Larissa steht am Geländer der Oder-Brücke in Frankfurt und ist bereit, sich in die Tiefe zu stürzen. Sie ist 16 Jahre alt, schwanger, ihr Fötus hat die Diagnose Trisomie 18 – und sie ist Jungfrau. Mit diesem Plot startet der Polizeiruf „Heilig sollt ihr sein!“. Aus Verzweiflung und Hilflosigkeit will sie sich das Leben nehmen, als ein geheimnisvoller Junge auftaucht. Er selbst nennt sich Elias und sieht sich als Prophet Gottes. Er überredet die 16-Jährige, nicht zu springen.
Trotz des scheinbar göttlichen Eingreifens entscheidet sich Larissa wenig später zu einer Spätabtreibung. Kurz vor dem Schwangerschaftsabbruch taucht jedoch erneut Elias, der bürgerlich Jonas Fleischauer heißt, auf, schleicht sich in den OP und beginnt das Baby vor laufender Handykamera aus dem Bauch seiner Mutter zu schneiden. So will er das Kind ein zweites Mal vor dem Tod retten.
Die Mutter stirbt wenig später nach dem brutalen Eingriff. Doch wie durch ein Wunder überlebt das Neugeborene – und ist kerngesund. Polnische Katholiken, die vor dem deutschen Krankenhaus gegen den Spätabbruch demonstrierten, feiern Jonas nun als Heiligen. Dieser sieht im Neugeborenen gar einen von Gott gesandten Retter.
Zu viele Ungereimtheiten
Wunder gibt es natürlich immer wieder – und auch ärztliche Diagnosen können daneben liegen. Im Polizeiruf „Heilig sollt ihr sein!“ gibt es aber zu viele Ungereimtheiten, die sich nicht erklären lassen. Als Zuschauer fragt man sich, wie es möglich sein kann, unbemerkt in einen fertig vorbereiteten OP zu schleichen. Jonas gelingt es auch, in die Gerichtmedizin einzudringen, um sich dort auf die verstorbene Larissa zu legen. Ähnlich wie der biblische Prophet will er so die Tote auferwecken – ohne Erfolg.
In der Schlussszene kann sich der verurteilte Jonas sogar frei im Gefängnis bewegen und gelangt so in die Zelle einer Mörderin, die ein exakt gleiches Muttermal wie das Baby hat. Was Baby und Mörderin miteinander zu tun haben, bleibt jedoch im Dunkeln. Ebenso bleibt unklar, warum Jonas die Frau in ihrer Zelle besucht und diese unverschlossen ist.
Verpasste Chancen
Im Krimi gibt es mehrere solcher Logiklöcher, die neben den teils gruseligen Handlungen das Schauen des Polizeirufs äußerst anstrengend machen. Dabei gelingt es kaum, Themen wie Exorzismus oder religiösen Fanatismus für die Zuschauer einzuordnen. Vielmehr wirkt alles wirr und zusammenhangslos.
Eine weitere verpasste Chance des Drehbuchautors Hendrik Hölzmann spiegelt sich in einem Gespräch der beiden Ermittler Adam Raczek und Olga Lenski wider. Als beide die Wohnung von Jonas durchsuchen und viele religiöse Texte entdecken, stellt Lenski fest: „Das stammt aus einem 2.000 Jahre alten Buch, das ist ein Märchen, Propaganda“. – „Das nennt man Glaube“, antwortet darauf ihr Kollege.
Wie in diesem Gespräch entsteht an vielen Stellen im Film im Ansatz eine Spannung zwischen Glauben und Atheismus, zwischen religiöser Vernunft und Fanatismus. Diese Spannung wird jedoch nie weiter intensiviert. So entscheidet sich beispielsweise die Mutter von Ermittler Raczek, trotz Krebsdiagnose, auf eine medizinische Behandlung zu verzichten. Gott entscheide, wann ihr Leben zu Ende geht, keine Ärzte. Ihr Sohn, selbst gläubiger Katholik, kann die Entscheidung nur schwerlich nachvollziehen und zwingt seine Mutter zum Arztbesuch. Damit ist die Frage nach dem Willen Gottes im Film ad acta gelegt. Wieder eine Chance vertan. Ebenfalls wird die Praxis des Exorzismus nur kurz angerissen.
Insgesamt zeichnet der Polizeiruf ein eher düsteres und gruseliges Bild des Katholizismus – stets mit einer großen Portion Mystik gewürzt. Blinder Gehorsam gegenüber einer höheren Macht, bei der nicht ganz klar ist, ob sie Gott oder Einbildung ist, zeichnet Jonas oder die Mutter von Raczek aus. Dieser Gehorsam ist es auch, der Jonas im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen gehen lässt. Ein Verweis auf das Licht und die Liebe Gottes findet man nicht. Es liegt alles im Dunkeln. So bleibt es im Polizeiruf „Heilig sollt ihr sein!“ leider bei vielen verpassten Chancen.