit Kritik am Krieg als Verbrechen gilt, halten sich auch die Geistlichen zurück. In den russischen Medien kursierten Bilder bewaffneter Geistlicher, die die russische Armee in der Ukraine tatkräftig zu unterstützen scheinen. Die Neue Zürcher Zeitung hat den russischen Religionswissenschafter Andrei Desnitsky gefragt, wie das Verhältnis zwischen der orthodoxen Kirche und Putin aussieht.

Auf die Frage, ob Putin selbst ein gläubiger Mensch sei, antwortet Desnitsky: „Er ist jedenfalls ein sehr abergläubischer Mensch. Er misst allen möglichen Ritualen sehr viel Bedeutung zu. Und so ist es ihm wichtig, dass seine Macht auch von geistlichen Würdenträgern beweihräuchert wird.“

Putin nutze die Russisch-Orthodoxe Kirche für sein Machtstreben aus, sie solle seine Macht legitimieren, ist der Religionswissenschaftler überzeugt. Dabei sei der Kreml-Chef aber nicht auf diese kirchliche Unterstützung angewiesen. „Er nimmt auch nicht teil am kirchlichen Leben“, so Desnitsky. Früher habe sich Putin an Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern in Kirchen in Szene gesetzt. „Aber es war zu sehen, dass er sich da nicht wohl fühlte.“ Mittlerweile verkünde der Regierungschef seine Feiertagswünsche von zu Hause aus.

„Kirche genießt Privilegien durch Putin“

Umgekehrt profitiere die kirchliche Führung unter dem Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, von gewissen Privilegien durch Putin. „Es fließt auch etwas Geld.“ Die Inanspruchnahme der Kirche durch die Propaganda sei „eine traurige Geschichte“, so der Experte. „Die Institution und ihre religiöse Mission werden dadurch abgewertet. Tatsächlich verliert die Kirche immer mehr an Ansehen beim Volk.“

Es gebe in Russland mittlerweile nur noch sehr wenige Gläubige, die die Kirche regelmäßig besuchen, so Desnitsky. Die meisten gingen nur noch für eine Taufe oder eine Hochzeit in ein Gotteshaus.

Auf die Frage, wie es jüdischen Russen heute im Land ergehe, sagt Desnitsky, die allermeisten Juden seien emigriert, aber weniger wegen antisemitischen Ausschreitungen als vielmehr wegen einer Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Politik. „Und viele in Russland verbliebene Juden sind assimiliert. Das mag erklären, weshalb der Antisemitismus kaum mehr eine Rolle spielt.“ Putin selbst habe zudem viele jüdische Freunde.

Andrei Desnitsky wurde 1968 in Moskau geboren. Er studierte Philologie und Bibelkunde in Moskau und Amsterdam. Er gilt als Spezialist für Bibelübersetzung und arbeitet zudem als Publizist und Schriftsteller. Desnitsky verließ Russland im März 2022, derzeit lebt er in Litauen und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der philologischen Fakultät der Universität Vilnius.

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8 Antworten

  1. Ach, wenn es doch so einfach wäre. Putin bedient die Begriffe Gott, Nation und Familie und geht somit in die gleiche Richtung wie Orban, Melloni und andere. Damit spricht er Konservative gerade auch aus der orthodoxen Kirche verschiedenster Prägung an. Putin generiert sich als wahrer Retter des Abendlandes und bekommt damit Rückhalt bis in Länder wie Serbien. Deshalb wird auch manchem Ukrainer der nach Deutschland kommt unser Land wie ein Sündenpfuhl vorkommen, denn die ukrainische Orthodoxie ist doch im Kern von der russischen gar nicht so weit entfernt. Das ist auch der Grund, warum Putin im arabischen Raum und in Asien so viel Rückhalt genießt, weil er zudem der westlichen Dekadenz den Kampf angesagt hat. Es zeigt sich auch hier, dass das Aufsetzen der westlichen Brille vielem, was auf dieser Welt geschieht, allein nicht gerecht wird. Für die Mehrheit der Menschen dieser Welt ist die moderne westliche Lebensart kein anstrebenswertes Ziel. Ob das durch die Propaganda der jeweiligen Regierungen kommt sei mal dahingestellt. Dass der Westen sich mit seinem Vorgehen im arabischen Raum und jetzt in der Ukraine keinen Gefallen tut dürfte klar sein. Diese andere Völker sind in der Mehrheit und der Westen muss andere Wege einschlagen um diese Völker für sich zu gewinnen wie dies mit militärischen Massnahmen zu versuchen.

