Presserat: Vor Veröffentlichung von Opfer-Fotos und Videos aus Israel sorgfältig abwägen

Dürfen Medien nach den Terrorangriffen in Israel Bilder und Videos der Opfer veröffentlichen? Der Presserat erinnert Redaktionen an die Selbstverpflichtungen des Pressekodex, der Journalist Deniz Yücel an das Interesse der Allgemeinheit.
Von Norbert Schäfer
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Der Deutsche Presserat hat Redaktionen daran erinnert, vor der Veröffentlichung von Fotos und Videos von Terroropfern aus Israel sorgfältig abzuwägen. Die Journalisten sollten sich laut einer Mitteilung vom Montag ihrer Verantwortung über die Wirkung dieser Bilder bewusst sein. Der Deutsche Presserat ist die freiwillige Selbstkontrolle der Printmedien und deren Online-Auftritte in Deutschland. Anhand von Beschwerden überprüft er die Einhaltung ethischer Regeln im Journalismus, die im Pressekodex festgehalten sind.

„An der Berichterstattung über den beispiellosen Angriff der Hamas und die jetzt folgenden Kampfhandlungen besteht zweifellos ein überragendes öffentliches Interesse“, erklärte Presserats-Sprecherin Kirsten von Hutten. „Dennoch müssen Redaktionen vor der Veröffentlichung von Fotos und Videos die Menschenwürde der Opfer und die Gefühle der Angehörigen im Blick behalten“.

Warnung: Nicht von Tätern instrumentalisieren lassen

Nach dem überraschenden Großangriff der radikal-islamischen Terrororganisation Hamas auf Israel am Samstagmorgen mit Hunderten toten Israelis waren in Medien und Internetplattformen – mehr oder weniger unkenntlich gemachte – Aufnahmen und Videos von Augenzeugen und Attentätern von Opfern der Bluttaten aufgetaucht.

Am Montag hat der Presserat auf die Veröffentlichungen reagiert und erinnert daran, dass Redaktionen darauf achten sollten, „sich mit der Veröffentlichung von Bildmaterial, das die Täter hergestellt haben, nicht instrumentalisieren zu lassen.“ Der Presserat weist darauf hin, dass laut Ziffer 11, Richtlinie 11.1 des Pressekodex die Presse auch auf übertrieben sensationelle Darstellungen von Gewalt zu verzichten habe.

Richtlinie 11.1 – Unangemessene Darstellung
Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, herabgewürdigt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird.
Bei der Platzierung bildlicher Darstellungen von Gewalttaten und Unglücksfällen auf Titelseiten beachtet die Presse die möglichen Wirkungen auf Kinder und Jugendliche.

Pressekodex

Darüber hinaus schützte Ziffer 8 der Sammlung der journalistisch-ethischen Grundregeln des Pressekodex auch die Identität von Opfern. „Letztlich müssen die Redaktionen immer im Einzelfall entscheiden, ob sie Fotos oder Videos von Opfern und Gewaltszenen zeigen, weil daran ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, oder ob sie aus ethischen Gründen darauf verzichten“, teilte von Hutten mit.

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit
Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.

Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Pressekodex

Yücel: „Interesse der Allgemeinheit wiegt schwerer“

Ebenfalls am Montag hat sich Welt-Journalist Deniz Yücel in einem Kommentar zur Veröffentlichung der „schrecklichsten Bilder, die nach dem terroristischen Überfall der Hamas am Samstag aus Gaza um die Welt gingen“ geäußert, und die Frage gestellt: „Dürfen Medien solche Bilder zeigen?“

Yücel würdigt in seinem Kommentar unter dem Titel „Wir müssen diese furchtbaren Bilder zeigen“ die Achtung der Menschenwürde, die vor allen anderen Menschenrechten und bis über den Tod hinaus gelte. Der Welt-Journalist nennt dann eine Reihe von Veröffentlichungen, darunter das „Napalm-Mädchen“ aus dem Vietnamkrieg und den von RAF-Terroristen entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, und kommt zu dem Schluss: „All diese Bilder waren entwürdigend. Und doch wog das Interesse der Allgemeinheit an ihrer Verbreitung schwerer.“

Yücel wendet sich zudem gegen die Argumente, dass die Veröffentlichung der Bilder zu einer „Retraumatisierung“ führen könnten, oder genau dem dienten, was eine „Mörderbande bezweckt“. Er komme nach „Abwägung“ zu dem Schluss, dass es „geboten“ sei, „in diesem Fall die abstoßenden Bilder zu verbreiten: um zu zeigen, mit welcher bestialischen Bande die iraelische Gesellschaft konfrontiert ist“, schreibt Yücel.

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