Presserat verzeichnet so viele Beschwerden wie noch nie

53 Mal hat der Presserat im Jahr 2020 ein Medium öffentlich gerügt. Insgesamt waren so viele Beschwerden eingegangen wie nie zuvor.
Von Jonathan Steinert
Wer sich über Berichterstattung der Presse beschweren möchte, kann sich an den Presserat wenden

Mehr als 4.000 Beschwerden gingen im vorigen Jahr beim Presserat ein – so viele wie noch nie zuvor und fast doppelt so viele wie 2019. Mediennutzer – Einzelpersonen wie auch Organisationen – können sich bei diesem Gremium melden, wenn ihnen in der Berichterstattung von Print- und Onlinemedien Verstöße gegen ethische Prinzipien auffallen. Die Richtlinien dafür sind im Pressekodex festgehalten. Insgesamt diskutierte der Presserat 530 Artikel in den Beschwerdeausschüssen. Zu manchen Artikeln hatten sich mehrere hundert Personen gemeldet.

In 53 Fällen sprach er eine öffentliche Rüge aus – 19 mehr als im Vorjahr. Das ist die schärfste Sanktion, die das Gremium zur Verfügung hat. Das gerügte Medium ist dazu verpflichtet, das in seinem Blatt oder auf der Website zu veröffentlichen. Der häufigste Grund für eine Rüge war die mangelnde Trennung zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten – etwa wenn der Name eines Produktes genannt wurde, ohne es journalistisch einzuordnen, oder wenn ein Beitrag über ein Produkt direkt neben einer Anzeige dafür platziert war. Am zweithäufigsten rügte der Presserat Verstöße gegen den Persönlichkeits- und Opferschutz. Das war dann der Fall, wenn ein Medium etwa Bilder von Unfall- oder Verbrechensopfern veröffentlichte, ohne das Einverständnis der Angehörigen einzuholen. Allein 22 Rügen ergingen im vorigen Jahr an die Bild-Zeitung. Der Presserat erteilte zudem 76 Missbilligungen und 133 Hinweise. In weiteren 32 Fällen hielt der Presserat Beschwerden zwar für begründet, ging ihnen aber nicht weiter nach, weil die Redaktionen bereits reagiert und Fehler korrigiert hatten.

Viele Beschwerden zu Corona-Berichten zurückgewiesen

382 Beschwerden gab es zu einer Kolumne in der Tageszeitung taz. In einem satirischen Gedankenspiel sah die Autorin die Müllhalde als besten Platz für arbeitslose Polizisten an. Der Artikel hatte für viel Diskussion gesorgt, auch Bundesinnenminister Horst Seehofer meldete sich zu Wort und legte Beschwerde ein. Zunächst hatte er erwogen, Anzeige zu erstatten. Der Presserat wies die Beschwerden jedoch in dem Fall zurück, weil der Artikel als Satire erkennbar gewesen sei. Mehr als 170 Beschwerden gab es, weil Medien einen WhatsApp-Chat veröffentlichten, in dem ein elfjähriger Junge seinen Freund informierte, dass seine fünf Geschwister getötet wurden. Dazu sprach der Presserat Rügen gegen mehrere Zeitungen aus. Die Menschenwürde der beteiligten Kinder sei dadurch verletzt worden, insbesondere sollte zurückhaltend über seelisch leidende Menschen berichtet werden.

581 Leser beschwerten sich über die Corona-Berichterstattung, vor allem hinsichtlich der journalistischen Sorgfaltspflicht. Allerdings wies der Presserat 80 Prozent davon als offensichtlich unbegründet zurück. Hier habe bereits die Vorprüfung ergeben, dass der Pressekodex nicht verletzt wurde. Dabei habe es sich etwa um Beiträge gehandelt, die Teilnehmer an einer Corona-Demonstration als „Verschwörungstheoretiker“ oder „Corona-Leugner“ bezeichneten. Dies seien Deutungen und Bewertungen, die ein Journalist treffen könne. Sie seien zulässig, wenn sie auf einem wahren Kern beruhten. Der Presserat entscheide nicht darüber, ob eine Bewertung falsch oder richtig sei. Ein Interview mit einem Heiler, der verschiedene Wege der Immunisierung gegen Corona versprach, wertete der Presserat als schweren Verstoß unter anderem gegen die Sorgfaltspflicht wie auch als nicht angemessene sensationelle Darstellung in der medizinischen Berichterstattung: Journalistische Beiträge dürfen laut Pressekodex keine unbegründeten Befürchtungen oder Hoffnungen wecken.

Der Presserat ist das Gremium der freiwilligen Selbstkontrolle für journalistische Print- und Online-Medien. Getragen wird er von einem Verein, dem zwei Verleger- und zwei Journalistenverbände angehören.

Von: Jonathan Steinert

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