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    1. Der (Sub)-Text Ihrer Ausführungen hat es wieder einmal in sich:
      (1) Sie konstatieren eine westliche Dekadenz! Was soll denn das sein, jenseits einer durchsichtigen faschistischen Propaganda im Stile Dugins oder geistlicher Führer in muslimischen Diktaturen (oder in den Kaderschmieden der neuen Rechten, bei Herrn Weißmann etwa oder dem IfS.) Es geht hier um eine offene, demokratische, rechtsstaatliche Gesellschaft, die dem Einzelnen weitreichende Freiheitsrechte einräumt. Dafür fehlt Ihnen offenbar das Sensorium!
      (2) Die Mehrheit der Menschen will diese freiheitliche Lebensart nicht, behaupten Sie. Was ein Unsinn! In den meisten Ländern, auf die Sie anspielen, werden die Menschen garnicht gefragt! Ein Blick in den Iran zeigt, wie eine menschenveachtende Diktatur mit dem Freiheitswillen der eigenen Bevölkerung verfährt und das alles der westlichen „Dekadenz“ in die Schuhe schieben will.
      (3) Und schließlich wird Ihre Argumentation wirklich obszön: Es ist also der Westen, der dem Rest der Welt seinen Lebensstil mit militärischen Mitteln aufzwingen will! Derweil führt Putin einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen ein souveränes Nachbarland, um es mit Terror in den Schoß des russischen Faschismus zurückzuholen.
      Es ist nicht schwer die Quellen Ihres absurden Weltbildes zu erruieren. Trübe sind sie allemal!

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      1. Dann rechnen Sie doch mal bitte alle Kriege nach dem 2.Weltkrieg zusammen die der Westen vom Zaun gebrochen hat. Rechtfertigt das unsere moralische Überheblichkeit!? Sie interpretieren bei Aussagen, die nicht in Ihr Weltbild Dinge hinein, die der andere nicht gesagt hat. Ich habe die Kriege Russlands nie gerechtfertigt sondern versucht zu erklären, wie Putin, Russland und wie Freunde Russlands ticken. Und zu 3. Es gehört schon eine große Ignoranz dazu dies nicht zu sehen: Frau Merkel hat sogar zugegeben, dass das Minsker Abkommen die Aufgabe hatte die Aufrüstung der Ukraine hatte. Der Westen hat ständig seinen Einfluss Richtung Russland ausgedehnt und den Aufstand auf dem Maidan mit Milliarden unterstützt. Der Westen und auch unsere Regierung hat soviel Dreck am Stecken, dass von uns im Westen etwas mehr Selbstkritik angebracht wäre so moralisch überheblich wie wir uns immer verkaufen Letztes Beispiel dazu ist unsere Selbst-Darstellung bei der WM,

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  2. Und übrigens, was ist das anders wie dekadent, wenn wir umfangreich sexuelle Unmoral zulassen und nun beginnen uns für Sex mit Kindern und Tieren immer mehr zu öffnen. Wir wollen Abtreibung bis zum 9. Monat zulassen, retten aber alle männlichen Küken. Man kann noch mehr Beispiele bringen aus verschiedenen Bereichen. Wenn man das nicht sehen will!!!

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  3. Ich verstehe Matze anders. Putin hat in der Ukraine einen brutalen Krieg angefangen. Er lässt Menschen ermorden. Das Problem was Matze hier aufzeigt ist aber wesentlich und zwar so das Nationalisten auch brutale und böse wie Putin – Konservative leicht kapern können und misbrauchen für seine Zwecke da sich auch (nicht nur!) der Westen mehrheitlich dazu entschieden hat sich von Gott abzuwenden (wie Putin auch!) und Werte die in der Bibel stehen als Maßstab anzuerkennen. Genau das macht in Deutschland die AFD und deshalb ist sie erfolgreich (leider!!). Der Westen wußte mal, was Gottes Plan ist für eine Familie. Der Westen wußte was Sünde ist. Heute scheint hier einiges ins rutschen zu kommen und die Menschen spüren das und suchen sich neue Quellen der Orientierung. Die Kirche im Westen hat sich selbst mit Lichtgeschwindigkeit in die Bedeutungslosigkeit manövriert indem Sie Tempolimits ausgibt Gendertoiletten anschraubt Gleichstellungsbeauftragte hervorruft usw. usw. Ein anderes Wort für Sünde ist: Zielverfehlung und genau das ist unser Problem im Land in der Kirche und bei uns. Wir wisssen zu jedem Thema alles besser und sind so dumm weil wir nicht danach suchen wie der Schöpfer aller Dinge es vorgesehen hat. Alle Quellen die nicht von Gott sind sind schmutzig und füren in Elend egal von welcher Richtung – von Greta bis Höcke. Keine einzige Menschengemachte Diktatur bringt Glück und Freihheit. Sondern führt nur zur Denunzition und Gefängnis. Wir werden erst frei sein wenn wir Gott folgen. Suchet der Stadt bestes und betet für Sie!

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  4. Koente es sein, dass es umgekehrt ist und Putin von Kyril benutzt wird, um die Welt unter Fuehrung der orthodoxen Kirche wieder in die „richtigen“ Bahnen zu bringen ?

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  5. „Putin (der russische Staatsaparat) nutze die Russisch-Orthodoxe Kirche für sein Machtstreben aus, sie solle seine Macht legitimieren! Eine Erkenntnis, die von russisch-orthodoxen Christen schon vor 30 Jahren beklagt wurde, da überproportional viele (ehemalige) KGB-Funktionäre „Unterschlupf“ in dieser Kirche fanden. Freie- und andere Kirchen haben darunter zu leiden.

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