In jeder neuen Legislaturperiode benennen die Fraktionen des Deutschen Bundestages Politiker, die sich in besonderer Weise der Religion widmen. pro zeigt, wer in welcher Partei den Glauben zum Thema macht. Im ersten Teil unserer Serie stellen wir Kerstin Griese (SPD) vor.
Von PRO
Foto: pro
Kerstin Griese ist bei der SPD für religiöse Belange zuständig – und nicht dafür bekannt, mit ihrer Meinung hinterm Berg zu halten
Wenn es um Kirchenpolitik geht, ist Kerstin Griese eine der Erfahrensten im Deutschen Bundestag. Schon seit 2006 ist sie – mit Unterbrechung – Beauftragte der SPD-Fraktion für Kirchen- und Religionsgemeinschaften. Wer mit ihr über Spezialthemen wie das kirchliche Arbeitsrecht spricht, erlebt nicht selten Kurzreferate über Detailfragen und die Zukunft des Staat-Kirche-Verhältnisses an sich. Das hat zum einen mit Grieses Art zu sprechen zu tun – frei von der Leber weg, würde man das in ihrer rheinischen Heimat Düsseldorf wohl nennen – wenn es wichtig ist, auch mal ohne Punkt und Komma. Zum anderen engagiert die 47-Jährige sich schon seit geraumer Zeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Länger noch als in der Politik.
Griese, die vor 14 Jahren erstmals im Deutschen Bundestag saß, ist die Tochter eines evangelischen Geistlichen. Von Pfarrerskindern sagt man, dass sie sich entweder ganz und gar der Kirche zu-, oder eben vollends abwenden. Bei Griese ist die Sache eindeutig: Mit 20 Jahren reiste sie erstmals als Jugenddeligierte zu einer EKD-Synode. Noch heute ist sie ehrenamtlich Synoden-Mitglied und an verschiedenen Stellen in ihrer Kirche engagiert. Als sie 2009 überraschend nicht wieder in den Bundestag einzog, wurde sie hauptamtlicher Vorstand Sozialpolitik der Diakonie, bis sie 2010 als Nachrückerin wieder in die Politik ging. Der Abschied von der Diakonie fiel ihr damals schwer. Heute ist sie froh, dass es so kam. In Berlin lebt sie in einer Hausgemeinschaft mit dem ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und 13 anderen Freunden. Wenn sie in der Hauptstadt weilt, arbeitet sie oft bis spät in die Nacht und lässt das auch gerne die Facebook- und Twitter-Community wissen, indem sie Bürofotos postet. So richtig privat ist bei Kerstin Griese wenig.
Auf der Suche nach dem Urchristentum
Auch deshalb ist sie immer bereit, offen und ehrlich über Glaubensdinge zu sprechen. Fragt man sie, warum sie überhaupt glaubt, fällt schnell der Name ihres Vaters Erhard. Der heute 78-Jährige komme seinerseits aus einem nichtchristlichen Elternhaus, erst als Jugendlicher sei er gläubig geworden und seitdem „immer auf der Suche nach dem Urchristentum“ gewesen, sagt Griese. Sie erinnert sich unter anderem an Besuche von Gottesdiensten mit pfingstlerischen Elementen in ihrer Jugend. „Mein Glaube rührt auch daher, dass ich mich immer frei dafür entscheiden konnte. Bei uns zu Hause wurde nie erwartet, dass man sich in der Kirche engagiert“, erinnert sich Griese.
Freiheit ist ihr noch heute eines der wichtigsten Güter. Auch deshalb tut sie sich mit gewissen evangelikalen Strömungen schwer, wie sie sagt. Die wiederkehrende Kritik an der Gleichstellung Homosexueller macht ihr zu schaffen. Wer öffentlich betont, Ehe und Elternschaft seien schützenswerter als andere Lebensentwürfe, trifft sie persönlich. Griese ist alleinlebend, kinderlos, auch wenn sie sich gerne und so oft es geht, ihren beiden Patenkindern, Nichten und Neffen widmet. Sie scheut keine Auseinandersetzung und legt keinen besonderen Wert darauf, sich Freunde bei einzelnen Gruppen von Frommen zu machen, obwohl ihre Aufgabe als religionspolitische Sprecherin darin besteht, den Dialog auch mit jenen religiösen Gruppen zu suchen. Im Februar machte sie ihrer Wut über konservative Kritik am Bildungsplan in Baden-Württemberg und der Homo-Ehe öffentlich via Twitter Luft und löste damit eine Flut von teils empörten Reaktionen aus. Nach einem Maischberger-Talk zum Thema Homosexualität, bei dem unter anderem der Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb, zu Gast war, twitterte sie: „Ich gucke Talkshows, wenn ich aus beruflichen Gründen muss. Aber ich kann vorsintflutliche, intolerante Evangelikale nicht mehr ertragen.“
Als Christin Distanz zu CDU/CSU
Kritik musste jüngst aber auch ihre eigene Kirche einstecken. Im Zuge der Veröffentlichung eines Familienpapiers mahnten einige Politiker und Journalisten an, die EKD bewege sich zunehmend auf rot-grüner Parteilinie. „Ich sehe in dem, was man als evangelischer Christ zur Flüchtlingspolitik oder zur Entwicklungspolitik sagt, eine erkennbare Distanz zu manchen Positionen der CDU/CSU“, erklärt Griese dazu. Innerhalb ihrer Kirche sieht sie dennoch keine parteipolitische Einseitigkeit. Sie bedauert, dass ihrem Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider das gelegentlich vorgehalten werde.
Im Februar schrieb die Christ-und-Welt-Autorin Friederike Gräff, sie störe sich an der „Leisetreterei“ der Kirche. „Sie ist für den Klimaschutz und gegen Menschenhandel, sie ist gegen Massenvernichtungswaffen und für gerechten Handel. Sie ist für alles, wofür bürgerliche Mehrheiten sind“, kritisierte Gräff. Griese ihrerseits wünscht sich eine öffentlich klar und deutlich agierende Kirche, die Missstände anprangert und jenseits von Parteilinien kommentiert. Die Organisation EKD tue, was sie dringend müsse. Sich für Flüchtlinge engagieren zum Beispiel: „Wer außer der Kirche tut das denn sonst noch?“ (pro)
Am Sonntag erscheint in der pro-Serie Religionspolitiker ein Porträt über Franz Josef Jung und am Montag über Christine Buchholz.
Dieser Artikel ist zuerst in der Ausgabe 2/2014 des Christlichen Medienmagazins pro erschienen. pro können Sie kostenlos bestellen, unter der Telefonnummer 06441/915151, via E-Mail an info@pro-medienmagazin.de oder online.
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