Die Jubiläen großer Staatsmänner sind es, die stets zu einer Fülle von Publikationen führen. So war es bereits 2013, als sich Willy Brandts Geburtstag zum hundertsten Mal jährte, und so ist es heute, am Ende des Jahres 2018. Denn genau hundert Jahre ist es her, dass Helmut Schmidt, der später einmal der fünfte Bundeskanzler in Deutschland sein soll, geboren wurde. Genau zwei Tage später, am 25. Dezember 1918, kommt Anwar as-Sadat in einer kleinen Ortschaft im Nildelta zur Welt. 1970 wird er ägyptischer Präsident.
Für den katholischen Theologen Karl-Josef Kuschel sind die Jubiläen dieser beiden Männer ein Anlass, die gemeinsame Geschichte der Staatspolitiker zu untersuchen. Denn in der Freundschaft zwischen Schmidt und as-Sadat spielte die Religion eine große Rolle. Ein langes nächtliches Gespräch am Nil im Dezember 1977 ist der Ausgangspunkt des Buches. As-Sadat erklärte dabei dem deutschen Bundeskanzler, dass die drei großen Weltreligionen gemeinsame Überlieferungen teilten: dass es etwa Übereinstimmungen in der Schöpfungsgeschichte und dem Sündenfall gebe und dass der Koran Personen wie Abraham, Josef und Maria ebenfalls kenne.
„Den Islam verstehen“
Schmidt, der in den zeitgenössischen Medien stets als rationaler, kühler Hanseat galt, erkannte in as-Sadats Ausführungen über das Miteinander von Religionen Grundlagen für den Weltfrieden. Er war fasziniert von dem, was der ägyptische Präsident über die abrahamitische Ökumene sagte. Wenn alle Politiker den Einfluss der Religionen auf den Frieden stärker betonten, sei das dem Frieden zuträglich. Für die westliche Welt sei es daher „wichtig, den Islam zu verstehen. Wir müssen lernen, Gespräche mit Muslimen zu führen, die über das Wetter oder die Lieferung von Maschinen, Flugzeugen, Waffen oder Öl hinausgehen“, resümiert Schmidt das Gespräch.
Noch 25 Jahre später bemängelt er in dem Buch „Hand aufs Herz“, dass viele Deutsche nicht wüssten, dass sich die monotheistischen Weltreligionen alle auf denselben Abraham, denselben Mose und auf beinahe alle Propheten des Alten Testaments bezögen. So erscheint Kuschels Buch über die beiden Staatsmänner wie eine religionspolitisches Lehrstück mit Handlungsaufforderung an die heutigen Politiker.
Der Theologe erörtert das mehrstündige nächtliche Gespräch zwischen as-Sadat und Schmidt. An vielen Stellen verliert sich der Autor auf Nebenschauplätzen, die für die Begegnung der beiden kaum etwas zur Sache tun. Statt zu erklären, dass der Besuch Schmidts in Ägypten von der deutschen Bevölkerung wegen hoher Kapitalforderungen Ägyptens nicht ganz unkritisch gesehen wurde, erklärt der Theologe langwierig die aktuelle politische Situation Deutschlands: den Terror der Roten Armee Fraktion, die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch deren Mitglieder und Schmidts Auschwitz-Besuch. Spannender wäre etwa gewesen, mit welchen Mitteln in Ägypten Politik gemacht wurde: in Luxor wurden die Straßen, die Schmidt passierte, vorab sauber gespritzt, die Bordsteine gestrichen und Blumentöpfe dort hingestellt, wo sonst keine stehen. Dennoch beleuchtet Kuschel in dem Buch einen wichtigen und interessanten Aspekt, der bislang nicht im Vordergrund der Forschungen zur Person Helmut Schmidts standen.