„Ich will nicht ins Paradies, wenn der Weg dorthin so schwierig ist, wenn ich nicht rein darf wie ich bin, bleib‘ ich meinetwegen hier.“ So rebellisch klingen die Songtexte der Düsseldorfer Punkband „Die Toten Hosen“ zuweilen. Die Vermutung, dass in dem Leben der fünf Musiker nicht viel Platz für Gott und den Glauben ist, liegt nahe, erweist sich aber bei näherem Betrachten als falsch. „Immer wieder in meinem Leben habe ich mich mit Glauben beschäftigt. Die Auseinandersetzung damit sollte meiner Meinung nach niemals enden“, sagte Sänger Campino nun bei einem Besuch in einer achten Klasse der Regine-Hildebrandt-Schule Birkenwerder. Zu dieser etwas anderen Vertretungsstunde hatte die Dresdner Zeitschrift „Spiesser“ eingeladen.
Glaube als Kraftquelle nutzen
Andreas Frege alias Campino, Andreas von Holst (Andi) und Michael Breitkopf (Breiti) hätten den Schülern geraten, den Blick auf die positiven Seiten von Religion und Glauben zu richten, so „Spiesser“. „Die Option, Glaube als Kraftquelle zu nutzen – da würde ich jedem raten, nicht so schnell die Tür davor zuzumachen“, sagte Campino und fuhr fort: „Außerdem ist es nie zu spät, ein- oder auszusteigen in die Religionsdiskussion.“
Dem Für und Wider der Religion haben sich einige der Bandmitglieder in der Vergangenheit gestellt. Gitarrist Breiti ist nach eigenen Angaben katholisch erzogen und sagte, er habe „wirklich viel mitgemacht in der Kirche“. Letztendlich sei es die Frage nach dem Ende des Lebens, die ihn zur Auseinandersetzung mit dem Glauben bringe. „Was bleibt von mir übrig, außer den paar Liedern, die wir gemacht haben?“, frage er sich. Eine Antwort darauf sei der Glaube. „Dafür brauche ich aber keine katholische oder evangelische Kirche, keinen Islam oder Hinduismus. Obwohl ich diese Kirchen respektiere“, erklärte er laut „Spiesser“ weiter. Trotz der katholischen Prägung sieht Breiti den schulischen Ethik-Unterricht als gleichwertig zum Religionsunterricht an. Wenn es keine Christen an einer Schule gibt, so findet er, könne der Religionsunterricht auch komplett durch Ethik ersetzt werden.
Campino gestaltete Vesper mit
Auch von Sänger Campino weiß man, dass er sich dem christlichen Glauben verbunden fühlt. Ende September diesen Jahres besuchte er etwa die Abtei Königsmünster in Meschede im Sauerland und sprach dort in einer Vesper vor rund 500 Jugendlichen. „Am Glauben kommt man nicht vorbei“, zitiert ihn der „Sauerlandkurier“. Seit dem Tod seines Vaters, so der Sänger, habe er sich mehr mit dem Glauben beschäftigt. Auf dem Dachboden habe er alte Briefe seines Vaters gefunden, die dieser als Soldat während des Zweiten Weltkrieges aus Russland nach Hause geschickt hatte. Darin, so erklärte Campino, habe sein Vater geschildert, wie ihm das Gottvertrauen geholfen habe, auch schwierigste Situationen zu überstehen. Die Abtei Königsmünster hatte der Altpunk in der Vergangenheit bereits mehrere Male aufgesucht. Mit Altabt Stephan, so Campino, verbinde ihn eine Freundschaft, „von der ich weiß, dass sie für immer hält“.
Diese Erfahrungen spiegeln sich auch in der Musik der Rocker wider. Zu einem Stück mit dem Titel „Beten“ erklärt Campino auf „dietotenhosen.de“: „Es geht darum, dass man noch so sehr so tun kann, als ob man nichts mit der Kirche zu tun hat, aber wenn es zu einer Totalkatastrophe kommt, dann ist das immer noch der letzte Ort, wo sich alle versammeln. Da sitzt du dann in der Bank und erwartest Trost, obwohl du dich jahrelang nicht blicken lassen hast und obwohl du auch rational gar nicht erklären kannst, wo das Bedürfnis jetzt plötzlich herkommt. Es fällt uns oft gar nicht auf, wie sehr wir im Alltag von dieser christlichen Kultur geprägt sind.“
„Glaube ist immer nur so gut oder schlecht, wie die Menschen“
Trotz aller Sympathie für den Glauben machten „Die Toten Hosen“ in der Vertretungsstunde klar, dass Fanatismus jeglicher Art abzulehnen sei. „Der Glaube ist immer nur so gut oder schlecht, wie die Menschen, die ihn interpretieren. Im Koran steht nicht, dass Frauen sich verschleiern müssen. Fanatismus ist eine Seuche, die nichts mit Glauben zu tun hat.“ Die positiven Aspekte des Glaubens sollten dennoch nie vergessen werden: „Ich denke, dass auch viele Leute im Namen des Glaubens unglaublich gute Sachen machen, über sich selbst hinauswachsen und Kräfte gewinnen, die nur durch ihren Glauben zu erklären sind“, so Campino.
Die Verwurzelung der deutschen Kultur im christlichen Glauben demonstrierten die Musiker an einem Beispiel: Auf die Frage Campinos an die Schüler, ob sie den Sonntag mögen, herrschte Verwirrung, und nur wenige meldeten sich. „Niemand denkt groß über den Sonntag nach, aber wenn man genau hinguckt, ist unsere Gesellschaft, unsere gesamte Kultur, wahnsinnig durchsetzt und geprägt vom Christentum. Auch unsere Gesetze und unser Anspruch auf Freiheit bauen auf der christlichen Religion auf“, findet Campino.
Laut „Spiesser“ zeigten sich die Schüler nach der Schulstunde überrascht. Von Punkrockern, die singen: „Nichts bleibt für die Ewigkeit“, hätten sie eine solch offene Haltung zur Religion nicht erwartet. Lang vorbei, so scheint es, sind die Zeiten, in denen „Die Toten Hosen“ noch Aufsehen erregten, weil sie sich in einer Kirche beim hemmungslosen Besäufnis filmen ließen, wie im Video zu „Eisgekühlter Bommerlunder“.
„Du musst mir keine Gnade schenken, ich brauch auch keinen neuen Freund. Nur eine Frage brennt in mir: Was hast du mit Erlösung gemeint?“, singt Campino im Lied „Beten“. Als Christen bezeichnen sich die Düsseldorfer selbst nicht, wichtig sei vielmehr der Respekt vor jeglichem Glauben. So zeigen sich „Die Toten Hosen“ als Menschen, die auf der Suche sind, und genau diese Wichtigkeit des Suchens, so scheint es, vermittelten sie auch in der „Spiesser-Vertretungsstunde“. (PRO)