Es ist Kirchentag in Dortmund, und Tausende Menschen im Publikum warten auf den prominenten Redner. Nicht der Papst, die Kanzlerin oder der Bundespräsident wird gleich sprechen, nicht einmal ein Bischof. Sie warten auch nicht auf den ehemaligen Bundesinnenminister Thomas de Maiziére, der bald ans Mikrofon tritt, um auf den eigentlichen Star des Vormittags hinzuweisen. Mit ihm habe er oft gestritten, er kenne auch schon das Redemanuskript und könne nicht allem zustimmen. Und doch vereinten ihn und Heribert Prantl der Einsatz für eine stabile Demokratie, sagt De Maiziére.
Prantl, langjähriger Journalist der Süddeutschen Zeitung, ist an diesem Freitagvormittag in Dortmund mehr als ein Medienschaffender, der sich einfach gut in einem Thema auskennt. Seine Kommentare in der Süddeutschen Zeitung gelten als wegweisend, sind juristisch fundiert und unmissverständlich. Seit drei Jahrzehnten fällt der ehemalige Richter mediale Urteile, wenn auch nicht offiziell im Namen des Volkes.
Das Kirchenvolk allerdings scheint ihn geradezu zu verehren. Häufig beklatscht das Publikum einzelne Prantlsche Sätze. Es brandet sogar dann Beifall auf, als De Maiziére erwähnt, dass Prantl sich entschieden hatte, Journalist zu werden, nachdem er schon zum Staatsanwalt und Richter aufgestiegen war.
„Produktive Furcht“ statt Angst
Prantls Vortrag heißt „Ängstigt euch nicht. Eine Ermutigung“. Rhetorisch geschliffen holt er aus über die großen Probleme der Welt, über Klimawandel, Artensterben, über sterbende Bienen und Windschutzscheiben von Autos, auf denen viel weniger Insekten kleben als früher. Besonderen Raum bekommen bei Prantl die Nationalisten von Trump bis hin zu den Rechtspopulisten in Europa. „Sie preisen den Nationalismus als Heilslehre“, seien aber in Wahrheit gar nicht an der Lösung von Problemen interessiert. Stattdessen hätten sie ein Interesse daran, dass sich Krisen verschärfen.
Prantl vergleicht sie mit Heizern auf einem ohnehin schon schnell fahrenden Zug ins Unheil. Die Endzeitreden aus dem Neuen Testament hätten vor Jahren noch wie Science Fiction geklungen. Heute klängen sie wie eine „Realitätsbeschreibung“. Gründe, Angst zu haben, gebe es also genug. Wo bleibe da die Hoffnung?
Wer sich hingegen nicht ängstige, wie es die Bibel sagt, der verwandle Angst in „produktive Furcht“. Die sogenannten „besorgten Bürger“, Rechtspopulisten in Deutschland also, verträten das Gegenteil davon. „Sie lenken die Angst auf die falschen Objekte, auf die Migranten, auf den Islam, auf die da oben.“ Diese Ängste seien in Wahrheit, so der Journalist, von einer „Politik der sozialen Ungleichheit, Desintegration und Exklusion“ genährt worden. Das Publikum goutiert diese Sätze mit Beifall, genauso wie Prantls heftige Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik. Die liege für ihn „auf der offenen Skala des Ungeistes sehr weit oben. Sie ist unbarmherzig, tödlich, sie ist eine Schande, sie ist ein Fehler“.
Mischung aus Weltlichem und Geistlichem
Für Prantl ist es die schwedische Aktivistin Greta Thunberg, die mit Angst anders – vorbildlich – umgehe. Sie wolle, dass die Erwachsenen dieselben Zukunftsängste verspürten wie sie selbst – und deutlich mehr zu tun, um das Klima zu retten.
Heribert Prantl vergleicht dieses Engagement mit dem der Jünger zu Pfingsten. Die seien nämlich auch nicht sitzen geblieben, als der Heilige Geist auf sie gekommen sei. Stattdessen seien sie aufgestanden und hätten furchtlos von der Auferstehung Jesu erzählt. „Wären die Jünger damals hocken geblieben, hätten sie sich die Ohren zugehalten vor dem Brausen, die Feuerflammen ausgepustet und die Türen verriegelt, es gäbe uns heute hier nicht, es gäbe keinen Kirchentag und kein Christentum.“
Es ist diese Mischung aus Profanem und Sakralen, aus Weltlichem und Geistlichen, die den Zuhörern besonders zu gefallen scheint. Am Ende wirbt Prantl für „Widerständigkeit“. Die Menschen sollten aufstehen und sich einsetzen. „Die Kraft der Hoffnung ist die Kraft gegen die Angst“, schließt der Journalist. Die Menge steht und applaudiert minutenlang.
Von: Nicolai Franz